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SPD-Thüringen legt sich fest
Alles - nur keine GroKo

Große Koalition? Nicht mit der SPD in Thüringen. Als erster Landesverband stimmte Thüringen gegen eine Große Koalition. Vor allem die Jusos setzten ein klares Signal - gegen die GroKo und auch die alten Genossen.

Von Henry Bernhard | 21.12.2017
    Ein Juso-Mitglied verteilt am 16.12.2017 beim außerordentlichen Landesparteitag der SPD Thüringen in Erfurt (Thüringen) eine Plätzchentüte mit Werbung für den Gang in die Opposition.
    Die Jusos beantragten, dass sich die Bundes-SPD von einer Großen Koalition mit der CDU fernhalten soll (dpa / Arifoto Ug / Michael Reichel)
    "Gut, ich sehe jetzt keine weiteren Wortmeldungen … Ah! Carsten, Antrag zur Geschäftsordnung!?"
    "Ich will … möchte wissen, ob wir beschlussfähig sind!"
    "OK. Dann ist das jetzt als Antrag zur Geschäftsordnung … Ich bitte die Zählkommission, das zu prüfen!"
    "Niemand verlässt den Raum!"
    Es gibt wirkungsvollere Methoden, sich beliebt zu machen, als die, die Carsten Schneider gewählt hat. Schneider ist Bundestagsabgeordneter für die Thüringer SPD und als Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion ein einflussreicher Mann in Berlin. Beim Landesparteitag seiner Partei im kleinen Saal der Erfurter Messe ist er aber nur einer von gut 200 Delegierten. Aber einer, der lautstarkes Murren im Saal veranlasst: Eine knappe Stunde wurde über einen wichtigen Antrag diskutiert – und nun will Schneider mit einem Geschäftsordnungstrick die Abstimmung darüber verhindern. Ausnutzen, dass es schon später Nachmittag ist, dass der Parteitag seit morgens läuft, und dass viele schon gegangen sind.
    "Ja, bitte alle auf ihren Plätzen bleiben! Und, genau, mit Karte zeigen, damit wir das schnell feststellen können!"
    Nie die großen SPD-Zeiten miterlebt
    Worum es Schneider geht: Die Jusos beantragen, dass sich die Bundes-SPD von einer Großen Koalition mit der CDU fernhalten soll. Das ist nichts, was die SPD-Spitze in Berlin jetzt gebrauchen kann. Der Thüringer Juso-Vorsitzende Oleg Shevchenko begründet den Antrag:
    "Dass ein einstimmiger Parteitagsbeschluss gegen eine Große Koalition plötzlich von ganz vielen Parteivorstandsmitgliedern kritisiert worden war, kurz darauf, war ehrlich gesagt für mich unerträglich. Und dann war es wieder soweit: Ganz viele Nachrichten von den Jusos und Anrufe. Voller Wut und voller Enttäuschung. Die haben mir gesagt: 'Nein, sorry, aber das geht halt nicht! Ich möchte keine Große Koalition, dafür bin ich nicht eingetreten!' Als ich zum Bundesparteitag fuhr, meinten meine Mitbewohner, die nichts mit der Politik zu tun haben: 'He, Oleg, wenn Du jetzt die GroKo nicht verhinderst, brauchst Du nicht mehr wieder zu kommen!'"
    Shevchenko erklärt, dass er nie die großen Zeiten der SPD miterlebt habe, schon gar nicht die mit Willy Brandt.
    "Ich habe keinen Bock, Teil der Generation zu sein, die am Ende das Licht ausschalten muss, weil die Sozialdemokratie mickrig geschrumpft worden ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass die AfD weiter durch die Rolle der Oppositionsführung gestärkt wird, sondern haben eine Verantwortung zu übernehmen, die in der Demokratie ein unheimlich hohes Gut ist. Lasst uns deshalb ein klares Signal setzen: Venceremos, keine GroKo, vielen Dank!"
    Aufstand gegen die Genossen in Berlin
    Das ist der Aufstand gegen die Genossen in Berlin, gegen das Willy-Brandt-Haus. Und das in einer Zeit, in der die Sozialdemokraten um Geschlossenheit ringen, in der die Verhandler Rückendeckung brauchen, wenn sie denn in Sondierungen mit der Union eintreten wollen. Der Landtags-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey formuliert später die Zweifel des Landesvorstands:
    "Es gab die Debatte: Darf das der Landesverband überhaupt? Darf der Landesvorstand so einen Antrag überhaupt passieren lassen? Darf man darüber abstimmen? Aber zum Schluss ist es ja dann doch so gekommen."
    GroKo: Die Älteren sind dafür, die Jungen dagegen
    Die Debatte wogt hin und her. Die Alten in politischer Verantwortung und mit Posten tendieren eher für eine Große Koalition, die Jungen sind fast geschlossen dagegen.
    "Ich will einsteigen mit einem Zitat von Albert Einstein: 'Die Definition von Wahnsinn ist es, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten."
    SPD-Bundestags-Mitglied Carsten Schneider diskutiert während eines Streitgesprächs.
    Carsten Schneider, SPD-Vizefraktionschef, hält das Risiko, bei einer Neuwahl zerschmettert zu werden, für extrem hoch. (imago/Christian Schroth)
    Carsten Schneider, der Bundestags-Strippenzieher, warnt vor vermeintlichen Alternativen, die gar keine seien:
    "Es ist mehr oder weniger ein Misstrauensbeweis gegenüber dem Parteivorstand und dem Bundesparteitag, das muss man wissen! Es gibt keine Tolerierung! Die Union wird das nicht machen. Es gibt eine Mehrheit im Deutschen Bundestag, und die ist rechts von der SPD. Und wer die linke Interessengruppe und die Bevölkerung schützen will, muss verhindern, dass die rechte Seite – CDU, FDP und AfD – gemeinsam Beschlüsse fasst. Ich sehe es jeden Tag im Bundestag, das haben die einkalkuliert! Das ist irre, Leute! Und das Risiko, bei einer Neuwahl zerschmettert zu werden, halte ich für extrem hoch!"
    Dass zu allem Überfluss noch der amtierende Außenminister und Ex-Parteichef Sigmar Gabriel im "Spiegel" eine Debatte über Heimat, Identität und Leitkultur statt Gender und Klimaschutz anzettelt, geht an der Thüringer Basis ganz vorbei. Der Thüringer Fraktionschef Matthias Hey weist aber darauf hin, dass diese Diskussion jedenfalls nicht in einer Großen Koalition geführt werden könne.
    "Große Koalition? Nicht mit uns!"
    "Weil ich der festen Überzeugung bin, dass es der SPD in der momentanen Lage nicht gut tut. Die muss sich selber finden. Und das kann nicht drei Monate, sondern auch mal zweieinhalb Jahre dauern. Also keine Angst: Wenn wir sagen, wir machen keine GroKo, dann gibt es aus meiner Sicht heraus auch keine Neuwahlen, dann bricht auch nichts auseinander, dann wird es auch in Berlin eine Regierung geben. Aber dass wir immer wieder die Füllwatte vom Regierungskissen von Angela Merkel sein müssen, das erschließt sich mir nicht."
    "Also, bitte noch mal alle Delegierten ihre Karte ganz klar und eindeutig nach oben!"
    Drei Mal muss durchgezählt werden, um auf dem Parteitag die Beschlussfähigkeit festzustellen, die Carsten Schneider angezweifelt hatte.
    "Ok, gut. Also, wir haben jetzt ein Ergebnis mit 117. Damit sind wir beschlussfähig."
    Der Beifall nimmt es schon vorweg: Der Antrag "Große Koalition? Nicht mit uns!" der Thüringer Jusos wird kurz darauf mit großer Mehrheit angenommen. Nicht nur, aber auch: Die Jungen gegen die Alten, die Provinz gegen die Zentrale, die schwache Ost-SPD gegen die etwas stärkere West-SPD, die Gesinnungs- gegen die Verantwortungsethiker. Die Diskussion geht weiter.