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Spiel mit doppeltem Boden

Musicals sind seichte Unterhaltung, mehr Operette, als Oper - mit dieser Zuschreibung gaben sich viele Musicalautoren nicht zufrieden. Sie verbanden ernste Stoffe mit leichten Melodien: Rassismus in "Porgy and Bess", Jugendgewalt in "West Side Story", die aufkommende Nazi-Herrschaft in "Cabaret". Cole Porters "Kiss Me, Kate", das vor 60 Jahren Premiere hatte, wagt sich an den größten Dramatiker überhaupt und transformiert Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung" in ein rasantes Stück im Stück.

Von Georg Friedrich Kühn | 30.12.2008
    Sie schwelgen in Erinnerungen an ihre erste Operette und sie fauchen einander an wie Katzen, Lilly und Fred, die Protagonisten einer Aufführung von Shakespeares "Der Widerspenstigen Zähmung" und Partner im früheren Leben. In einer Vorstellungspause kommt es zum Bruch.

    " Fred: "Lilly, das hast du doch nicht im Ernst gemeint, du willst also gehen?"
    Lilly: "Du wirst mich nicht davon abhalten."
    Fred: "Und du wirst nie wieder Theater spielen können."
    Lilly: "Ach nein? Gut, denn ich hasse das Theater, und ich hasse die Schauspieler, und am meisten von allen hasse ich dich! Geh raus!" "

    Zwei Gauner, die auftauchen um Spielschulden einzutreiben, zwingen Lilly zu bleiben. Fred bekommt seinen Macho-Auftritt auf der Bühne als Petruchio in "The Taming of the Shrew" und Bezwinger der widerspenstigen Kate.

    " Fred: "Sie muss mit mir. Ich will der Herr sein meines Eigentums. Sie ist mein Landgut, mein Haus, mein Hof, mein Pferd, mein Ochs, mein Esel, kurz mein Alles."
    Lilly: "Du Laus, du weißt genau, dass ich nicht sitzen kann."
    Fred: "Was sie widersetzt sich? Aber ich werde sie zum Ehebett karren wie einen Mehlsack, der zur Mühle geht. Meine Herren, vorwärts!" "Kiss me Kate" in der Filmversion von 1953. Eine Beobachtung brachte den Theaterinspizienten Arnold Saint Subber auf die Idee. Während einer Aufführung von Shakespeares "The Taming of the Shrew", erlebte er, wie die Protagonisten, ein berühmtes Schauspieler-Ehepaar, sich hinter der Bühne stritten. Subber erzählte davon der Autorin Bella Spewack.

    Die versuchte erst allein, daraus ein Musical-Libretto zu formen. Cole Porter, den sie als Komponisten hinzu bat, war aber nicht überzeugt vom Stoff. Als allzu abgehoben, "esoterisch" empfand der mit seiner Frau Linda in einer sehr offenen Beziehung Lebende die Handlung. Erst allmählich erkannte er deren Brisanz und mögliche Publikumswirksamkeit.

    Seit "Show Boat", 1927, von Jerome Kern und Oscar Hammerstein II versuchten die amerikanischen Musical-Autoren immer wieder, eingängige Unterhaltung mit ernsthafter Thematik zu verschmelzen - bei "Show Boat" etwa: Rassen-Diskriminierung.

    In ihrem Libretto verflochten Bella Spewack und ihr dann hinzugezogener Mann Samuel große Teile der originalen Shakespeare-Handlung mit Reflexionen über das Theater und Einblicken in die Probleme ihrer Macher: Dass man etwa auftreten muss, wenn einem gerade hundeelend ist, oder, wie oft im Sommer in Baltimore, wo das Stück spielt, dass man wegen der Hitze viel lieber die Beine im Meer baumeln lassen würde als auf der Bühne sich zu produzieren.

    Durch die dem Film entlehnte Schnitt-Technik, den Blick-Wechsel zwischen Vorder- und Hinterbühne, konnten die Autoren die Handlung straffen, die Sprache vereinfachen. Das Spiel im Spiel ermöglichte flüssige Übergänge. Ihre Arbeitsweise beschrieben die Spewacks im Vorwort zum Libretto so:

    " "Hier und da zwischen den Passagen, die wir strichen, gab es Verse, die wir gern beibehalten wollten. Wir verteilten sie dann einfach auf andere Darsteller."

    Gerade die Mischung von Real- und Theater-Welt, von Privatleben und Kunst zeitigte den überragenden Erfolg von "Kiss me Kate". Und die Abschiedsszene zwischen Lilly und Fred ist nicht das letzte Wort zwischen den beiden, privat wie auf der Bühne.

    " Lilly: "Leb wohl, Fred. Willst du mir nicht Glück wünschen?"
    Fred: "Das würde keinen Zweck haben, du gehörst zum Theater. Wir beide gehören dazu."
    Lilly: "Das Theater, das ist doch das Einzige, was du verstehst. Du brauchst mich nicht, du hast eine zweite Besetzung."
    Fred: "Niemand könnte je deinen Platz einnehmen, Lilly, weder auf der Bühne, noch im Leben." "

    Am 30. Dezember 1948 wurde "Kiss me Kate" im "New Century Theatre" in New York uraufgeführt. Über tausend Reprisen erlebte das Stück in den ersten drei Jahren. Fünf "Tony Awards" erntete es und wurde nachgespielt in der ganzen Welt.

    Noch heute wird es immer wieder präsentiert, zuletzt in einer revueartigen Fassung an der Berliner Komischen Oper. Wie "My Fair Lady", "West Side Story" oder "Cabaret" ist "Kiss me Kate" zum Klassiker geworden.