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SPD-Politiker: Schröder hat verlässliche Mehrheit

Aus Sicht des SPD-Gesundheitsexperten Klaus Kirschner kann sich Bundeskanzler Gerhard Schröder auf die eigene Mehrheit im Bundestag verlassen. Kirschner reagierte damit auf den Vorhalt, der Kanzler klage über mangelnden Rückhalt in der SPD. Gleichzeitig kündigte Kirschner an, bei der Vertrauensfrage gegen den Willen von SPD-Chef Müntefering mit Ja zu stimmen.

Moderation: Dirk Müller | 30.06.2005
    Dirk Müller: Ein Nein, ein Ja oder eine Enthaltung, vielleicht aber doch nicht. Es ist eine einfache Frage, die morgen vom Kanzler im Bundestag gestellt wird. Auch die Antwort in Form einer namentlichen Abstimmung ist einfach. Viele Optionen gibt es ja nicht. Aber die Entscheidung ist offenbar kompliziert, sehr kompliziert, zumindest für die Abgeordneten der Regierungsfraktion, besonders für die Sozialdemokraten so kompliziert, dass der Haussegen wieder einmal so richtig schief hängt. Mit Ja stimmen will auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Kirschner. Guten Morgen nach Berlin!

    Klaus Kirschner: Guten Morgen Herr Müller!

    Müller: Herr Kirschner, wäre Enthaltung für Sie Fahnenflucht?

    Kirschner: Das ist natürlich schon ein Begriff, was Sie da in den Raum stellen. Nein, ich würde eindeutig mit Ja stimmen, und zwar deshalb, weil ich diesen Bundeskanzler sowohl 1998 als auch 2002 gewählt habe. Ich bin in den Wahlkampf gegangen, habe für die SPD und habe für Gerhard Schröder geworben, dass er Bundeskanzler werden kann. Das ist 1998 und 2002 gelungen. Wenn wir jetzt einmal unterstellen, es kommt zu diesen Neuwahlen am 18. September, wie sie von der Parteiführung der SPD und von den anderen Parteien und auch vom Bundeskanzler angestrebt werden, dann kann ich doch nicht einerseits vor die Wähler hintreten und kann sagen, wählen sie die SPD oder wählt die SPD, soweit ich mit ihnen per Du bin, und wählt Gerhard Schröder und gleichzeitig enthalte ich mich im Bundestag bei der Vertrauensfrage. Das kann ich den Menschen nicht erklären und deshalb werde ich eindeutig mit Ja stimmen.

    Müller: Warum wollen Sie Franz Müntefering - das ist der Parteichef - vor die Knie treten?

    Kirschner: Also erst einmal bin ich dem Franz Müntefering in großer Loyalität verbunden. Wir kennen uns. Ich bin jetzt im Bundestag seit 29 Jahren und ich kenne ihn seit dem Anfang und ich schätze ihn sehr. Es ist eine Freundschaft. Aber es gibt Dinge, wo man selbst als Abgeordneter dann seine Entscheidung zu treffen hat und die Entscheidung heißt für mich in dem Fall Ja. Wir haben den Bundeskanzler auch in schwierigen Situationen unterstützt, wo es für mich auch ganz, ganz schwierig war. Ich nenne mal beispielsweise die Hartz-Gesetze. Dort habe ich dem auch zugestimmt nach einer langen heftigen Debatte in der Fraktion. Da muss man dann als Minderheit auch Mehrheiten anerkennen. In dieser Frage werde ich auf jeden Fall mit Ja stimmen und lasse mich durch nichts in irgendeiner Form davon abbringen.

    Müller: Herr Kirschner, haben Sie denn vielleicht kurz vor dem Einschlafen beispielsweise schon mal daran gedacht, ich schade damit der SPD?

    Kirschner: Also wissen Sie, eine demokratische Partei kann nicht uniform sein. Die kann keine uniformierte Partei sein, sondern da muss es einfach auch Meinungen geben und ich schade damit nicht der Partei, sondern ich sage Ihnen, ich nütze der Partei. Ich lasse mich da auch nicht in eine Ecke stellen, Abweichler und so weiter. Da kann ich nur den Kopf schütteln. Ich will Ihnen und den Zuhörern nur mal was zitieren, wo es um die Frage der Minderheiten geht. Da heißt es, diese Minderheitler werden leicht zu Abweichlern gemacht, von da zu Außenseitern, von da zu Randgruppen. Hüten müssen wir uns vor einem Defizit an Demokratie. Heute ist die SPD eine Volkspartei. Eine Volkspartei muss Dissidenten tolerieren. – Wissen Sie wo das steht? – In einem Schriftsatz, den Gerhard Schröder zusammen mit einem anderen Kollegen damals, mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen Werner Holtfort, veröffentlicht hat, wo es darum ging, einen früheren Abgeordneten Karlheinz Hansen vor den Parteigremien zu verteidigen, vor der Schiedskommission. Das gilt für mich! Ich bin kein Abweichler, sondern ich bin jemand, wo man auch tolerieren muss, dass man in so einer Frage seine eigene Meinung hat. Ich sage Ihnen und ich sage das auch den Hörern und ich werde es auch in der Fraktion morgen noch mal deutlich sagen – ich bin am Dienstag leider nicht mehr zu Wort gekommen, weil die Debatte abgebrochen wurde, was ich überhaupt nicht verstehen kann -, ich gehöre zu denen, die dem Bundeskanzler in dieser schwierigen Frage wie auch in anderen schwierigen Fragen meine Ja-Stimme gebe und das wird dann auch morgen der Fall sein.

    Müller: Haben Sie denn eine Erklärung dafür, warum die Debatte so früh abgebrochen worden ist?

    Kirschner: Das kann ich sowieso nicht verstehen. Ich habe ja dagegen gesprochen, dass man die Debatte führt. Ich halte die Debatte für notwendig und ich bedauere das außerordentlich, dass man diese Debatte nicht geführt hat. Die wird man zwar morgen führen, aber so etwas muss man dann immer zu einem Zeitpunkt führen, wo man etwas mehr Zeit hat und morgen stehen wir unter einem ziemlichen Zeitdruck.

    Müller: Hat Franz Müntefering an Souveränität eingebüßt?

    Kirschner: Nein, das nicht, aber ich muss noch mal sagen, diese Debatte hätte am Dienstag auch geführt werden müssen. Wenn es dann noch Diskussionsbedarf gegeben hätte, dann hätte das am Freitagmorgen fortgeführt werden können. Das ist doch eine zentrale Frage. So etwas muss ausdiskutiert werden in einer Fraktion. Wo denn dann sonst!

    Müller: Aber Sie haben sich schon richtig geärgert?

    Kirschner: Natürlich habe ich mich geärgert und ich bin da auch jetzt noch ziemlich voller Zorn, wenn ich an diese Dinge denke. Ich glaube die Führung der Fraktion tut sich damit auch keinen Gefallen. Und auch wenn Abgeordnetenkollegen auf Schluss der Debatte plädieren, wenn es mal zu kritischen Diskussionen in solch einer Frage kommt, und sich die Mehrheit der Fraktion auch noch dem anschließt, dann habe ich dafür kein Verständnis.

    Müller: Nun beklagt der Kanzler, wenn wir auf Gerhard Schröder noch einmal zu sprechen kommen, Klaus Kirschner, ja den fehlenden Rückhalt in der SPD? Hat die Partei selbst den Kanzler damit in Schwierigkeiten gebracht?

    Kirschner: Ich habe das vorher ja schon gesagt. Es sind glaube ich über 20 Abstimmungen – ich habe das nicht gezählt -, seit Gerhard Schröder Bundeskanzler ist. Die Zahl 28 habe ich mal irgendwo gehört oder gelesen - ich weiß das nicht, ich kann das nicht im Einzelnen nachvollziehen -, wo der Kanzler eine eigene Mehrheit eingefordert hat und sie auch bekommen hat. Ich denke beispielsweise auch an die Frage Bundeswehrauslandseinsätze oder wie gesagt auch die Frage, wo wir diese tiefen Einschnitte in das soziale Netz gemacht haben. Bei harten Diskussionen am Schluss hat Schröder die notwendige Mehrheit bekommen. Es muss doch in einer Fraktion – und das ist doch auch ein Teil der gelebten Demokratie – möglich sein, dass man eben hart um Dinge ringt. Ich erinnere mich auch an Situationen, wo Schröder noch nicht Bundeskanzler war, wo er Abgeordneter war, wo er Juso-Bundeschef war. Da hat er auch das Recht für sich in Anspruch genommen, seine Meinung zu äußern, und das gilt auch für mich als Abgeordneter. Ich sage noch mal: diesem Bundestag und dieser Fraktion gehöre ich seit 29 Jahren an und ich gehöre der SPD über 40 Jahre an, 43 Jahre. Das ist mein Lebensinhalt und da muss auch hart gerungen werden und auch hart, wenn es sein muss, gestritten werden um Inhalte. Am Schluss akzeptiere ich dann Mehrheiten.

    Müller: Herr Kirschner, Sie sagen die Mehrheiten haben immer gestanden. Sie haben immer gehalten, wenn es darauf ankam. Das heißt die Begründung, die wir morgen im Bundestag vom Kanzler erwarten, die stimmt nicht?

    Kirschner: Das sehe ich nicht so. Das muss der Bundeskanzler selber wissen, warum er diese Vertrauensfrage stellt. Es ist eine schwierige Situation, was die Blockade angeht von CDU/CSU. Das wissen wir im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss. Hier wird tatsächlich blockiert. Hier wird nur nach Machtinteressen noch entschieden. Aber ich sage noch mal, was die eigene Mehrheit angeht: nach harten Diskussionen ist die gestanden und die steht auch in Zukunft.

    Müller: Haben Sie Verständnis, dass viele Grüne sauer sind?

    Kirschner: Dazu möchte ich mich nicht äußern. Ich kann mich nur zu meiner Person äußern und so weit ich in Gesprächen mit Kollegen aus unserer eigenen Fraktion bin.

    Müller: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Kirschner war das. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Kirschner: Ja bitte. Auf Wiederhören Herr Müller.