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SPD
Von Stimmungen, Enttäuschungen und Fehlern

Seit 1990 hat sich die Mitgliederzahl der SPD halbiert, die Umfrageergebnisse befinden sich im freien Fall - zu farblos, keine klaren Standpunkte, kein Profil. Diese Kritik kommt nicht nur von Ex-Mitgliedern, sondern auch aus den eigenen Reihen. Ein Ziel der Kritik: der SPD-Vorsitzende und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel. Sind die Tage der SPD als Volkspartei gezählt?

Von Susanne Betz und Andrea Herrmann | 01.08.2016
    Besucher im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD, verfolgen unter der Statue von Willy Brandt Hochrechnungen zur Bundestagswahl 2009 am Fernseher.
    Besucher im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD, verfolgen unter der Statue von Willy Brandt Hochrechnungen zur Bundestagswahl 2009, die eine herbe Enttäuschung für die Anhänger war. (imago stock&people)
    Goslar im Harz. Zwei Dutzend Kinder aus Syrien, Kasachstan und Afghanistan spielen Fußball, tollen auf einer Hüpfburg. Das Gelände gehört zum Areal eines Integrationszentrums für Flüchtlinge, das der Landkreis Goslar ins Leben gerufen hat.
    Zu Goslar gehört auch Sigmar Gabriel. Der Bundesvorsitzende der SPD wurde hier geboren, hierher zurück ist er mit seiner zweiten Familie gezogen, Teile Goslars gehören zu seinem Wahlkreis. Nur logisch, dass Sigmar Gabriel an einem Vormittag Ende Juni diesem Integrationszentrum mitten in einem idyllischen Buchenwäldchen einen Besuch abstattet. Auf dem Weg - vorbei an Holzhäusern und Hüpfburg - steht ein syrisches Paar und streckt ihm ein wenige Monate altes Mädchen entgegen. Der Übersetzer erklärt:
    "Die kleine Merkel. Sie heißt Merkel. Er wollte sich bei Frau Angela Merkel bedanken. Deutschland ist für ihn ein Paradies. Aus Dankbarkeit hat er seine Tochter Merkel genannt."
    Sigmar Gabriel stutzt. Schnauft. Er wirkt müde, sein Anzug ist angeknittert. Er ringt sich ein Lächeln ab. "Armes Kind" raunzt er. Als das Mikrofon sich seinem Mund nähert, sagt er:
    "Das kleine Kind. Es gibt viele Menschen, die dankbar sind, dass die Bundesregierung und Deutschland sie aufgenommen hat. Es gibt dann sogar Menschen, die ihre Kinder nach deutschen Politikern, in diesem Fall nach der Kanzlerin benennen. Das ist schon rührend."
    Für Gabriel ist es symptomatisch. Der Vizekanzler und Wirtschaftsminister – immer steht er im Schatten der Kanzlerin. So wie die SPD in den Schatten der CDU gerückt ist.
    Die SPD in Not
    Der Chef der Sozialdemokraten ist in Not. Weil seine Partei in Not ist. Die älteste und prototypische deutsche Partei verfügt über immer weniger verlässliche Milieus, beziehungsweise findet kaum noch Wähler jenseits dieser Milieus.
    Mit einem 74-Prozent-Wahlergebnis haben die Funktionäre der SPD Gabriel beim letzten Parteitag abgewatscht. Aber die Partei hat schon immer gern ihre Vorsitzenden gequält. Thomas Brych, der Landrat von Goslar, findet das fies. Mildert seinen Ärger aber vorm Mikrofon ab.
    "Viele der Menschen, die in der SPD sind, wissen, was sie an Sigmar Gabriel haben. Ohne Wenn und Aber. Die SPD ist ja von jeher eine Partei, die sehr diskussionsfreudig ist, und auch öffentlich sehr diskussionsfreudig ist. Also ich hätte mir mehr Loyalität ihm gegenüber gewünscht."
    Andererseits gibt es auch niemanden anderen, der Gabriels Job übernehmen und die SPD raus aus dem Tal der Tränen führen möchte. Vor genau einem Jahr war Gabriel noch überzeugt, dass die SPD ihre sozialpolitischen Ansprüche nur mit einer mittigen Mehrheit durchsetzen kann. Als Wirtschaftsminister gibt er den Pragmatiker. Derzeit strebt er symbolisch zurück zu einer "Politik für die kleinen Leute". Rot-Rot-Grün wird ins Spiel gebracht. Zwei Schritte vor, einer zurück. Gabriel laviert und taktiert. Wie soll da die "Erkennbarkeit" – neuer Slogan aus dem Willy-Brandt-Haus - besser werden?
    "Es ist ja nicht so, dass man sich als Sozialdemorat darüber ärgern darf, wenn Dinge, die wir früher richtig fanden und die CDU bekämpft hat, heute von der CDU auch so gesehen werden. Und Vertrauen verlieren geht schnell, es zurückgewinnen dauert. Aber ich glaube, wir sind auf einem ziemlich guten Weg, ich habe keine Sorgen."
    Stärke in den bayerischen Städten
    Die schmalen Gassen in der Dachauer Altstadt führen nach oben zum Ludwig-Thoma-Haus: Der Saal für die Bürgerversammlung ist gut gefüllt. Katharina Szimaier, eine ältere Dame, kann es kaum erwarten, über den SPD-Oberbürgermeister zu sprechen.
    "Er hat was los, das ist ein Schatz! Die Reden, die er hält, zum Beispiel auch am Volkstrauertag, vor der Kirche: mein Gott, eine geschliffene Rede! Jeden Punkt hat er angesprochen, auch schon die Migranten, die Flüchtlinge und so. Toll! Eine Rhetorik hat der!"
    Und das will etwas heißen: Schließlich ist die 74-Jährige klassische CSU-Wählerin und der, den sie so super findet, ist Sozialdemokrat: Florian Hartmann, seit gut zwei Jahren Chef im Dachauer Rathaus. Gerade einmal 27 Jahre alt war Hartmann, als er den CSU-Amtsinhaber Peter Bürgel in einer Stichwahl besiegte. Ein Riesenerfolg für den jungen Mann. In den Städten ist sie eben stark, die bayerische SPD, man schaue nur nach München, Nürnberg oder Erlangen. Landesweit aber kriegen die Genossen kein Bein auf den Boden, kommen momentan gerade mal auf 17 Prozent in den Umfragen. Was läuft da falsch ...
    "Man hat halt oft das Problem als Opposition - das kenn ich auch aus dem Stadtrat, ich war ja da auch sechs Jahre in der Opposition -, dass man oft gar nicht gehört wird von den Medien, was man alles für tolle Ideen hätte. Ja, man hat dann keine Möglichkeit, seine tollen Ideen und Idealvorstellungen überhaupt dem Bürger mal zu präsentieren oder darüber zu diskutieren."
    Wenn denn die Bürger überhaupt darüber diskutieren wollen. Die Bereitschaft sich politisch für die SPD einzubringen sei nicht besonders groß, sagt der Dachauer Oberbürgermeister. Auch und gerade im wohlhabenden Bayern.
    "Da sind vielleicht zu viele sozialdemokratische Werte umgesetzt worden, die in unserer Gesellschaft selbstverständlich geworden sind. Und da ist man faul geworden für seine Sache zu kämpfen, weil man sagt: Naja, uns geht's ja eigentlich ganz gut. Das, denk ich, ist so ein Problem auch der Müdigkeit."
    An den Themen liege es jedenfalls nicht, meint Hartmann, die SPD habe gerade in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik gute Konzepte. Vielleicht fehlten manchmal die richtigen Leute auf den richtigen Posten.
    Zurück im Ludwig-Thoma-Haus. Die Bürgerversammlung geht zu Ende.
    "Gibt's weitere Wortmeldungen?"
    Die gibt es nicht. Die Dachauer machen sich auf den Heimweg. Was oder wen braucht es, um die SPD wieder zu alter Stärke zu führen?
    "Ich glaub, man braucht wirklich die klaren Standpunkte, man muss für Standpunkte eintreten. Welche Person das am Ende ist, das vermag ich nicht zu beurteilen. Es braucht eine Person, die Profil hat und auch Kante hat, das braucht's."
    Sorgen mache er sich jedenfalls nicht um die SPD, sagt Florian Hartmann. Allen Umfragen zum Trotz. Die Sozialdemokratie sei fest verankert in der Gesellschaft und der Politik. So wie er in der SPD:
    97,4 Prozent also. Für Olaf. Beim Vornamen werden sonst Fußballstars oder Models genannt. In der SPD auch nur Olaf Scholz. Der steht in dunkelblauem Anzug auf dem Podium des Bürgerhauses von Hamburg-Wilhemsburg. Ausnahmsweise ohne Krawatte verkneift der SPD-Landesvorsitzende und Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt ein wenig sein Gesicht, was bei ihm wohl ein Lächeln sein soll.
    "Das ist eine gute Basis, um beschwingt weiter zu machen. Man weiß ja, dass das nicht selbstverständlich ist. Ich weiß es jedenfalls ganz genau und deshalb bin ich sehr dankbar für jede Stimme."
    Standing Ovations. Die angeblich unterkühlten Hanseaten sind außer sich. Scholz hat, nachdem er das Parteiamt 2009 übernahm, die Hamburger Sozialdemokraten grundsaniert. Er praktiziert Law and Order nicht nur in Hamburger Problemvierteln, sondern auch im Landesverband.
    "Er ist halt immer klar und zuverlässig, was er sagt, das macht er. Was vorgegeben wird, wird auch umgesetzt.
    "Das funktioniert in HH. Und das ist der Person Olaf Scholz zu verdanken."
    Eine Heilige Dreieinigkeit: Olaf, SPD, Hamburg. Britta Schlage, Delegierte aus Hamburg-Bergedorf, verkörpert von ihren Perlen in den Ohren bis hinter zu den hochhackigen Pumps den im Rest der Republik selten gewordenen Stolz auf die eigene Partei.
    "Wir haben das sehr gut geschafft, wieder geschlossen inhaltliche Konzepte zu entwickeln. Die umzusetzen. Und deshalb sind wir sehr erfolgreich, und das ist ein Unterschied zu manchen anderen Landesverbänden.
    Das ist auch ganz bewusst, dass wir uns weiter als Volkspartei verstehen. Und jetzt nicht anfangen wegen geringer werdender Umfragewerte im Bund zurückzufallen und zu sagen, wir sind eine kleine Klientelpartei. Nein, sind wir nicht."
    Kritik an Gabriel aus den eigenen Reihen
    Während die Wahlen der Beisitzer stattfinden, isst Olaf Scholz eine Wurst in der Semmel. Konzentriert. Kein Smalltalk. Im Wahlkampf sprachen die Wirtschaftsverbände ihm und nicht dem CDU-Kandidaten ihr Vertrauen aus. Seine Partei heimste im vergangenen Jahr 45,7 Prozent ein – mit Abstand das beste SPD-Ergebnis in allen Bundesländern - die Stadt boomt, es wird wie verrückt gebaut, der Hafen trotz grünem Koalitionspartner vertieft. Von den 6.000 neuen Wohnungen pro Jahr sind ein Drittel Sozialwohnungen. Gleichzeitig ist Hamburg im Länderfinanzausgleich das erste Geberland seit Langem unter einer SPD-Regierung.
    "Hamburgs SPD ist eine Partei, die schon immer darauf gesetzt hat, dass die Wirtschaft auch gut funktioniert. Deshalb gibt es auch viele in der Wirtschaft, die die SPD wählen, was sie vielleicht bei anderen Wahlen nicht machen würden."
    Hamburg also als Blaupause für die SPD im Bund? Olaf Scholz wäre für einen Linksschwenk nie zu haben, wie ihn der Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel gerade anpeilt, schon gar nicht für Rot-Rot. Dafür hält Scholz in der jüngsten Zeit auffallend oft Reden zur Lage der Nation oder zur Außenpolitik. Läuft der humorfreieste, nüchternste, aber erfolgreichste SPD-Landeschef sich warm für die Kanzlerkandidatur? Kein Ja, aber auch kein Nein. Nur soviel:
    "Die Spitzenkandidaten der SPD waren immer welche, denen man zugetraut hat, das Ganze Land zu regieren und es zu führen. Das wir das erreichen, dass jeder sagt: Dann fühle ich mich gut, wenn schwierige Zeiten sind."
    Sigmar Gabriel stehe sich mit seiner Funktion als Wirtschafrtsminister als SPD-Vorsitzender selbst im Weg.
    Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bei einer Pressekonferenz. (dpa-Bildfunk / Michael Kappeler)
    Dortmund-Scharnhorst-Ost. Ein Stadtteil, der Ende der 60er-Jahre aus dem Boden gestampft wurde, dort wo mal Wiesen und Felder waren. Es mussten Wohnungen her für Industriearbeiter und ihre Familien. Plattenbauten bestimmen auch heute noch das Bild. Scharnhorst ist ein sozialer Brennpunkt – und SPD-Hochburg. Lars Wedekin ist mit Ende 20 schon Vorsitzender der SPD im Stadtbezirk. Auf Sigmar Gabriel ist der Juso nicht gut zu sprechen:
    "Auf der einen Seite müsste er als Parteivorsitzender sozialdemokratische Werte offensiv vertreten, wird aber immer wieder durch sein eigenes Selbst als Wirtschaftsminister gebremst, und setzt da Sachen um, zum Beispiel die höchste Anzahl von Rüstungsexporten glaub ich, die jemals gezählt worden sind."
    Als SPD-Chef ist Sigmar Gabriel für den Juso unten durch. Und als Kanzlerkandidat will er ihn auch nicht haben. So viel zum Personal. Mindestens genauso wichtig sei aber, mit welchen Themen die SPD in den Wahlkampf geht, meint Lars Wedekin und Willi Most nickt.
    Die SPD müsse sich wieder auf ihr Kernthema besinnen, sagt er, soziale Gerechtigkeit. Most - weiße Haare, Karohemd - ist seit fast 50 Jahren Parteimitglied:
    "Wir müssen endlich auch die Steuern so gestalten, dass es sozial gerecht ist. Dass die, die viel haben, mehr bezahlen, als die, die wenig haben. Wir brauchen jemanden, der deutlich macht, was wir als Sozialdemokraten wollen und nicht, was mit den Schwarzen in der Regierung umsetzbar ist."
    Überhaupt: die Große Koalition. Die Unzufriedenheit mit dieser politischen Vernunftehe ist bei den Dortmunder Genossen deutlich spürbar, auch bei Gerti Zupfer:
    "Die Große Koalition hat nicht so viel gebracht, weil zum Teil die Dinge, die umgesetzt worden sind, unsere Handschrift tragen, das ist aber beim Bürger nicht angekommen. Da gibt es für uns n Nachholbedarf. Und in der Opposition waren wir immer sehr gut, deshalb hätte ich auch da nichts dagegen."
    Klare Botschaften gefordert
    Ein kleines italienisches Lokal in der Dortmunder Innenstadt. Mittagessen mit dem SPD-Landtagsabgeordneten Armin Jahl. Der 68-Jährige wird bei der nächsten Landtagswahl wohl erneut für die SPD antreten. Sein Blick ist auf 2017 gerichtet, auf die Bundestagswahl. Die SPD müsse hier mit einem überzeugenden Programm antreten, einer klaren Botschaft:
    "Also es ist wichtig, dass die Basis beteiligt wird, dass die SPD-Unterbezirke beteiligt werden, dass die Bürger über Internet und andere Möglichkeiten die Chance haben, auch ihre Position mit einzubringen. Ich hoffe, dass wir damit gemeinsame eine Position entwickeln können, die eben Mitte-Links zu verorten ist. Obwohl das immer nur eine grobe Richtung sein kann."
    Der SPD-Landtagsabgeordnete fände Rot-Rot-Grün durchaus attraktiver als eine Neuauflage der Großen Koalition. Damit spricht er so manchem Genossen aus der Seele. Vor allem aber müsse die SPD ihr Profil schärfen, sagt Armin Jahl:
    "Man muss im Wahlprogramm, beziehungsweise bevor man dann in mögliche Koalitionsverhandlungen eintritt, deutlich machen, welche Positionen man als SPD auf keinen Fall aufgeben wird."
    Also, lieber erhobenen Hauptes in die Opposition? Aber nur im äußersten Notfall, sagt Armin Jahl. Er empfiehlt der SPD, nach der Bundestagswahl engagiert und entschlossen über eine Regierungskoalition zu verhandeln – mit wem auch immer.
    Karin Richardt schafft eine Leiter ran, steigt hoch, klopft aufs Gehäuse. Der Video-Turm, der den Besuchern der Dauerausstellung die "sozialdemokratischen Grundwerte" erklären soll, streikt mal wieder. Aber die Geschäftsführerin der "August-Bebel-Gesellschaft" betet sowieso die Kernkompetenzen Solidarität und Gerechtigkeit im Schlaf herunter.
    In Eisenach also stand 1869 die Wiege der Sozialdemokratie. Immerhin funktionieren die Kopfhörer, um sich die einschlägigen Lieder anzuhören. Die bröckelnde Außenfassade ist gerade auf Kosten der Bundespartei eingerüstet und wird grundsaniert. Karin Richardt schüttelt ihr braunes Haar und zieht Vergleiche.
    "Das Haus ist wie eine Partei. Ich sage, von innen sind wir gesund und ausbaufähig und von außen ist etwas der Lack ab. Ich hoff doch auch, dass insgesamt bei der SPD der Lack wieder etwas dran kommt und wir dann wieder ein paar Prozent mehr haben bei den nächsten Wahlen."
    Dann steht auch schon Christian Ude vor ihr. Ex-Oberbürgermeister von München und prominenter Gast beim Sommerfest der Eisenacher. Aber vorher wird er an den Schautafeln zum SPD-Verbot 1933, zu Willy Brandt und zur Agenda 2010 vorbeigeführt.
    "Schröder war 2006 da." "Wird die jetzige Regierung Thüringens auch dargestellt?"
    Will Christian Ude wissen. Nein, wird sie nicht. Die SPD ist in Erfurt Juniorpartner der Linken. Der Nachfolgerin der SED, die sich die SPD einst zwangseinverleibt hatte. Kein Bild, kein Ton dazu in der Ausstellung. Nur mühsam kaschierte Verzweiflung bei der Kreisvorsitzenden von Eisenach, die fünf Gehminuten weiter zum Sommerfest im Kunstpavillon der Stadt begrüßt.
    "Wir haben aktuell noch 75 Mitglieder im Ortsverein. Wenn ich sehe, dass mein Ortsverein früher doppelt so viele Mitglieder hatte, dann stimmt mich das ein wenig traurig, dass ausgerechnet hier, wo die Wiege der Sozialdemokratie ist, die Partei auch ein bisschen leidet und ein bisschen ausgeblutet ist. "
    Trotzdem schüttelt Heidrun Sachse, 37, vollschlank, studierte Politikwissenschaftlerin an dem Tag erstaunlich viele Hände.
    "Wir trinken gleich ein Gläschen Sekt zusammen, dann genießt draußen die Würste und habt einen schönen Abend ... "
    SPD in Thüringen im freien Fall
    Sommerfest hin oder her. Die SPD in Thüringen befindet sich im freien Fall. 12,4 Prozent der Stimmen bei der Landtagswahl vor anderthalb Jahren. Splitterpartei hinter CDU und Linken.
    "Im Prinzip kann es nicht schlimmer werden. Und dann geb es tatsächlich Umfragen, die uns bei noch einem Prozent weniger gesehen haben. Das ist ein sehr frustrierendes Gefühl."
    Sind die Eisenacher Sozialdemokraten allesamt Masochisten oder einfach solidarisch bis in den Untergang? Denny Saul, der gerade mit dem Studium fertig und auf Jobsuche ist, steht stundenlang am Grill und wendet geduldig Thüringer Bratwürste.
    "Wir haben sicherlich Fehler gemacht in der Vergangenheit. Aber wir sind ja kein starres Korsett. Natürlich kann man sich auch wieder verändern. Man kann sagen, wir rücken wieder etwas nach links zu unserer Urposition. Wie gesagt, die Position der Arbeitnehmerschaft zu vertreten, das ist ein großes Kernkriterium."
    Aber auch in Thüringen schrumpft die klassische Arbeiternehmerschaft. Mit der grandiosen Geschichte im Rücken haben die Genossinnen und Genossen die geballten Probleme der SPD vor der Haustür: In Erfurt gibt der linke Ministerpräsident Bode Ramelow den Takt an, die SPD richtet sich danach. In Berlin wird sie von der CDU-Kanzlerin Angela Merkel erdrückt. Und dazu die ewige SPD-Krankheit "falsche Bescheidenheit".
    "So beim Bürger mit der Tür ins Haus fallen, nein, wir Sozialdemokraten machen das ganz anders. Wir machen Sommerfeste. Und dafür tragen wir Biergartenbänke und Biergartentische auf menschenleere Plätze, um den Bürgern ein Fest zu bereiten. Der Nachteil ist nur, dass der Bürger meist nicht kommt, aber daran ist er dann selbst schuld."
    Christian Ude liest aus seinen Memoiren. Das Sommerfest geht lang. Und am Schluss jubelt Heidrun Sachse, die Kreisvorsitzende: "Ein Neueinritt." Die SPD in Eisenach hat ein neues Mitglied.