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SPD "repräsentiert seit 150 Jahren demokratische Kontinuität"

Es sei ein Glück für Deutschland, dass es eine Partei wie die SPD hätte, sagt der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser. Die Arbeiterpartei habe immer einen gewissen Anspruch gehabt, auch Volkspartei zu sein.

Werner Abelshauser im Gespräch mit Birgid Becker | 23.05.2013
    Birgid Becker: Die SPD feiert ihren 150. Geburtstag in Leipzig. Vor 150 Jahren wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet, der Vorläufer der SPD. Unter den Gastrednern heute der Bundespräsident und Joachim Gauck erinnerte in der langen SPD-Geschichte an einen besonders denkwürdigen Tag: 23. März 1933, der Tag, an dem die SPD als einzige Partei im Reichstag gegen das von der NSDAP eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmte.

    Joachim Gauck: "Und das wollen wir uns merken, meine Damen und Herren. Damals haben 94 mutige Reichstagsabgeordnete nicht nur die Ehre dieser Partei gerettet, sondern die Ehre der deutschen Demokratie."

    Becker: Joachim Gauck heute auf der Jubiläumsfeier der SPD. - Doch lassen sich großer Geist und großer Mut von damals in politische Wertschätzung heute wandeln? Wie steht es um das, was man einen ökonomischen Fußabdruck der SPD nennen könnte? Wie lebendig kann man also sein nach 150 Jahren? – Das habe ich den Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser vor der Sendung gefragt.

    Werner Abelshauser: Na ja, das kommt darauf an, welche Ziele man damals hatte und wie die Lage heute ist, ob man die Ziele durchgesetzt hat und ob neue Ziele dazugekommen sind, wie glaubwürdig man ist und Ähnliches mehr. Also ich denke schon, es ist eigentlich ein Glück für Deutschland, dass es eine solche Partei hat, die 150 Jahre demokratische Kontinuität in diesem Lande repräsentiert.

    Becker: Anders als oft geglaubt war die SPD ja ursprünglich gar nicht mal eine reine Arbeiterpartei. Die frühen Führerfiguren der Sozialdemokratie waren ja meist bürgerlicher Herkunft und ihr Repräsentant Lassalle wird von seinen Biografen ja eher als Bohemien oder als Exzentriker beschrieben. Frage an Sie: Ist so eine Zweigesichtigkeit in der Partei der Partei geblieben?

    Abelshauser: Ja immer. Es waren immer auch Intellektuelle, die in der Partei das Sagen hatten bis zu einem gewissen Grat, und es war sozusagen der bürgerliche Mittelstand wie Lehrer und ähnliche Personen, die nicht zur Arbeiterklasse gehörten, aber sie hatten alle dasselbe Interesse, nämlich die soziale Frage zu lösen, die im 19. Jahrhundert ja darin bestand, dass eine ganze Klasse, ein großer Teil der Bevölkerung nicht partizipieren konnten an der Politik, und das war zunächst einmal das Ziel und je mehr man vorankam bei der Lösung dieses Problems, füllten sich dann die Reihen mit Facharbeitern, qualifizierten Arbeitern, und von daher war dann die SPD zwar eine Arbeiterpartei, aber immer mit einem gewissen Anspruch, auch Volkspartei zu sein.

    Becker: Sie haben eben eine politische, eine demokratische Kontinuität gewürdigt in diesen 150 Jahren. Wenn Sie in der deutschen Wirtschaftsverfassung nach genuinen SPD-Spuren fahnden, wo sehen Sie die?

    Abelshauser: Na ja, die größte Entscheidung, die die SPD mitgetragen hat oder überhaupt getragen hat, war die Entscheidung für die Revolution oder für die Zähmung des Kapitalismus. Der entscheidende Punkt war da 1919 im deutschen Bürgerkrieg nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, als sich die SPD klar gegen die Revolution entschieden hat. Sie hat das auf ihrem Mannheimer Parteitag 1906 ja bereits vorab überlegt und hat sich dann 1919 folgende in der Weimarer Republik für das Ziel entschieden, den Kapitalismus zu zähmen, ihn also nicht zu brechen, und für Gerechtigkeit, Solidarität, Gleichheit der Bürger einzutreten. Das ist, glaube ich, der entscheidende Punkt, der bis heute, denke ich, an Aktualität nichts verloren hat.

    Becker: Und diese Entscheidung setzte sich dann in gewisser Weise fort bis 1959, bis zum Godesberger Parteitag, von dem man ja sagt, damit sei die SPD dann in der sozialen Marktwirtschaft angekommen. Ist das zutreffend?

    Abelshauser: Ja. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es immer noch eine engagierte Debatte in der SPD, ob man nun Marktwirtschaft oder Planwirtschaft anstreben sollte, wobei Planwirtschaft damals in Westeuropa nicht dasselbe war, was dann in der DDR und in Russland praktiziert wurde, sondern Planwirtschaft war sozusagen eine moderne Technik der Wirtschaftspolitik, wie sie in England, in Frankreich, in den Niederlanden vor allem, auch vor allem natürlich in Skandinavien praktiziert wurde. Und man hat dann im Godesberger Programm sich auf die Lösung verständigt, Planung so viel wie nötig und Marktwirtschaft so viel wie möglich, und hat damit ja den Anschluss an die Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft hergestellt.

    Becker: Nun wurde ja nicht die SPD, sondern die CDU zur Gründungspartei der Bundesrepublik und damit eben auch der prägende Teil der sozialen Marktwirtschaft. An der Stelle noch mal nachgefragt: Was ist denn der bleibende Beitrag der SPD zur sozialen Marktwirtschaft?

    Abelshauser: Sie hat sich dafür entschieden, durchaus im Sinne der sozialen Marktwirtschaft diese hehren Ziele wie Gerechtigkeit, Solidarität und Gleichheit immer mit Leistung zu verbinden. Das heißt, sie hat sich immer für den Sozialstaat ausgesprochen und war kein Verfechter des Wohlfahrtsstaats, der ja sozusagen die sozialen Leistungen mit der Gießkanne einbringt, sondern sie hat es immer an Leistung geknüpft, an Lebensleistungen, an berufliche Qualifikation und so weiter, wie es dem bismarckschen Sozialstaat ja eigen war. Die SPD war zwar ursprünglich gegen den bismarckschen Sozialstaat, hat ihn dann aber sozusagen völlig für sich selbst übernommen, und von daher ist das, denke ich, ein ganz wichtiger Aspekt, dass die SPD soziale Gerechtigkeit verbunden hat mit dem Leistungsgedanken, und das war natürlich eine enorme Annäherung an das, was soziale Marktwirtschaft heißen könnte. Niemand weiß das ja so genau.

    Becker: Und weil das Ganze dann aber umkippte mit der Agenda 2010, von der Gerechtigkeit eine Unwucht bekam in Richtung der Leistung – Sie haben die beiden Begriffe genannt -, seitdem kommt die SPD dann nicht mehr mit ihrem Selbstbild klar und traut sich kaum mehr, das Thema soziale Gerechtigkeit auch für sich selber zu reklamieren. Oder ist das eine falsche Einschätzung?

    Abelshauser: Na ja, ich glaube, die Ursache liegt woanders, die Ursache dieser Verunsicherung. Seit Karl Schiller, der ja bis '72 Superminister war für Wirtschaft und Finanzen, hat die SPD eigentlich keine wirtschaftspolitische Konzeption mehr entwickelt. Man will zwar den Kapitalismus zähmen, das ist geblieben als Kontinuum, aber man weiß nicht so recht, was man an die Stelle oder welche Art, welche Spielart des Kapitalismus man fördern soll, und das hat dann bei der Agenda 10 dazu geführt, dass man etwas gemacht hat, was man für richtig gehalten hat, was aber nicht so recht eingeordnet wurde in eine Gesamtkonzeption, und das hängt der Partei immer noch nach.

    Becker: Wir haben eben gehört: Die SPD ist zurecht stolz darauf, dass sie am 23. März 1933 als einzige der im Reichstag verbliebenen Parteien gegen das von der NSDAP eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmte. Der Bundespräsident hat das gewürdigt. Ist solch eine Feststellung einfach eine Ehrerbietung an die Geschicke der Partei, oder lässt sich so etwas auch ummünzen in aktuelle politische Münze? Wenn ja, wie geht das?

    Abelshauser: Ich glaube nicht, dass das eine große Rolle noch spielt heute, aber es ist natürlich eine sehr ehrenhafte Leistung, die die SPD hier in die deutsche Parteiengeschichte und Demokratiegeschichte einbringt, und sie kann wirklich stolz darauf sein, dass sie hier nicht eingeknickt ist. Aber ich glaube oder ich fürchte, sie kann sich dafür nichts kaufen, jedenfalls keine Wählerstimmen, sondern hier wird sie daran arbeiten müssen, dass was als Ziel geblieben ist, nämlich Kapitalismus zähmen, konkret umzusetzen, was heißt das, welche Spielart des Kapitalismus ist für Deutschland die angemessene, und da muss die SPD dran arbeiten.

    Becker: Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser war das.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.