Dienstag, 19. März 2024

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Speicherkapazität von Waldböden
Naturnahe Laubwälder sind entscheidend - aber knapp

Alte, naturnahe Laubwälder können bei Starkregen viel Wasser speichern. Davon gebe es in Deutschland aber nur noch vier bis fünf Prozent bezogen auf die Waldfläche, sagte der Biologe Pierre Ibisch im Dlf. Vor allem die vielen Nadelbaum-Plantagen seien aus vielerlei Gründen eine Katastrophe.

Pierre Ibisch im Gespräch mit Britta Fecke | 29.07.2021
Abgestorbene Bäume stehen am Oderteich im Nationalpark Harz. Der Harz zählt zu den wichtigsten touristischen Regionen in Deutschland.
Erst die Plantage, dann abgestorbenes Holz und schließlich schweres Gerät zur Bearbeitung - diese Böden können nur noch sehr wenig Wasser aufnehmen. (dpa-Zentralbild / Stephan Schulz)
Der Wald soll es richten: Er soll möglichst viel Kohlendioxid speichern, um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen und bei Starkregen möglichst viel Wasser aufnehmen, um Überschwemmungen in Siedlungen zu verhindern.
Doch zum einen gibt es in der Nähe der Überflutungsgebiete nicht unbedingt Wälder, die solche Wassermassen aufnehmen könnten, zum anderen sind viele Wälder selbst durch die Folgen des Klimawandels geschwächt und somit nicht in dem Zustand, Wetterextreme wie Starkregen abzupuffern.
Erschwerend kommt hinzu, dass viele Wälder eigentlich gar keine mehr sind - sie sind Holzplantagen, mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten. Das belegt auch der im Februar diesen Jahres vorgestellte Waldzustandsbericht, der diesen als "historisch schlecht" beschreibt.
Ein gut strukturierter und humusreicher Waldboden könne mehr als 200 Liter pro Quadratmeter speichern, sagte Professor Pierre Ibisch vom Fachbereich für Wald und Umwelt an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde im Dlf. Problematisch sei hingegen, dass in der Vergangenheit großflächig Nadelbaum-Plantagen – und hier vor allem Kiefern - angelegt worden seien. Aus bodenbiologischer Sicht sei das "eine kleine Katastrophe", weil das den Humusaufbau reduziert habe. Ein weiterer Faktor ist, dass die Wasserspeicherfähigkeit aufgrund von Verdichtung durch schweres Gerät und kaputtem Baumbestand weiter reduziert ist.
Abgeholzte Bäume liegen in Stapeln entlang eines Weges.
Expertin: Zustand des Waldes "historisch schlecht"
Der neue Waldzustandsbericht zeige so schlechte Werte wie noch nie, sagte die Expertin für Waldökosysteme, Nicole Wellbrock, im Dlf. Angesichts der Schäden forderte sie klimastabile Wälder.

Das Interview in voller Länge:
Britta Fecke: Welches Waldökosystem kann besonders viel Wasser aufnehmen kann?
Pierre Ibisch: Das sind vor allem alte Laubwälder mit auch alten Böden, am besten auf tiefgründigen Lehmböden, Lössböden, das sind sicherlich die Ökosysteme, die besonders viel Wasser aufnehmen können.
Fecke: Also ist es nicht nur der Auwald, der ja gewohnt viel Wasser aufnehmen kann, sondern es sind auch ganz andere Pflanzengesellschaften, die dazu in der Lage sind.

Warum humusreiche Böden besonders wichtig sind

Ibisch: Ganz genau. Vielleicht muss man zunächst darüber sprechen, was Boden ist – das ist ja so ein Gemisch, das auf sehr komplexe Art und Weise zustande kommt. Entsprechend komplex ist auch, die Wasserspeicherfähigkeit zu analysieren. Das sind ja mineralische Anteile im Boden, die stammen aus dem Ausgangsgestein, und entsprechend spielen Bodenart, aber auch die Tiefe, der Steingehalt eine Rolle. Steine können kein Wasser speichern, und dann sind das diese kleinen Teilchen, die relevant sind. Wenn die sehr grob sind, dann kennen wir das, ist das Sand. Dann gibt es hier weite Poren, das hält nicht viel Wasser, und sehr kleine Poren wie jetzt irgendwie in Tonböden, die sind auch nicht günstig, so mittlere Teilchengrößen. Und da sind wir dann im Bereich von Lehm und Löss, diese so sehr lockeren Böden, die tatsächlich sehr günstig sind.
Ganz entscheidend kommt dann aber noch eigentlich die biotische Komponente hinzu, da ist vor allem der Humus zu nennen. Das sind ja die Abbauprodukte von organischen Substanzen – Pflanzenmaterial vor allem –, was einmal selbst eine Substanz ist, die eine sehr gute Wasserspeicherfähigkeit hat, ein Vielfaches des eigenen Gewichts an Wasser kann festgehalten werden. Und dann ist in einem humusreichen Boden auch die biologische Aktivität sehr groß, und die ist auch ganz entscheidend. Das sind die Mikroorganismen, sind die Pilze, es sind Regenwürmer, die den Boden durchlöchern, Poren bilden, Gänge. Da sind natürlich in dem Kontext auch die Pflanzenwurzeln zu nennen, die sind ganz entscheidend, vor allem wenn wir es mit Bäumen zu tun haben, die sehr tief wurzeln, den Boden dann perforieren regelrecht und entlang dieser Wurzeln wird tatsächlich auch mehr Wasser gespeichert.
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Fecke: Wie groß ist denn die Kapazität für die Wasseraufnahme in gut strukturierten und humusreichen Böden?
Ibisch: Das können ohne Weiteres ein paar Hundert Liter pro Quadratmeter sein, so dicke Lössböden, die können schon über 200 Liter pro Quadratmeter speichern.

Warum die Strukturvielfalt der Vegetation wichtig ist

Fecke: Jetzt ist ja nicht nur der abiotische Teil, also die Frage, welches Ausgangsgestein dem zugrunde liegt, entscheidend, sondern auch was draufsteht, wobei das eine ja auch das andere bedingt, nicht wahr?
Ibisch: Genau. Humus und die biologische Aktivität, und entsprechend ist das ja genau die Komponente im Boden, die wesentlich von der Vegetation beeinflusst wird. Wenn wir es mit Wald zu tun haben, ist zudem noch darauf hinzuweisen, dass vor allem ein Wald mit einem stark strukturierten Bestand, mit einem großen Kronenraum, vielleicht mehreren Schichten sogar über der Erde Wasser festhält – das ist auch ein gewisser Beitrag bei der Rückhaltung, das nennen wir Interzeption. Manchmal wird das als ungünstig diskutiert, wenn es wenig regnet, aber wenn es viel regnet, ist das natürlich günstig, weil das Wasser dann langsam abtropft oder gar nicht erst zum Boden gelangt. Das hängt dann von der Strukturvielfalt der Vegetation ab, gibt es Epiphyten – das sind zum Beispiel Moose in unseren breiten Flechten, die auch noch einen Teil Wasser festhalten.

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Fecke: Wie steht es denn auf der anderen Seite um die Wasseraufnahmekapazität in den Flächen, auf denen nur noch die toten Fichten stehen?
Ibisch: Das ist aktuell ein großes Problem in der Tat, dass wir ja in der Vergangenheit großflächig Nadelbaumplantagen, vor allem Fichten, aber auch Kiefern angelegt haben. Das war eigentlich aus ökologischer Sicht, auch aus Sicht der Bodenbiologie und Bodenerhaltung eine kleine Katastrophe insofern, als dass dort der Humusaufbau reduziert ist. Sie haben eigentlich nur so einen Rohhumus als Auflage, die Böden sind biologisch nicht so aktiv. Hinzu kommt natürlich dann noch die Nutzung in der Tat, dass vor allem in den letzten Jahrzehnten man begonnen hat, mit sehr schwerem Gerät zu arbeiten, die Wälder systematisch zu erschließen. Es gibt eine Feinerschließung mit Rückegassen, gegebenenfalls alle 20 Meter, die irgendwie sechs Meter breit sind, sodass auf 15 bis 20 Prozent der Waldfläche manchmal gar keine Bäume wachsen, sondern der Boden verdichtet ist. Da sind dann die Poren zusammengedrückt im Boden, da wird nichts durchwurzelt, da ist die biologische Aktivität reduziert und natürlich auch die Wasserspeicherfähigkeit.
Fecke: Wenn man jetzt so einen Fichtenforst vergleicht mit einem humusreichen gesunden Buchenwald, wie ist da die Wasseraufnahmefähigkeit?
Ibisch: Es ist um ein Vielfaches abgesenkt, und im Grunde ist dann auch die Möglichkeit, das immer weiter zu verschlechtern, auch noch gegeben und wird leider genutzt. Also die Tatsache, dass wir diese großflächigen Nadelbaumplantagen hatten, war eigentlich die erste Katastrophe. Die zweite ist natürlich, dass die jetzt in der Tat absterben. Das reduziert die Wasseraufnahmefähigkeit: Die Bäume selbst, die toten, nehmen kein Wasser mehr auf, das heißt, der Boden sättigt sich dann auch schneller. Und auf die zweite Katastrophe folgt jetzt noch die dritte: In dem Moment, wo der Mensch dann eingreift und jetzt diese Flächen, die ja als Schadholzflächen bezeichnet werden, befährt, räumt und dann den Boden nackt der Witterung preisgibt, was eben bedeutet, der stärker verdichtete Boden nimmt schon weniger Wasser auf, er erhitzt sich sehr stark. Das verändert die Mikroorganismen und die Bodenaktivität, es kommt häufig zu einer Versiegelung der Fläche, und damit haben wir dann auch noch einen erhöhten Oberflächenabfluss.
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Nicht alle Laubwälder sind in einem naturnahen Zustand

Fecke: Welche Waldökosysteme müssten wir denn schützen und gedeihen lassen, damit möglichst viel Wasser gespeichert werden kann bei solchen Starkregenereignissen?
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Alter Baumbestand - viele Bäume sind dann über 100 Jahre alt (imago images / BIA / Willi Rolfes)
Ibisch: Von allergrößter Bedeutung sind die Laubwälder, die wir noch haben, vor allem die alten naturnahen Laubwälder. Das ist nicht mehr viel leider, nach Inventaren müssen wir sagen, vielleicht noch vier, fünf Prozent der Waldfläche geprägt von älteren Wäldern – älter heißt, dass die Bäume älter als 140 Jahre sind, was auch noch nicht richtig alt ist. Am besten sind dann noch die Böden, die wirklich auch kontinuierlich unter Wald sich entwickeln konnten. Häufig haben wir ja auch heute Waldflächen, die früher schon mal landwirtschaftliche Flächen waren, und die landwirtschaftliche Nutzung in der Vergangenheit hat immer zu Humusabbau und zur Verschlechterung des Bodens geführt.
Fecke: Können Sie mir noch eine Zahl nennen, Sie sagten, nur noch vier Prozent der aktuellen Waldfläche besteht aus älteren Wäldern: Wie viel Waldflächen von Buchen- oder Laubwäldern haben wir denn prozentual?
Ibisch: Wir haben tatsächlich über die Hälfte der Wälder in Deutschland geprägt von Nadelbaumplantagen, das sind ungefähr 25 Prozent Fichten und andere Baumarten, und der Rest sind eben Laubwälder, die aber nicht alle in einem naturnahen und guten Zustand sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.