Donnerstag, 25. April 2024

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SPD will auch im Bund mit wirtschaftspolitischen Themen punkten

Der haushohe Wahlsieg der Hamburg-SPD wird zum Vorbild für die Bundespartei: Parteichef Gabriel ruft die von Olaf Scholz gesetzte Kombination aus Wirtschaftsstärkung und sozialer Verantwortung zum neuen Credo der SPD aus.

21.02.2011
    Dirk Müller: Ein fulminanter Sieg für die SPD mit einer absoluten Mehrheit, eine disaströse Niederlage für die CDU. Die Wahlen in Hamburg sind zwar so ausgegangen, wie die Meinungsforscher vorausgesagt haben, aber in dieser Deutlichkeit ist es dennoch für fast alle überraschend ausgefallen. Die FDP kommt wieder in die Bürgerschaft, Guido Westerwelle kann aufatmen, und die Grünen bleiben weit hinter dem Bundestrend zurück.
    Hartz IV und die Wahlen in der Hansestadt, unsere Themen nun mit SPD-Chef Sigmar Gabriel. Guten Morgen!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Müller: Herr Gabriel, werden Sie jetzt auch wirtschaftsfreundlich?

    Gabriel: Das waren wir schon immer. Ich glaube, das ist keine besonders neue Botschaft, denn denken Sie mal daran, dass es Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholz waren, die in der Großen Koalition die Weichen gestellt haben dafür, dass Deutschland gut durch die Wirtschaftskrise kommt.

    Müller: Die Frage war ja, ob Sie jetzt wirtschaftsfreundlich werden.

    Gabriel: Ach Gott, das war ich als Umweltminister ganz bestimmt auch. Jedenfalls meine ich mich zu erinnern, dass der Ruf schon ganz gut war. Worum es geht, ist – und das ist in Hamburg wirklich gelungen – zu zeigen, dass wirtschaftliche Kraft und wirtschaftliche Entwicklung wieder mit sozialer Verantwortung gepaart werden müssen. Das, finde ich, ist das, was Olaf Scholz als großes Signal da in Hamburg für die Sozialdemokratie gut hinbekommen hat, und das ist natürlich auch die Position, die wir im Bund einnehmen.

    Müller: Wir haben vor gut 20 Minuten darüber mit FDP-Generalsekretär Christian Lindner gesprochen. Hören wir mal, was er gesagt hat.

    O-Ton Christian Lindner: Gabriel führt seine Partei nach links, in Richtung auf die Linkspartei, Olaf Scholz führt die Hamburger SPD in die Mitte, gewinnt damit, Sigmar Gabriel ist ein Polemiker, Olaf Scholz ist ein nüchterner Analytiker, und damit hatte Scholz Erfolg und deshalb zeigt sich daraus für mich, diese Strategie für die SPD war erfolgreich, die Strategie der SPD im Bund ist ganz anders als die der hamburgerischen.

    Müller: So weit also Christian Lindner. – Sie beide werden keine Freunde mehr?

    Gabriel: Ach, der Lindner. Was soll er denn sagen als FDP-Generalsekretär? Er muss ja versuchen, an so einem Tag irgendwie ein bisschen Streit zu säen. Ich habe da Verständnis für. Aber ich meine, Olaf Scholz und ich sind gut befreundet, er ist mein Stellvertreter im Bund. Wir machen das, glaube ich, schon ganz gut gemeinsam. Und was immer Herr Lindner sagt, die SPD ist eine Partei, die eben anders als die FDP aufs Gemeinwohl setzt, und das bedeutet, das hat man früher in Hamburg gesagt, Bündnis zwischen Kaufmannschaft und Arbeiterschaft, heute würden wir sagen zwischen Unternehmern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Das ist sozialdemokratische Politik, die stellt das Gemeinwohl in den Mittelpunkt und macht eben nicht eine Klientelpolitik wie beispielsweise die FDP, die dann einmal dafür sorgt, dass Hoteliers Steuergeschenke kriegen, dann wieder bei der Atomlobby. All das ist eben in Hamburg anders gewesen.
    Und zweitens: die Hamburger Sozialdemokraten mit Olaf Scholz haben sich um die Alltagssorgen der Menschen gekümmert, haben sich nicht sozusagen in Prestigeprojekte verliebt wie Schwarz-Grün, sondern haben gesagt, wir wollen die Gebühren für Kindertagesstätten weg haben, wir wollen wieder, dass bezahlbarer Wohnraum in Hamburg entsteht. Diese beiden Dinge, wirtschaftliche Kraft, soziale Sicherheit, aber eben sich kümmern um die Alltagssorgen der Menschen, das, glaube ich, macht Politik erfolgreich und das, finde ich, ist auch gut so.

    Müller: Herr Gabriel, ich muss bei dem Punkt noch mal bleiben. Ist die SPD links?

    Gabriel: Sie ist eine linke Volkspartei, na klar!

    Müller: Also nicht in der Mitte?

    Gabriel: Die Mitte ist das, was die Gesellschaft für notwendig hält zur Lösung ihrer Aufgaben. Die Mitte, als Willy Brandt Kanzler wurde, gab es vorher Jahrzehnte Auseinandersetzung um die Ostpolitik. Seine Politik galt als links, am Ende war sie die Politik der Mitte der Gesellschaft. Ich finde, dass mit solchen Etiketten nicht viel zu holen ist, sondern es geht darum, was wird konkret für die Menschen getan. Letzte Nacht zum Beispiel haben wir für 1,2 Millionen Menschen Mindestlöhne durchgesetzt. Das ist Politik sozusagen aus Sicht von Arbeitnehmern, aber natürlich auch in der Mitte der Gesellschaft, denn das sind Menschen bei uns, die arbeiten gehen und von ihrer Arbeit bisher nicht leben konnten, und deswegen haben wir uns dafür eingesetzt, dass sie jetzt Mindestlöhne bekommen. Ich glaube, das ist eine ganz gute Beschreibung für eine linke Volkspartei.

    Müller: Sie waren ja, Sigmar Gabriel, bei den Verhandlungen Hartz IV in Berlin bis zum Ende mit dabei. Kurz vor 3, haben wir ja gelesen, ist das zu Ende gegangen. Konnten Sie überhaupt noch schlafen?

    Gabriel: Besser als die Nächte zuvor.

    Müller: Sie sagen, wir haben was erreicht für die Hartz IV-Empfänger. 11 Euro stand da immer an, jetzt gibt es 8, aber erst ab 2012. Ist das gut zu verkaufen?

    Gabriel: Nein. Ich habe eben gesagt, dass wir uns um die Mindestlöhne gekümmert haben. Wir haben auch erreicht, dass ab dem 1. 1. 2012 8 Euro Erhöhung da sind und nicht nur 5. Dazu wird ja auch noch mal kommen die Preissteigerung. Die 8 Euro sind ja nicht das einzige, was ab 1. 1. 2012 kommen wird. Also wir haben immer gesagt, wer darüber redet, wie viel jemand bekommt, der nicht arbeitet, der muss gleichzeitig darüber sprechen, wie viel jemand bekommen soll, der arbeiten geht, und da haben wir eben ganz viele Menschen in Deutschland, die arbeiten gehen und trotzdem hinterher zum Sozialamt müssen, weil der Lohn für die Miete nicht reicht. Wir hätten uns einen gesetzlichen Mindestlohn für alle vorstellen können, um damit Schluss zu machen, das wollten CDU/CSU und FDP nicht, aber wir haben es immerhin für 1,2 Millionen Menschen durchsetzen können und das, finde ich, ist ein guter Erfolg. Und dazu kommt, dass wir das größte Problem in Deutschland mit angehen, nämlich die Schwierigkeiten im Bildungssystem, und wir wissen, dass große Probleme immer dort existieren, wo Schulen nicht ausreichend Personal haben, wo sich nicht um Bildung und Erziehung gekümmert werden kann, und deswegen ist das Durchsetzen von bis zu 3.000 Schulsozialarbeitern, glaube ich, auch ein großer Erfolg gerade für die Schulen, die das bitter nötig haben.

    Müller: Beide Seiten, Herr Gabriel, verkaufen das ja jetzt als Erfolg. Christian Lindner hat auch gesagt, bei den Mindestlöhnen, da waren wir schon vor einigen Wochen so weit, die SPD bei den Regelsätzen ...

    Gabriel: Wenn ich da mal unterbrechen darf?

    Müller: Bitte!

    Gabriel: Das ist ja eben das Problem, dass das nicht stimmt. Wir haben gestern alleine 6 Stunden über dieses Thema Mindestlohn verhandeln müssen, nicht weil die CDU/CSU nicht mitgemacht hätte, sondern weil die FDP an der Stelle das größte Problem war. Die haben gestern gemauert und Sie müssen wissen, zum 1. Mai 2011 gibt es die volle Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Osteuropa, und die FDP hat große Schwierigkeiten gehabt zu verstehen, dass wir unsere Arbeitnehmer nicht diesen Dumpinglöhnen aussetzen wollten. Am Ende musste sich die FDP beugen, weil die waren diejenigen, die solche asozialen Löhne bis zum Schluss verteidigt haben. Also insofern: das waren schon harte Verhandlungen und sie haben sich gelohnt, denn wenn hinterher alle sagen, das ist ein gutes Ergebnis, na dann wird es wohl eines sein.

    Müller: Wenn wir noch mal über Hartz IV reden. Wenn wir mit Sozialdemokraten darüber Interviews führen – das haben wir ja vor gut zwei Wochen auch getan, als sie zunächst einmal gescheitert sind -, haben die Sozialdemokraten vergessen, dass sie die Hartz IV-Regelung, wie sie vorher bestand, ja eingebrockt haben?

    Gabriel: Nein. Wir haben ja nicht gesagt, Hartz IV muss abgeschafft werden, sondern im Gegenteil: wir haben gesagt, die damalige Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe bleibt richtig, aber wir haben übrigens nach wie vor Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der Berechnung. Dieses Risiko trägt auch jetzt die Bundesregierung. Wir haben bloß gesagt, wir können doch nicht diese Verhandlungen endlos hinziehen lassen. Am Ende wird das Verfassungsgericht vermutlich wieder zu entscheiden haben. Und wir sind oder haben ja die Union dazu bewegt, zurückzukehren an den Verhandlungstisch, weil ich glaube, kein Mensch hätte verstanden, wenn wir in wenigen Stunden in der Lage sind, Milliarden für Banken zu bewegen, aber wenn es um Schulsozialarbeit, Hartz IV und Mindestlöhne geht, dann kriegen wir in 10 Monaten nichts hin. Deswegen hat die SPD gesagt, der Bundesrat muss ein zweites Vermittlungsverfahren einleiten, und ich bin sehr froh, dass Kurt Beck mit seinem Kollegen Herrn Böhmer aus Sachsen-Anhalt das aufgegriffen hat und wir gestern Nacht zum Ergebnis gekommen sind.

    Müller: Das Bundesverfassungsgericht hatte ja, wenn wir das richtig verstanden haben, die alte Regelung kritisiert und als nicht verfassungskonform eingestuft, und das ging auf die SPD zurück.

    Gabriel: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, die Berechnungsgrundlagen müssen neu gemacht werden, und dem haben wir uns zu fügen. Damals haben übrigens alle Parteien auch im Vermittlungsausschuss diese Berechnungsgrundlagen miteinander verabredet. Jetzt mussten wir sie neu machen. Es gibt nach wie vor erhebliche Zweifel, ob die Grundlagen, die die Bundesregierung wählt, verfassungsgemäß sind. Da geht es aber nicht um die Höhe, sondern da geht es um die Frage, ist das korrekt berechnet. Ich bin ziemlich sicher, dass wir wieder eine Klage bekommen werden. Wir wollten jetzt diese Geschichten hier nicht noch endlos hinziehen, und deswegen haben wir uns gestern geeinigt darauf, dass zum 1. 1. 2012 zwei Dinge passieren. Erstens: es gibt eine Erhöhung, die sich entlang der Preissteigerung entwickeln wird. Das wissen wir heute noch nicht, wie hoch die ist. Und dort obendrauf gibt es zum 1. 1. 2012 diese insgesamt dann 8 Euro Erhöhung pro Monat. Das ist das, was gestern mit der Union möglich war. Mehr war mit der Bundesregierung nicht zu vereinbaren.

    Müller: Herr Gabriel, wir haben noch gut eine halbe Minute. Dennoch die Frage. Das heißt, die Grünen sind ausgestiegen mit der Argumentation, alles nicht verfassungskonform. Könnten die recht haben?

    Gabriel: Die könnten recht haben, ja.

    Müller: Sigmar Gabriel, SPD-Chef, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch.

    Gabriel: Bitte!

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