Donnerstag, 28. März 2024

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Spiel aus Zufall und Liebe

Marianna Salzmann versteht sich als politische Autorin. In ihren Stücken geht es meist um Migration und Toleranz. So auch in "Schwimmen lernen", das am Theater Heidelberg Uraufführung hatte.

Von Cornelie Ueding | 02.03.2013
    Mit bunt gefüllten Beziehungskisten im Arm stürzen drei lebenshungrige Zappler und Zapper in den Spielraum und wirbeln sich, ihre Gefühle und Beziehungen so durcheinander, dass ihnen (mehr als den Zuschauern) Hören und Sehen vergeht.

    Zwei junge Frauen und ein Mann - aber es geht nicht um einen Mann zwischen zwei Frauen, sondern um eine, seine Frau zwischen ihm und einer anderen Frau. Einer, die aus der Fremde kam und dorthin zurück will. Und die nach Neuem gierende Geliebte will mit ans Schwarze Meer. Und geht mit. Die Drei spielen Szenensplitter bekannter Konstellationen in einem Spiel aus Zufall und Liebe - eine Art Endlosreigen, denn mit dem Ende von 90 Minuten Rollenspielervarianten auf dem Theater sind diese Geschichten längst nicht zu Ende.

    Die Kinder der Fun-Gesellschaft können alle Rollen spielen - können Rollenspiele aus dem Stand spielen - aber alles gleicht nur einer commedia dell’arte–Sequenz, einem Slapstickabriss: der grämliche Vater mit düster mahlendem Migrationshintergrund - fünf Sekunden, die Mutter als mahnend besorgte Halbratgeberin karikiert - zehn Sekunden. Kein Wunder, dass die jungen Leute wie Rasiermesser ihrer Sehnsucht nach Liebe durch die Szene jagen, hampeln, stolzieren, kippeln ...

    Sie hetzen hin und her zwischen dem einen Pol dieses Bildsequenzen- und Gefühlsreigens: der eher simplen, aus Klischees zusammengesetzten Vorstellung von Kaffee-und-Kuchen-Nachmittagen im Familienkreise; und dem anderen, einer mit hohen Erwartungen und diffusen Sehnsüchten beschwerten Lockung des Fremden. Natürlich geht das schief. Sicherheit, so etwas wie geglückte Beziehungen, gibt es nicht. Schon gar nicht, wenn die bunten Träume von dem faszinierend Fremden auf die Realität der Fremde stoßen: Kaum ist der Aufbruch, der Ausbruch in eine neue Gemeinsamkeit bewerkstelligt, schlägt die Falle des Autonomiebedürfnisses zu; kaum geht man getrennte Wege, trifft man, im Streit, intensiver denn je aufeinander; kaum hat man sich versöhnt, gerät man wieder aneinander.

    Lil: "Ich dachte, du willst eine Familie mit mir. Ich habe jeden Tag Angst gehabt, dass du rein kommst, dich hinsetzt und mir vorschlägst, Kinder zu adoptieren. Ein Auto zu kaufen, neue Töpfe für die Küche, was weiß ich."
    Feli: "Darum schmeißt du mich raus."
    Lil: "Ich gehe. Du bleibst."
    Feli: "Ich glaube dir nicht."
    Lil: "Das ist dein Problem."
    Feli: "Und wohin willst du? Wieder weglaufen?"
    Lil: "Das ist nicht dein Problem."
    Feli: "Du machst Witze oder? Du machst am laufenden Band einen Narren aus mir und ich merke es nicht ein Mal."
    Lil: "Feli, ich will nichts von dem hier. Ich will das nicht."
    Feli: "Du willst mich nicht."
    Lil: "Ja. Und die Wohnung. Und die Arbeit. ...Bevor ich Amok laufe, gehe ich einfach."

    Es ist eine Burleske jenseits gekonnter Wortspiele und deshalb müssen hier - und das macht die Qualität von Paul-Georg Dittrichs Heidelberger Uraufführungsinszenierung aus - folgerichtig die Bilder sprechen. Nicht, dass sie die Lücken füllen würden, die der bruchstückhafte, ganz und gar nicht wortmächtige Text offen lässt, offen lassen muss. Sie ergänzen ihn assoziativ, malen aus und zeigen, wie sich die Figuren, wie sich Menschen fühlen, die keine Sprache für Selbstverlust und Ambivalenzen haben. Von Anfang an werden sehr persönliche Dinge per Mikrofon in die Welt geschrien, Entschlüsse in Bild und Werbeslogan an eine Glaswand gepinselt, Affektzustände mittels eines Windgebläses ausgedrückt.

    Symbol der neuen Zusammengehörigkeit der beiden Frauen ist der Tausch ihrer bunten Westen, Teil der patchworkartig zusammengestellten Garderobe. Und Steffen Kraskas virtuos übereinander geblendete Videoprojektionen zeigen Verdoppelungen, die Körpergrenzen einer Figur sind in den nacheinander aufgenommenen und dann gleichzeitig projizierten Sequenzen nicht mehr deckungsgleich, sie gehen ineinander über, verschwimmen, die ganze Person ist aus den Fugen geraten, erscheint von sich selbst - oder von der als flimmernder Schatten gegenwärtigen Freundin losgelöst.

    Die Aufführung zeigt, sie wertet nicht, es gibt große Gesten und schrilles Geschrei, laute - aber keine großen Worte. Ob man von Beziehungsunfähigkeit sprechen will oder vom Lauf der Welt, von der Sehnsucht nach Skandalen in der permissiven Gesellschaft, vom Identitätsverlust der Global Player, vom Mangel an Einfühlungsvermögen oder der Unfähigkeit, ambivalente Gefühle auszuhalten - der Eindruck ist umso trostloser, je outrierter die Rollenspiele sind. Die Prognose düster. Für die Figuren. Fürs Theater: aufgehellt! Dank eines hoch motivierten, spielfreudigen, jungen Ensembles.

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    Theater Heidelberg