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Spielfilm "Die Frau des Polizisten"
Reise in die Finsternis

"Die Frau des Polizisten" ist ein Film über häusliche Gewalt. Aber nicht nur das. In episodisch knappen 59 Kapiteln thematisiert Regisseur Philip Gröning außerdem den Alltag und die Liebe in einem Niederrhein-Kaff - manchmal ermüdend, manchmal belohnend.

Von Rüdiger Suchsland | 20.03.2014
    Ein Mann ballt seine Hand zur Faust, vor ihm eine Frau auf einem Sessel, die sich ängstlich die Hand vor ihr Gesicht hält.
    Eine Szene häuslicher Gewalt. Im Film "Die Frau des Polizisten" beginnt alles friedlich. Doch allmählich bekommt die Idylle sanfte Risse, die zu Abgründen werden. (dpa picture alliance / Inga Kjer)
    Sonnendurchstrahlt, schneebedeckt, dreckbesudelt oder unschuldig scheinend - das Leben hat viele Gesichter und in diesem Film noch einige mehr.
    Ein Wald; der Kamera-Blick dringt zwischen den Bäumen hindurch, entdeckt ein Tier, das sich bewegt, einen Hasen wie man dann erkennt, und die Schärfenverstellung der Kamera, die dem Erkennen vorausgeht, erinnert uns gleich zu Beginn an unsere Situation: Wir im Kinosaal sind Beobachter und in diesem Fall sollten wir es genau nehmen mit diesem Befund: Man kann die Dinge sehr unterschiedlich betrachten.
    Die Betrachtung gilt in diesem Fall einer Familie: Vater, Mutter, Kind. Sie leben ein ganz normales Leben in einem Kaff am Niederrhein nahe der holländischen Grenze. Der Vater ist Polizist, deswegen lenkt der Filmtitel den Blick von Beginn an auf die Frau. Man beobachtet sie genauer, sympathisiert mit ihr - und mit ihrer kleinen Tochter, um die sie sich liebevoll kümmert. Alles beginnt friedlich, mit Ostereiersuchen im Wald. Doch allmählich bekommt die Idylle sanfte Risse, die zu Abgründen werden: Der Vater ist gewalttätig, die Mutter hilflos.
    Der Filmzuschauer als Ermittler
    Regisseur Philip Gröning hat seinen Film nach dem Muster eines Mosaiks geordnet: In episodisch knappen 59 Kapiteln, die wie Mosaiksteine erst aus der Distanz der Gesamtsicht ein überschaubares Bild ergeben - im Rückblick wirken viele Ereignisse als Vorgeschichte einer Tragödie, die im Wechsel der vier Jahreszeiten und auf einer Länge von fast drei Stunden erzählt wird, die die Geduld des Publikums ebenso strapaziert, wie sie sie immer wieder belohnt. Gröning bringt sein Publikum in die interessante, nicht gut erprobte Position, sich selbst als Beobachter zu beobachten, und zugleich wie ein Profiler der Polizei Indizien zu sammeln, Puzzlestücke zu ordnen.
    Nichts ist dabei ganz eindeutig, vieles, fast alles ist möglich: Am Ende bleibt dem Zuschauer nämlich kein Ausweg - er muss sich das Mosaik zusammensetzen, sich selbst ein Bild machen. Neun verschiedene Enden hat Gröning gesammelt.
    Ist "Die Frau des Polizisten" nun "ein Film über häusliche Gewalt" wie jetzt an vielen Orten geschrieben wird? Irgendwie schon, doch diese Formulierung aus dem Sozialamtsdeutsch erfasst kaum, worum es hier eigentlich geht. Denn auch die "Atriden" könnte man so zwar beschreiben, würde dabei aber mehr als einen Aspekt verfehlen, wie die grundsätzlichere Bedeutung des Ganzen. Ohne Frage zeigt Gröning Familie als "Terrorzusammenhang" (Alexander Kluge), als private Hölle. Eine Reise in die Finsternis. Er zeigt Traumata.
    Aber die Gewalt wie die Liebe, die moralischen Tabubrüche, wie die Tugenden, deren Zeugen wir auch werden, haben in diesem Fall eine existenziellere, zeitlose Dimension.
    Familie wird zu Laborobjekt
    "Die Frau des Polizisten" ist ein Film über Gewalt. aber auch einer über die Liebe. Grönings Film, bei dem der Regisseur selbst die Kamera führte, glänzt nicht zuletzt selbst mit genauer Beobachtungsgabe, mit Geduld und Sensibilität. Die Familie wird unter den Händen des Regisseurs zu Laborobjekten einer Versuchsanordnung. Konterkariert wird das durch Tiere und anderes Wilde, das immer wieder in das scheinbar geregelte Leben der Menschen einbricht.
    Auch das Leben der Menschen erscheint voller Geheimnisse, archaisch, dunkel: Immer wieder sieht man zum Beispiel einen alten Mann, der einfach auftaucht. Er isst, schläft, guckt. Welche tiefere Rolle spielt er, wer ist er überhaupt? Ein Seher? Ein Unglücksbote? Gott? Oder eben nur ein alter Mann, ein hilfloser Zeuge?
    "Die Frau des Polizisten" zeigt Archaisches: die Liebe zwischen Mutter und Kind, Mann und Frau. Der Film zeigt aber auch Überforderung und fundamentale Schwächen. Ein Film, der im Zuschauer tiefe emotionale Erfahrungen auslösen kann, weil er wie ein Virus sanft und unmerklich ins Bewusstsein des Betrachters einsickert, und dort noch lange nachwirkt.
    Unerschrocken und elegant gelingt Gröning ein ebenso rätselhafter wie klarer Film über die Beobachtbarkeit der Welt, der den Zuschauer unerlöst entlässt.