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SPD und Europawahl
Andrea Nahles unter Druck

Wegen Spekulationen, einige Abgeordnete aus NRW und Niedersachsen könnten bald den Aufstand gegen Andrea Nahles proben, steht die SPD-Chefin unter Druck. Sollte ihre Partei bei der Europawahl schlecht abschneiden, könnte das aber nicht nur Nahles in Bedrängnis bringen - sondern auch die Große Koalition.

Von Frank Capellan | 20.05.2019
29.10.2018, Berlin: Andrea Nahles (SPD), Bundesvorsitzende der SPD, beantwortet nach der Sitzung des Vorstandes der SPD-Bundespartei im Willy-Brandt-Haus Fragen von Journalisten zu den Ergebnissen der Landtagswahl in Hessen
Auf die Zukunft von Andrea Nahles hat die Europawahl großen Einfluss (picture alliance/Wolfgang Kumm/dpa)
"Neue Stärke" – unter diesem Motto treffen sich die beiden mitgliederstärksten Landesverbände bereits Anfang Januar in Osnabrück – Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen halten zusammen, ohne uns läuft nichts, lautet die Botschaft schon damals – ausgerechnet einen Tag vor der Klausur der Bundestagsfraktion zelebrieren die beiden Verbände ihr Gewicht.
Andrea Nahles ist als Gastrednerin vor Ort, doch die Fraktionschefin muss diese Zusammenkunft als Affront empfinden. Jetzt könnte sie sich darin bestärkt sehen – angesichts der Spekulationen, einige Abgeordnete aus NRW und Niedersachsen könnten bald den Aufstand gegen sie proben.
Dossier: Europawahlen
Europawahlen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Schlechtes Wahlergebnis würde Diskussionen anheizen
Tatsächlich dürfte ein schlechtes Wahlergebnis bei der Europawahl am kommenden Sonntag Diskussionen über die Zukunft der Partei und Fraktionsvorsitzenden wieder anheizen. 20 Prozent gelten als die kritische Marke, wichtig wird zudem sein, wie es in Bremen ausgeht. Es ist zwar nur ein kleiner Stadtstaat, doch dort regieren die Sozialdemokraten seit mehr als 70 Jahren, sollte diese Bastion fallen, wäre das ein Fanal.
"Bremen ist SPD pur, kennt jeder, weiß jeder, ist so geatmet", räumt ein ostdeutscher Sozialdemokrat ein, Carsten Schneider, als Fraktionsgeschäftsführer ein enger Vertrauter der unter Druck stehenden Andrea Nahles: "Und deswegen ist es für uns so wichtig, dass Carsten Sieling dort auch Bürgermeister bleibt!"
Dass sich Andrea Nahles freiwillig vom Fraktionsvorsitz zurückziehen könnte, sollte dies nicht gelingen, gilt als unwahrscheinlich. Und Achim Post, der Chef der NRW-Landesgruppe, ist nicht gerade ein Scharfmacher, der einen Putsch gegen Nahles anstreben dürfte.
"Ich persönlich glaube aber nicht, dass dieses Wahlergebnis zu einer Störung des Betriebsklimas, sondern sogar zu einer Infragestellung der Koalition führen wird, sondern dass Landtagswahlen und auch Europawahlen immer ihre eigene Bedeutung auch haben."
Große Koalition in Gefahr
Doch es folgen im Spätsommer und Herbst Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Sollte sich der Abwärtstrend der Sozialdemokraten dort fortsetzen, sollte auch die Union weiter verlieren, könnte das die Große Koalition ans Ende bringen. Denn auch die noch neue CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer steht vor einer Bewährungsprobe. Paul Ziemiak, ihr Generalsekretär stärkt ihr am Morgen im ntv-Interview demonstrativ den Rücken
"Sie hat vor allen Dingen jetzt auch einen tollen Start hingelegt, und wenn Sie sich umhören an der Basis, vor allem auch in der CDU, dann finden alle, sie macht es genau richtig, als erstes hat sie die Partei zusammengeführt, jetzt geht es darum, dass die Partei ihr Profil nochmals schärft, insofern freuen wir uns auf diesen Wahltag am Sonntag. Wir wollen ein noch besseres Ergebnis erzielen und dafür kämpfen wir."
Dass auch die Union in den Umfragen schlecht dasteht, könnte auch in der Aufgabenteilung zwischen Kanzlerin und Parteivorsitzender begründet liegen. Zwar hat CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer bekräftigt, Angela Merkel im Kanzleramt nicht vor 2021 beerben zu wollen – doch ein Einbruch der Christdemokraten könnte auch im konservativen Lager die Debatte neu entfachen.
Schulz kritisiert Merkel für Zurückhaltung im Wahlkampf
Dass sich Merkel, die lange Zeit stärkste Frau Europas, im Wahlkampf zurückhält, sieht mancher als Fehler – und Ex-EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, ihr Kontrahent bei der letzten Bundestagswahl, legt den Finger genau in diese Wunde:
"Ich kann es ehrlich gesagt gar nicht fassen, dass die Regierungschefin dieses Landes nicht im Europawahlkampf auftreten will. Das ist ein unhaltbarer Zustand, ein Signal, ich nehme ihn nicht wichtig. Und dann darf sie sich nicht darüber wundern, dass es im Volk Leute gibt, die sagen, na ja, wenn die Merkel sich schon nicht engagiert, warum sollte ich das dann tun."
Der Ausgang der Europawahl könnte also erneut dazu führen, dass diese Koalition wieder einmal in Frage gestellt wird, von welcher Seite auch immer.