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SPD-Zuwachs in Sachsen-Anhalt
"Schulz kommt nicht als der typische Wessi rüber"

Die SPD hat in den vergangenen Jahren viele Mitglieder verloren. Doch seit der Bekanntgabe der Kanzlerkandidatur von Martin Schulz gibt es zahlreiche Neu-Eintritte in die Partei. So auch im kleinen Landesverband Sachsen-Anhalt. Experten räumen der SPD hier gute Chancen bei der Bundestagswahl ein.

Von Christoph Richter | 07.02.2017
    Ein SPD-Parteianhänger hält ein Plakat mit einem Bild des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz und der Aufschrift "Mega".
    Heilsbringer für die SPD? In Sachsen-Anhalt gab es seit der Bekanntgabe von Martin Schulz' Kandidatur viermal so viele Mitgliedsanträge wie in "normalen" Monaten. (dpa)
    René Berger ist 34. Er lebt in der Wohnung seiner Mutter, in einem Plattenbau im anhaltischen Bernburg. Das liegt auf halber Strecke zwischen Halle und Magdeburg. Schon länger trägt der ausgebildete Fleischer den Gedanken mit sich rum in die SPD einzutreten. Als dann Martin Schulz auf den Plan trat, war Berger klar, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen:
    "Er ist ein anderer Typ als Frau Merkel. Das zeigt er schon. Und er hat ja Erfahrungen, er kommt aus der europäischen Politik. Da glaub ich schon, dass er was bewegen kann. Auch dass er für den kleinen Mann steht, dass er aus diesem Bereich kommt," sei doch echt sympathisch, sagt SPD Neu-Mitglied Berger. Ihn bewegt die gebrochene Biografie von Martin Schulz: Eben, dass der Kanzlerkandidat lieber Fußball spielte, als das Abitur zu machen, die überwundene Alkoholabhängigkeit.
    "Er hat ein bisschen Power"
    Auch René Berger hatte es im Leben nicht immer leicht. Der Vater ist früh verstorben, lange haben ihn Depressionen geplagt, die Schule hat er mit der 9. Klasse, mit einem qualifizierten Hauptschulabschluss beendet. Gerne wäre er Koch geworden, doch daraus ist leider nichts geworden, erzählt er. Um den Hals trägt er eine Kette mit einem türkisfarbenen Jade-Stein, sein Glücksbringer, wie er sagt.
    "Ich muss anpacken, ansonsten funktioniert es nicht. Ich kann meckern und stöhnen und rumheulen. Ich kann zuhause rumsitzen, 'ach mir geht es so schlecht'. Davon wird es nicht besser, ich muss handeln."
    Denn die Demokratie lebt von uns, sagt Berger mit den markant strähnig schwarzen Haaren. Ähnlich sieht es eine ältere Dame, die anonym bleiben will. Ebenfalls SPD-Neu-Mitglied und Schulz-Fan.
    "Er hat ein bisschen Power. Er ist nicht so zögerlich, ich denke, dass er es anpackt."
    "Die SPD ist eigentlich die zukunftsfähigste aller Parteien"
    Der Schulz-Effekt ist auch in Sachsen-Anhalt spürbar, in einem der bundesweit kleineren SPD-Landesverbände. Etwa 3.500 Mitglieder gibt es hier, das sind um die Hälfte weniger als im SPD-Unterbezirk Hannover.
    Seitdem aber bekannt wurde das, dass Schulz für die SPD ins Rennen um das Kanzleramt geht, sind bis heute in Sachsen-Anhalt 40 Neu-Eintritte zu verzeichnen. Nach außen klingt das erst mal wenig, doch wenn man weiß, dass es viermal so viel sind wie in "normalen" Monaten, und dass es die traditionelle Parteibindung in den östlichen Bundesländern kaum gibt, sei das durchaus beachtlich, sagen Experten. Und räumen der SPD bei der Bundestagswahl mittlerweile realistische Chancen ein:
    "Die SPD ist eigentlich die zukunftsfähigste aller Parteien, wenn sie ihren Markenkern wiederentdeckt," sagt Thomas Kliche, Politikwissenschaftler an der Hochschule Magdeburg-Stendal. "Denn wir erleben ja im Moment einen globalen Wandel, der eine Neu-Entdeckung des Sozialstaats wie im 19., 20. Jahrhundert erzwingt, nur auf internationaler Ebene. Und welche Partei hat damit mehr Erfahrungen als die SPD."
    Die SPD kann den Zuwachs gut gebrauchen
    Nicht nur in Berlin, auch in der SPD-Parteizentrale in Magdeburg jubeln die Genossen. Auf den Tischen in der Bürgelstraße stapeln sich die unerledigten Anträge, manche kommen gar unangemeldet vorbei, um ihren Antrag abzugeben, heißt es.
    "Also das, was ich ringsum höre, dass die Menschen sagen, das ist der richtige Mann, jetzt können wir wieder SPD wählen. Das ist etwas, was ich ganz oft gehört habe," sagt Katrin Budde. Sie sitzt seit 1990 im Landtag, von 2006 bis 2016 war sie Fraktionschefin. Ihr Kollege Falko Grube sieht noch einen weiteren Grund für die Attraktivität von Martin Schulz im Osten:
    "Er kommt als Mensch gut rüber und nicht als der typische Wessi. Ich glaube, das mögen die Leute hier in Sachsen-Anhalt."
    Die SPD kann den Zuwachs gut gebrauchen. Denn die Sozialdemokraten kämpfen gegen den Mitgliederschwund. 2016 verloren die Sozialdemokraten bundesweit knapp 10.000 Genossen. Zum Vergleich: 1990 hatte die SPD noch knapp eine Million Mitglieder, 2016 war es nur noch die Hälfte.
    Das Solidarische in den Vordergrund rücken
    Neu-Genosse René Berger ruckelt auf dem Stuhl. Er sei kein Stratege, verstehe in der Politik nicht immer alles, sagt er. Aber das Solidarische in der SPD, das müsse wieder viel mehr als bisher in den Vordergrund rücken:
    "Mehr Gemeinschaft zeigen. Für andere da sein. Zuhören und dementsprechend auch zu handeln."
    René Berger - der auch ehrenamtlich bei der Tafel arbeitet, regelmäßig Blut spendet, ist Realist, ja auch ein Mahner. Und warnt vor dem Umfrage-Hype, vor einer "Schulzomanie", wie er sich ausdrückt. Und drückt auf die Euphorie-Bremse:
    "Weil, wir dürfen nicht vergessen: Wir haben erst Anfang des Jahres. Es wird erst im September gewählt. Und wer jetzt sagt, ich wähle SPD oder Martin Schulz, muss dann am 24. September auch zur Wahl gehen. Ansonsten funktioniert es nicht."