Freitag, 19. April 2024

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Spenden für Polens Kliniken
Das rote Herz steht für Millionen Zloty

Ob auf Computertomografen, Brutkästen oder Kinderbetten – in vielen polnischen Kliniken klebt ein kleines rotes Herz an medizinischen Geräten. Die Patienten wissen: Dieses Gerät wurde gespendet. Eine landesweit bekannte Initiative sammelt jedes Jahr Geld für das kränkelnde polnische Gesundheitssystem.

Von Ernst-Ludwig von Aster | 05.02.2020
Das Logo der polnischen Benefizveranstaltung "Wielka Orkiestra Swiatecznej Pomocy" ("Großes Orchester der Weihnachtshilfe") hängt in Übergröße über Fotografen und Kamerateams in Warschau
Bei der Benefizveranstaltung "Großes Orchester der Weihnachtshilfe" wird in Polen jedes Jahr Geld für Medizingeräte gesammelt (NurPhoto)
Mittagszeit in einem Warschauer Business-Hotel, ganz in der Nähe des Flughafens. An der Tür zum Konferenzraum prangt ein großes rotes Herz. Darin steht "Wielka Orkiestra Swiatecznej Pomocy". Übersetzt bedeutet das: "Großes Orchester der Weihnachtshilfe", abgekürzt WOSP. Jeder in Polen kennt dieses Kürzel. Jedes Jahr sammelt die Initiative Geld für das kränkelnde polnische Gesundheitssystem.
Im Konferenzraum beugen sich Männer in dunkelblauen Anzügen über Ausschreibungsunterlagen. Das Who's woh der Medizintechnikhersteller hat seine Vertreter geschickt. Seit zwei Tagen präsentieren sie ihre Produkte: Computer- und Kernspintomografen, Röntgengeräte, Herzmonitore. Alle Geräte für Kinderstationen sind bunt, beklebt mit Blumen und lachenden Comicfiguren. Das ist eine der Vorgaben.
Jurek Owsiak sammelt seit 20 Jahren Spenden
Währenddessen schlendert Jurek Owsiak gut gelaunt durch den Konferenzraum, holt sich eine Tasse Kaffee vom Buffet, geht in den Innenhof. Der Mann fällt auf: in knallbuntem Shirt, kurzer Hose in Tarnfarben. Mit signalroter Brille, Ring im Ohr. Und großen Tätowierungen auf Armen und Beinen. Zufrieden lächelnd lässt sich Owsiak in einen Lounge-Sessel plumpsen.
"Sie sprechen mit einem Mann, der ist 66 Jahre alt. Der trägt ein buntes Shirt mit einem Peace-Zeichen, der trägt kurze Hosen, während wir nebenan sehr viel medizinisches Gerät kaufen."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Der polnische Patient.
Nebenan kauft die WOSP-Stiftung gerade für rund 14 Millionen Euro medizinisches Gerät. Owsiak blickt kurz auf einen Zettel. Das Ergebnis der Bieter-Konferenz wird er gleich auf einer Pressekonferenz verkünden. Seit mehr als 25 Jahren sammeln der Journalist und sein Team Spenden. 1993 berichteten ihm Ärzte das erste Mal über den Geräte- und Medikamentenmangel in Kinderkrankenhäusern.
"Freiwilligenarbeit, NGOs, so was kannten wir damals nicht in Polen. Wir wussten gar nicht, wie wir es anpacken sollten. Wir dachten: Wir laden unsere Musikerfreunde ein. Und sammeln einen Tag lang Geld. Die Verantwortlichen beim Fernsehen waren aber skeptisch. Sie sagten: "Wir haben nur im Winter Kapazitäten frei für eine Liveübertragung." Das war ihr Versuch, das Ganze zu stoppen. Und da haben wir gesagt: "OK, kein Problem, wir nehmen den Termin."
Jurek Owsiak, Initiator der WOSP-Stiftung in Polen
Jurek Owsiak ist Initiator der WOSP-Stiftung, die jedes Jahr in Polen die Benefizveranstaltung "Großes Orchester der Weihnachtshilfe" organisiert und Spenden für medizinische Geräte sammelt (Imago)
Der PiS-Regierung ein Dorn im Auge
Seitdem sammelt WOSP jedes Jahr an einem Januar-Wochenende Geld, um später Medizin-Geräte zu kaufen. Rund 120.000 Freiwillige schwärmen dann aus, Schulklassen machen mit, Promis versteigern Fan-Artikel. Bedürftige Krankenhäuser bewerben sich. Einzige Bedingung: Die Geräte dürfen nicht für private Behandlungszwecke genutzt werden.
Die national-konservative PiS-Regierung kann der jährlichen Sammel-Aktion nichts abgewinnen: Zum einen wird jedes Mal die chronische staatliche Unterfinanzierung des Gesundheitswesens deutlich. Zum anderen fordern Owsiak und sein Team auch mehr Solidarität mit Flüchtlingen, plädieren für ein bunteres, offeneres Polen. Für die nationalkonservative Regierung in Warschau zu viel Engagement von der falschen Seite. Sie fordert die Bürger stattdessen auf, an kirchliche Institutionen zu spenden:
"Keinen stört es, dass wir medizinische Geräte kaufen. Aber wie wir es machen, das stört manche: Ich glaube, sie akzeptieren nicht unseren Lebensstil, unser Lebensgefühl. Sie mögen keine laute Rockmusik, sie mögen nicht wie ich mich kleide, wie ich spreche, wie ich lebe."
Attacke auf Pawel Adamowicz auf offener Bühne
"Als ich meinen Rücktritt als Vorsitzender öffentlich verkündete, und eine Woche später sagte, wir müssen aber weitermachen, da gab es elf Millionen Reaktionen auf meinem Facebook-Account: Das ist unglaublich. So etwas kann man mit keinem Geld der Welt aufwiegen. Diese Reaktionen geben Dir eine unglaubliche Stärke."
Ein trauernder Mann in Danzig hält ein Bild des getöteten Bürgermeisters Pawel Adamowicz.
Polen wollen Hassrede bekämpfen
Der gewaltsame Tod des Danziger Bürgermeisters Pawel Adamowicz führt vielen Polen vor Augen, wie gewaltvoll die Sprache im Politikbetrieb zuletzt geworden ist. Oppositionsparteien, Menschenrechtler und auch die Polizei möchte nun stärker gegen Hassreden vorgehen.
Rockmusik und Röntgengeräte
Elf Millionen Reaktionen – das ist mehr als ein Viertel der polnischen Bevölkerung. Und so machte Owsiak weiter. Während der Pressekonferenz sitzt Jurek Owsiak auf dem Podium, neben seiner Frau und einigen medizinischen Berater. In den ersten Reihen, Fotografen, auf einem Podest Fernsehteams. Mehr als 50 Geräte haben sie in dieser Bieterrunde gekauft. Computertomografen, Röntgengeräte, speziell zur Untersuchung von Kleinkindern. Sie alle bekommen den Herzaufkleber der Stiftung, bevor sie an die Krankenhäuser verteilt werden.
Und wie jedes Jahr wird im Spätsommer dann auch noch gefeiert. Dann lädt die Initiative zum kostenlosen Open-Air-Rockfestival nach Kostrzyn an der Oder, unweit der deutschen Grenze. Ein Dankeschön für alle Helfer. Finanziert von Sponsoren: Drei Tage, vier Bühnen, 100 Bands. Im letzten Jahr kamen mehr als 700.000 Besucher. Und auch 2020 gibt es wieder Grund zum Feiern: Mehr als 115 Millionen Zloty, über 27 Millionen Euro kamen bis Mitte Januar zusammen. Ein neuer Rekord.