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SPD-Politiker
Lauterbach für Rot-Rot-Grün im Bund

Ein Wechsel in der Sozial- und Umweltpolitik sei mit der Union nicht zu machen, sagte der SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach im Dlf. Deshalb sei eine rot-rot-grüne Koalition wie in Bremen auch im Bund richtig. Inhaltliche Gräben könnten durch Verhandlungen überbrückt werden.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 15.08.2019
Karl Lauterbach SPD, spricht im Bundestag
Zweieinhalb Monate nach der Bremer Bürgerschaftswahl haben die Landes- und Fraktionsvorsitzenden von SPD, Grünen und Linken den Koalitionsvertrag unterschrieben (www.imago-images.de)
Tobias Armbrüster: Der heutige Tag könnte eine Zäsur sein in der deutschen Parteienlandschaft, vielleicht der Startschuss für ein neues politisches Bündnis auch auf Bundesebene. Schauplatz ist heute zunächst Bremen. Dort wird heute aller Voraussicht nach die erste rot-rot-grüne Landesregierung in einem westdeutschen Bundesland ins Amt gewählt. SPD, Linke und Grüne haben sich nach der letzten Bürgerschaftswahl im Mai zusammengetan und dieses Bündnis geschmiedet. Heute nun die offizielle Wahl in der Bremer Bürgerschaft. Sie gilt als sicher. – Wie gesagt ein Einschnitt und kein ganz unumstrittener, und wir wollen wissen, wie die Zukunft aussieht von solchen rot-rot-grünen Bündnissen auch im Bund, auch auf Bundesebene. Am Telefon ist jetzt Karl Lauterbach, SPD-Fraktionsvize im Deutschen Bundestag, außerdem einer, der sich Hoffnungen macht, nächster SPD-Parteichef zu werden. Zusammen mit der Parteikollegin Nina Scheer bildet er ein Kandidaten-Duo. Herr Lauterbach, Rot-Rot-Grün, ist das eine Option für den Bund?
Karl Lauterbach: Auf jeden Fall. Diese Position vertrete ich ja schon seit mehreren Jahren, auch Nina Scheer im Übrigen, und das ist eine Position, die in der SPD auch weitgehend mittlerweile konsensfähig ist. Eine Diskriminierung der Linkspartei – das war ja meistens der Grund für die Ablehnung solcher Bündnisse – ist heute nicht mehr angebracht. Das ist eine Partei geworden, die sich auch im parlamentarischen Verfahren als erst einmal fair und zum zweiten auch gut informiert und hilfreich erwiesen hat. Und wenn man einen wirklichen Politikwechsel in der Sozialpolitik und insbesondere auch in der Umweltpolitik wünscht, dann sind solche Bündnisse in meiner persönlichen Einschätzung mit der Union nicht zu machen, weil dort der Aspekt der Wirtschaftspartei zu stark im Vordergrund steht. Das gilt noch mehr für die FDP und Bündnisse mit der AfD schließen wir grundsätzlich aus, und das ist auch richtig so. Daher ist tatsächlich Rot-Rot-Grün auf Landesebene wie auch im Bund ein Zukunftsmodell.
Gräben durch Verhandlungen überbrücken
Armbrüster: Herr Lauterbach, Sie haben die jahrelange Diskriminierung, wie Sie es gesagt haben, der Linkspartei durch die SPD angesprochen. Festhalten können wir allerdings: Die Linke bleibt für die SPD ein schwieriger Partner, denken Sie beispielsweise an die Außenpolitik, die Ablehnung in weiten Teilen der Linkspartei zur NATO, zu Bundeswehr-Auslandseinsätzen. Auch die europäische Integration ist in vielen Teilen, in vielen Bereichen der Linkspartei umstritten. Wie wollen Sie diese Gräben überbrücken?
Lauterbach: Durch Verhandlungen. Und man muss ja auch einräumen, dass die Linkspartei sich in vielen, ja eigentlich in all diesen Fragen in den letzten Jahren deutlich bewegt hat. Ich gebe persönlich zu, obwohl ich Sahra Wagenknecht als Person sehr schätze, dass sie da auch und der Flügel, für den sie steht in der Linkspartei, nicht hilfreich gewesen ist. Aber in der Linkspartei ist eine Bewegung auch unterwegs in Richtung mehr Pragmatismus. Man darf diese Probleme nicht kleinreden und man darf auch nicht das für sicher halten, dass so etwas zustande kommt. Das halte ich auch nicht für sicher. Man muss dann aber verhandeln. Alles was ich sagen kann ist, im Umgang mit der Linkspartei hat sich eine Normalität eingestellt, die so ist, dass Verhandlungen durchaus geführt werden können. Und in Bremen hat man ja jetzt nicht nur Verhandlungen gesehen, sondern ein sehr gutes Ergebnis. Das Ergebnis in Bremen gefällt mir nicht, allein weil es ein solches rot-rot-grünes Bündnis ist, sondern die Inhalte überzeugen. Es ist tatsächlich ein solches Bündnis, was die drei Kernprobleme unserer Gesellschaft aufgreift, nämlich die Ungleichheit, die sich verfestigt hat, die Bildungsarmut und die dringend notwendige Energiewende und den Umweltschutz.
"Linke in Grundsätzen beweglicher als oft dargestellt"
Armbrüster: Herr Lauterbach! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Bremen ist natürlich eine Landesregierung. Da sind solche Gräben wahrscheinlich leichter zu überbrücken. Ich will noch mal bei den grundsätzlichen Schwierigkeiten in der Linkspartei bleiben. Wir haben das in den vergangenen Jahren auch mit Politikern der Linkspartei hier in Interviews immer wieder deutlich gemacht. Da geht es ja sehr häufig um Grundsätzliches, vor allem in der Außenpolitik. Ich habe darüber gesprochen, über die Probleme, die es in der Linkspartei vielen machen würde, wenn es zum Beispiel um Auslandseinsätze der Bundeswehr geht. Das klingt nicht nach Verhandlungssachen, sondern nach Grundsätzen. Deshalb noch einmal die Frage: Wie wollen Sie eine Partei von ihren Grundsätzen abbringen durch Verhandlungen?
Lauterbach: Ich glaube, dass die Grundsätze auch beweglicher sind, als es oft dargestellt wird. Wenn man mit einzelnen Politikern spricht und diese Politiker versuchen, sich in den Äußerungen von der SPD abzuheben, dann klingt das oft kategorischer, als es im Verhandlungswege ist. Aber wie gesagt, ich will es auch nicht ausschließen, dass es diese Probleme gibt.
Wenn es tatsächlich so wäre, dass man nachher aus grundsätzlichen Überlegungen nicht zusammenkommt, dann ist es so, dann ist das richtig. Aber das von vornherein abzuschreiben, halte ich für falsch. Auch ich bin ja in persönlichen Gesprächen mit vielen Vertretern der Linkspartei. Ich glaube nicht, dass es solche kategorischen Positionen gibt wie gar keinen Einsatz der Bundeswehr im Ausland. Ich glaube auch nicht, dass die Linkspartei heute noch die Position vertritt in der Spitze der Partei, dass die NATO abgeschafft werden muss. Und Sie dürfen nie vergessen: Auch mit anderen Bündnissen haben wir immer gravierende, ja auch zum Teil grundsätzliche Probleme in der Außen- und der Sicherheitspolitik. Das heißt, solche Verhandlungen gehören zur Demokratie dazu.
"Wenn man regieren will, muss man Optionen haben"
Armbrüster: Ein ganz besonderes Problem haben Sie aber außerdem mit der Linkspartei. Ihre Partei, die SPD hat nämlich viele Stimmen an Die Linke verloren bei Wahlen in den letzten Jahren und Jahrzehnten. Werten Sie mit solchen Koalitionen Ihren schärfsten Wettbewerber auf?
Lauterbach: Nein! Im Gegenteil! Zunächst einmal: Wenn wir mit der jetzigen Regierungsarbeit unzufrieden sind und wenn wir darüber nachdenken oder in Teilen, so wie wir das tun, wie ich das auch tue, fordern, die Große Koalition nicht fortzusetzen, dann hat der Bürger auch ein Recht darauf zu erfahren, wie könnte es denn weitergehen. Man darf nicht immer von der nächsten Regierung sprechen. Es ist falsch zu sagen, jetzt regieren wir mit dem, mit dem könnten wir demnächst regieren. Das langweilt und ärgert auch die Bürger. Es muss auch Oppositionsarbeit denkbar sein. Wir haben jetzt lange regiert.
Aber wenn man regieren will, muss man Optionen haben. Ich glaube, es wertet alle beteiligten Parteien auf, im Übrigen auch die SPD, dass sie in einem solchen Bündnis zumindest im Prinzip bereit wäre zu regieren. Ich glaube übrigens auch, dass das gleiche für die Grünen gilt. Die Grünen kämen in einer anderen Konstellation, beispielsweise in einem Bündnis mit der FDP und der Union, oder auch nur mit der Union alleine, in der Umweltpolitik in die gleiche Situation wie wir, dass viel über Umweltpolitik geredet wird, dass man auch Ankündigungen macht und im Kleinen vielleicht, aber im Großen werden dort die gleichen Probleme auftreten. Daher: Dass solche Bündnisse möglich sind, das wertet alle beteiligten Parteien auf.
Armbrüster: Die Grünen sind natürlich derzeit in einer sehr viel vorteilhafteren Lage. Sie gewinnen ständig Stimmen dazu. Ihre Partei hat auch in Bremen ja Stimmen verloren. Das haben wir auch bei der letzten Landtagswahl gesehen. Ich will aber auch auf etwas anderes hinaus in der kurzen Zeit, Herr Lauterbach, die uns hier für dieses Gespräch noch bleibt. Für viele Menschen in Deutschland hat ja Die Linke noch ein anderes Problem. Sie hat dieses Stigma der SED-Nachfolgepartei. Zählt das alles jetzt 30 Jahre später nicht mehr?
Lauterbach: Man darf die Geschichte nicht vergessen. Aber wenn Sie die Positionen der SED mit den Positionen der Linkspartei heute vergleichen, dann gibt es doch da überhaupt keine Übereinschneidungen mehr. Es ist doch heute ganz klar, dass die Linkspartei eine demokratische Partei ist, die fest auf dem Fundament der Demokratie steht. Man mag nicht alles richtig finden. Ich will hier nicht die Linkspartei über Gebühr verteidigen. Nicht alles, was von der Linkspartei kommt, ist Gold. Es gibt auch jetzt große Probleme. Aber die Diffamierung, die Erben der SED, das ist zu plump, das ist zu platt.
"Diskriminierung der Linkspartei tut uns allen nicht gut"
Armbrüster: Viele ehemalige SED-Anhänger, viele überzeugte SED-Mitglieder haben in der Linken eine neue Heimat gefunden.
Lauterbach: Ja, das stimmt. Aber es ist trotzdem so, dass ich die Partei nicht an den Mitgliedern alleine messen darf, an relativ frustrierten Mitgliedern, die da eine Heimat gefunden haben, sondern ich muss die Partei daran messen, was ist heute möglich, für welche Positionen steht sie, wie demokratisch ist sie. Da fällt mir im Deutschen Bundestag eine andere Partei ein, die damit viel größere Probleme hat als die Linkspartei. Wie gesagt, man darf hier die Linkspartei nicht glorifizieren, aber es ist eine gewisse Normalität aufgetreten und die Diskriminierung der Linkspartei tut uns allen nicht gut.
Armbrüster: Herr Lauterbach, wäre es für Sie eine Aussage, mit der Sie in eine nächste Bundestagswahl reingehen könnten? Die SPD ist bereit zur Koalition auf Bundesebene mit der Linken, klipp und klar.
Lauterbach: Ich würde auf jeden Fall so weit gehen, dass Verhandlungen von uns auf jeden Fall nicht ausgeschlossen würden, und ich bin für solche Bündnisse ganz grundsätzlich. Aber man darf nicht den Fehler machen - das ist auch sehr unbescheiden, gerade bei den Umfrageergebnissen, die wir derzeit vorzeigen -, man darf nicht den Fehler machen, dass man nur von den Regierungsbündnissen spricht. Somit: Die schnelle Antwort ist ja. Ich würde so ein Bündnis nicht ausschließen. Ich würde so ein Bündnis auch richtig finden, wenn die Verhandlungen stimmen. Aber die Verhandlungen müssen geführt werden und es darf nicht im Vordergrund stehen, mit wem wird die SPD schon wieder regieren. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was wir derzeit vor der Brust haben, und da macht es mir mehr Sorgen, dass wir in der Großen Koalition die Akzeptanz in der Bevölkerung verloren haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.