Dienstag, 16. April 2024

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SPD-Politiker zur US-Wahl
Voigt sieht Trump als "Gefahr für die Demokratie"

US-Präsident Donald Trump zerstöre instinktartig Hürden, die vor Machtmissbrauch in einer Demokratie schützten, sagte der SPD-Politiker Karsten Voigt im Dlf. Deutschland sei für ihn ein Symbol für multilaterale und tolerante Politik. Die sei ihm zuwider und deshalb "hat er uns gefressen".

Karsten Voigt im Gespräch mit Dirk Müller | 04.11.2020
Karsten Voigt.
Karsten Voigt war lange Zeit Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen und hält aktuell einen Sieg Donald Trumpfs "für wahrscheinlicher" (imago/Wolf P. Prange)
Obwohl das Ergebnis der US-Wahl noch nicht feststeht, hat sich Amtsinhaber Donald Trump zum Sieger erklärt. Wie andere Politiker in Deutschland sorgt sich auch der Transatlantiker Karsten Voigt, wie es nach der Präsidentschaftswahl in den USA weitergeht.
"Deine Stimme zählt!" - Mural von Tony Whign mit Wahlaufruf an einem Gebäude an der Woodward Avenue in Detroit, Michigan
Entscheidung in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania
Donald Trump hat den Wahlsieg für sich reklamiert und angekündigt, die Auszählung der Briefwahl gerichtlich stoppen zu lassen. Mehrere Staaten sind noch nicht ausgezählt. Der "Rust Belt" könnte am Ende entscheiden.
Dirk Müller: Der Amerikakenner und SPD-Politiker Karsten Voigt, viele Jahre lang Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, ein bekennender Transatlantiker, hat vermutlich unzählige Stoßgebete wohin auch immer gesendet hat, um Donald Trump als Präsident endlich loszuwerden. Warum hat Ihre Gebete offenbar niemand gehört.
Karsten Voigt: Weil offensichtlich der liebe Gott in diesem Fall den Sündern mehr Rechte und Vorteile einräumt als denjenigen, die zum Guten in der Welt beitragen wollen.
Müller: Weil er vergeben kann?
Voigt: Ich glaube nicht, dass er vergeben wird, aber auf jeden Fall wird er für uns die Arbeit schwieriger machen in den nächsten nicht nur Monaten, sondern auch Jahren.
"USA fallen in den nächsten Wochen außenpolitisch aus"
Müller: Aber Sie wissen ja auch noch nicht, wer gewinnt. Gehen Sie jetzt von Donald Trump aus?
Voigt: Ich halte das für wahrscheinlicher, aber wie gesagt, das ist reine Spekulation. Aber jetzt erst mal in den nächsten Wochen wird ja dieses immer noch wichtigste Land der Welt erst mal vor allen Dingen von der Innenpolitik geprägt, das heißt, die fallen außenpolitisch aus.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
Müller: Aber das ist ja vielleicht besser, als Schaden anzurichten, wenn sie mal ausfallen.
Voigt: Aber das zeigt ja gleichzeitig das Problem: Wir können viele Probleme in der Welt nicht lösen, ohne dass sich die USA daran konstruktiv beteiligen. Aber realerweise ist es heute so, dass die USA in wichtigen Bereichen, Umweltschutz, Rüstungskontrolle, regionale Krisengebiete, selber zu einem Problem geworden ist durch ihr Verhalten oder durch ihr Nichtstun, sodass sie als konstruktiver Partner, den ich mir wünsche, in weiten Bereichen ausfällt. Das ist eine ganz schwierige Lage.
Voigt: Viele Probleme sind mit Trump schwierig zu lösen
Müller: Und das ist alles Donald Trump schuld?
Voigt: Nein, das ist auch eine Entwicklung der amerikanischen Gesellschaft, die ja schon vor langer Zeit eingesetzt hat. Deshalb muss die deutsche Diskussion, auch wenn sie längerfristig sich orientiert, sich auch nicht nur daran abarbeiten, was Trump sagt und tut, sondern sie muss auch sehen, dass er von seinen republikanischen Partnern im Kongress unterstützt wird und dass viele der Probleme, mit denen wir es zu tun haben, die wir jetzt gemeinsam lösen müssen – wie zum Beispiel Chinapolitik, Russlandpolitik, die Haltung der USA zu der Europäischen Union –, dass wir diese Themen mit Trump sehr schwierig überhaupt konstruktiv lösen können, aber auch bei den Demokraten würden wir große Schwierigkeiten haben.
"Eine völlig neue und veränderte Lage seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs"
Müller: Sie haben gerade ein wichtiges Stichwort genannt, da sind wir jetzt in den vergangenen Minuten noch nicht drauf eingegangen. Das Stichwort Repräsentantenhaus und Senat, also Kongress. Nach den Zahlen, die wir vorliegen haben, haben die Demokraten ihre Position im Repräsentantenhaus gehalten, vielleicht sogar auch leicht ausgebaut. Im Senat sieht es aber nach wie vor nach einer republikanischen Mehrheit aus. Das heißt, selbst wenn jetzt Joe Biden Präsident werden würde, wäre das ja eine sehr, sehr schwierige Situation. Die Frage an Sie, dann wird sich Außenpolitik vermutlich nicht groß ändern?
Voigt: Wenn Biden Präsident wird, dann wird die Außenpolitik eine andere sein im Bezug auf die Einstellung zur Europäischen Union, zu multilateralen Organisationen, zum Umweltschutz, zu Klimafragen als die von Trump. Wenn Trump drankommt, dann ist das so, dass wir in allen den Bereichen nicht nur wichtigster Partner – also die Europäer insgesamt – der USA sind, sondern dass wir in vielen Bereichen uns auch zusammentun müssen, um Widerpart zu sein zu seinen außenpolitischen Aktionen und Vorstellungen. Und das ist eine schwierige Lage, das ist eine völlig neue und veränderte Lage seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Manfred Weber (CSU) und Jürgen Trittin (Bündnis 90 / Die Grünen) in einer Bild-Kombination
Manfred Weber (EVP) und Jürgen Trittin (Grüne): US-Demokratie auf der Kippe
Donald Trumps erster öffentlicher Auftritt nach Schließung der Wahllokale macht sowohl Manfred Weber (EVP) als auch Jürgen Trittin (Grüne) große Sorge. Beide befürchten, dass Trump die Legitimität der Wahl weiter infrage stellen könnte. Trittin sprach sogar von der möglichen Ankündigung eines Staatsstreiches.
Müller: Aber warum hat Europa das jetzt in den vergangenen Jahren nicht geschafft?
Voigt: Weil es sehr schwer ist, Europa, das ja immer nur einstimmig handeln kann in der Außenpolitik, auf eine Linie zu bringen. Wenn die USA 50 verschiedene souveräne Staaten hätten, die alle ihre eigene Außenpolitik betreiben können und die sich nur einigen können, wenn sie alle zusammen stimmen, dann hätten sie die gleichen Schwierigkeiten, würden sich auch wechselseitig blockieren. Insofern tut die EU unter den gegebenen Bedingungen schon relativ viel und auch relativ viel Gutes, aber wir brauchen auch diesen Zusammenhalt, denn Trump wird versuchen, die Europäer auseinanderzudividieren, wenn er mit ihnen nicht einverstanden ist. Und an Deutschland reibt er sich ja sowieso ab, uns hat er gefressen. Vielleicht kompensiert er damit seine deutsche Herkunft.
Warum sich Trump an Deutschland abarbeitet
Müller: Wollte ich gerade fragen, wissen Sie eigentlich warum, weil sich das viele wieder gefragt haben, warum ausgerechnet Deutschland? Wir sind ja meistens freundlich zu ihm gewesen.
Voigt: Ich glaube, das liegt daran, so sagen mir das viele meiner amerikanischen Freunde, Deutschland ist inzwischen zu einem Symbol geworden für eine multilaterale und tolerante und an westlichen Werten orientierte Politik. Und das ist etwas, was Trump zutiefst zuwider ist. Insofern ist das nicht nur ein Abarbeiten an Deutschland, weil es Deutschland ist, sondern im internationalen Bereich wiederholt er damit seine Gegnerschaft zu den liberalen und sozialen Tendenzen, die er im eigenen Lande ja versucht bei diesen Wahlen zu besiegen.
Müller: Sie haben viel Zeit in Amerika verbracht, Sie kennen das Land sehr, sehr gut, Sie haben jetzt immer noch diesen engen Kontakt, reisen ja immer noch dahin, aber haben auch engen Kontakt, das haben Sie gerade auch erwähnt, zu Ihren Freunden. Das Thema Sicherheit, Fortgang des Wahlausgangs, des umgekehrten Wahlausgangs, haben wir auch noch nicht weiter thematisiert. Deswegen die Frage zum Schluss: Wird das Ganze in den kommenden Wochen friedlich abgehen?
Voigt: Ich kann es hoffen, aber meine amerikanischen Freunde sind sich dessen nicht sicher, sondern sie weisen zum Teil darauf hin, welche polarisierende Wirkung die Wahl von Lincoln gehabt hat 1860, wo dann die Folge ein Bürgerkrieg war. Keiner hofft, dass es so weit kommen wird, aber dass es ganz ohne Gewalt und Konflikte abgehen wird, das meint fast keiner.
Müller: Glauben Sie, es gibt irgendwo eine Schranke, eine Hürde, die er nicht überwindet, der amerikanische Präsident?
Voigt: Ich halte ihn für jemanden, der fast instinktartig die Hürden, die es für den Machtmissbrauch in allen Demokratien, dass er diese Hürden abbaut, zerstört, zerrüttet. Insofern ist er wirklich in mancherlei Beziehung, das werde ich von außen nicht ändern können als Deutscher und Europäer, auch eine Gefahr für die Demokratie.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.