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Spieltheorie
Wem selbstloses Verhalten nützt

Es ist eines der großen Rätsel der Spieltheorie: Warum gibt es selbstloses Verhalten, wenn doch sonst immer der Fittere überlebt? Mathematiker der Universität Harvard versuchen zu berechnen, warum es nicht nur moralisch, sondern auch strategisch sinnvoll sein kann, den Nutzen einer Kooperation zu ignorieren.

Von Veronika Köberlein | 02.06.2015
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    Das Zusammenleben als Spiel betrachtet. (picture alliance / dpa / Robert B. Fishman)
    "Menschen die altruistisch handeln, haben sehr lautere Absichten. Gute Menschen wie Mutter Theresa oder Gandhi tun Dinge nicht wegen der Resultate, sondern um ihrer selbst willen."
    Erez Yoeli beschäftigt sich an der Universität Harvard mit evolutionärer Spieltheorie. Er versucht, soziale Entscheidungssituationen mit mathematischen Modellen zu beschreiben. Alle bisherigen Theorien taten sich jedoch schwer damit, selbstloses Verhalten wie beispielsweise das des indischen Menschenrechtlers Mahatma Gandhi zu erklären.
    "Man könnte meinen, diese Menschen sind auch dadurch motiviert, dass ihnen ihr Verhalten irgendeinen Nutzen bringt. Dass sie selbst davon profitieren, dass sie etwas Gutes für andere Menschen tun. Aber das scheint ihnen nicht wichtig zu sein. Jetzt kann man natürlich sagen: Was sie tun, ist großartig! Aber die Frage ist, warum setzt sich dieses altruistische Verhalten durch? Warum verschwindet es nicht?"
    Laut Darwins Konzept des "Survival of the Fittest" resultiert selbstloses Verhalten in einer verminderten Fitness für denjenigen, der so handelt, denn er verliert dadurch Energie. Zusätzlich steigert er auch die Fitness eines Konkurrenten. Über kurz oder lang müssten altruistische handelnde Personen also aussterben, da sie weniger Zeit in den Nachwuchs investieren.
    Der Langzeitnutzen des Altruismus
    Eine möglich evolutionäre Erklärung, warum das nicht immer passiert wäre der Langzeitnutzen: Wenn eine Person etwas der Sache wegen tut, macht sie das auf lange Sicht vertrauenswürdiger und damit attraktiver für eine Kooperation.
    "Denken Sie zum Beispiel an eine Situation, in der sich ein Politiker oft befindet. Er unterstützt eine Haltung, die im Moment beliebt ist. Den Wählern ist es wichtig, ob der Politiker von dieser Haltung auch wirklich überzeugt ist. Denn falls er es nur tut, um Stimmen zu gewinnen, könnte er seine Meinung ändern, sobald der Wind sich dreht."
    Erez Yoeli und sein Forschungsteam wollten sehen, ob sich aus dieser Erklärung auch eine allgemeine Verhaltensstrategie ableiten lässt. Dafür mussten sie einen grundsätzlichen Hinweis finden, der auf das Motiv einer Person schließen lässt.
    Menschen, die vor allem den Nutzen einer Zusammenarbeit im Auge haben, sammeln vor einer Entscheidung Informationen beim Kooperationspartner. Trifft man eine Entscheidung dagegen aus Prinzip, muss man diese Nachforschungen nicht anstellen.
    Ein Spiel mit Briefen
    In dem mathematischen Modell von Erez Yoeli und seinen Kollegen steckt dieser Aspekt in einem symbolischen Briefumschlag.
    "Der Umschlag enthält die Information, wie kostspielig es in der gegebenen Situation ist, eine Kooperation einzugehen. Manchmal ist die Entscheidung mit einem höheren Einsatz verbunden, manchmal nicht. Um bei dem Beispiel des Politikers zu bleiben: Manchmal ist die Haltung beliebt beim Volk, manchmal nicht."
    Das Spiel beginnt damit, dass Spieler eins diesen Umschlag erhält, der ihm die Kosten der Kooperation mit Spieler zwei verraten kann. Er muss darauf hin zwei Entscheidungen treffen:
    "Als erstes muss er entscheiden, ob er in den Umschlag guckt oder nicht, in dem die Kosten oder Nutzen der Kooperation notiert sind. Also: Ist die Haltung beliebt oder nicht? Daraufhin muss er entscheiden, ob er kooperiert oder nicht. In unserem Beispiel wäre das: Unterstützt er die Haltung oder nicht?"
    Spieler zwei kann diesen Zug beobachten und sich nun seinerseits entscheiden, ob er die Beziehung eingeht oder ob er seinen Gegenüber nicht für vertrauenswürdig genug hält.
    Das Spiel ist beendet, sobald eine Kooperation zustande kommt. Anders als in der nicht-kooperativen Spieltheorie, bei der die Mitspieler gegeneinander um Geld spielen, ist das Ziel eines kooperativen Spiels Zusammenarbeit und ein maximaler Gewinn für alle Kooperationspartner.
    Der Nutzen der Kooperation
    Erez Yoeli hofft mit der evolutionären Erklärung von prinzipientreuem Handeln darauf hinzuweisen, dass es in vielen Situationen nicht nur moralisch, sondern auch strategisch sinnvoll ist, den Nutzen einer Kooperation zu ignorieren.
    Das Modell beschreibt beispielsweise das Verhalten einiger Geschäftsführer erfolgreicher Unternehmen, die sich für die Umwelt engagieren, selbst wenn es für ihre Firma zunächst keinen Profit abwirft.
    "Unter manchen Umständen ist es als Geschäftsführer besser, Prinzipien zu haben. Und das sind genau die Situationen, in denen man im Angesicht wechselnder Versuchungen Vertrauen aufbauen muss, um eine längerfristige Beziehung zu etablieren."