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Spielverhalten
"Ratten spielen verrückt gerne Verstecken"

Ratten seien strategische Versteckspieler, beschreibt Michal Brecht, Neurobiologe an der Humboldt-Universität zu Berlin, das Fazit einer aktuellen Studie. Im Dlf sagte er, sie hätten auch beachtliche Fähigkeiten, verschiedene Rollen zu spielen - vielleicht auch, um wichtige Sachen über sich selbst zu lernen.

Michael Brecht im Gespräch mit Lennart Pyritz | 17.09.2019
Eine Ratte mit ihrem Nachwuchs im Nest.
Ratten sind strategische Spieler, so die Ergebnisse einer aktuellen Studie (picture-alliance/ dpa - UPPA NHPA/Photoshot)
Lennart Pyritz: Dass Menschen – zumindest in bestimmten Altersklassen – gerne spielen, kennt jede und jeder von uns aus eigener Erfahrung. Dass wir mit dem Verhalten nicht allein sind, zeigt der Blick auf tobende Hunde oder wollknäueljagende Katzen. Systematisch untersucht wurde das Spielverhalten bei Tieren aber noch nicht ausgiebig. Am vergangenen Freitag nun ist im renommierten Fachblatt "Science" eine Studie erschienen. Darin schreibt ein Forschungsteam, dass Ratten lernen können, mit Menschen Verstecken zu spielen. Das klingt vielleicht erst mal kurios, gibt aber auch neue Einblicke in ein Verhalten, das offenbar wichtig ist für Tier und Mensch.
- Welche Erkenntnisse das sind, darüber habe ich vor der Sendung mit Michael Brecht gesprochen. Er ist einer der Studienautoren und Neurobiologe an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ich habe ihn zuerst gefragt, wie er und sein Team überhaupt darauf gekommen sind, das Spielverhalten von Ratten zu untersuchen?
Michael Brecht: Wir interessieren uns schon länger fürs Spielverhalten von Tieren, und für Ratten ist auch schon lange bekannt, dass die so Spielkämpfe machen, so ein bisschen Ringkämpfe, aber kompliziertere Spiele, das war noch nicht so bekannt. Und wie wir da reingekommen sind, war auch ein bisschen so YouTube-Videos und Internetberichte, dass einfach ganz viele Tierhalter sagen, unsere Ratten spielen verrückt gerne Verstecken. Und tatsächlich haben wir dann auch gesehen, dass die sehr beachtliche Fähigkeiten im Rollenspiel haben.
Pyritz: Ich stelle mir das erst mal ziemlich schwierig vor, Spielverhalten zu untersuchen. Passiert das nicht normalerweise spontan, also dann schwer vorhersehbar, um es tatsächlich wissenschaftlich zu untersuchen?
Brecht: Na ja, die Experimente sind ja so, dass es eine starke Bindung gibt zwischen dem Experimentator und den Ratten, und die sind dann schon wild drauf, was zu machen, und die verstehen das dann auch, dass da gespielt wird. Und dann legen die auch direkt los.
Pyritz: Wie haben Sie jetzt für die aktuelle "Science"-Studie die Ratten sozusagen zuverlässig zum Spielen gebracht? Können Sie ganz kurz die Methodik der Studie einmal darstellen?
Brecht: Ja, also da muss man die Tiere sehr gut eingewöhnen, die müssen sich sehr, sehr wohl fühlen in dem Raum – das dauert fast am längsten. Das Spielenlernen tun die eigentlich schnell, da gehen wir sehr schrittweise vor. Erst belohnen wir sie, wenn sie sich verstecken sollen, dafür, dass sie ein bisschen weggehen von uns, und dann belohnen wir sie halt nur noch, wenn sie sich schön versteckt haben. Und dann haben die das auch blitzschnell kapiert und erarbeiten selber daran. Und beim Verstecken gehen wir auch sehr schrittweise vor. Also, wie das Spiel so abläuft, ist: Wir setzen das Tier in eine Startbox, da haben wir eine Fernsteuerung, mit der wie die Startbox aufmachen können, und dann muss das Tier uns suchen. Interessanterweise haben wir so ein Fernsteuerungskabel gehabt, interessanterweise benutzen die Ratten das auch, um uns zu finden. Später haben wir dann auch noch so Fake-Kabel ausgelegt, damit die uns eigentlich anders finden, weil die benutzen immer – das ist unsere Erfahrung –, die benutzen alles Mögliche, um zu mogeln.
Pyritz: Was waren die Ergebnisse dieser Spieldurchgänge, wie verhalten sich die Ratten beim Verstecken und beim Suchen?
Ratten "sind sehr strategische Versteckspieler"
Brecht: Ja, das hat uns eigentlich am allermeisten beeindruckt: Die sind sehr strategische Versteckspieler. Zum Beispiel die Suchstrategien von den Tieren sind so, dass einmal, wenn sie uns sehen, finden sie uns sofort, also benutzen so visuelle Hinweise. Dann suchen sie sehr systematisch den Raum ab und merken sich auch, wo wir uns versteckt haben. Wenn wir uns nicht mehrfach an dem gleichen Ort verstecken, finden sie einen auch sofort. Beim Verstecken sind sie auch sehr klug, also sehr taktisch. Was sie da machen, ist, sie sind leise, wenn sie sich verstecken, sie wechseln ihre Verstecke, also sie benutzen das gleiche Versteck nicht mehrfach, und sie vermeiden blöde Verstecke. Wir haben ihnen so durchsichtige Boxen angeboten oder schwarze Boxen. Und in den durchsichtigen Boxen, die ein bisschen ein idiotisches Versteck sind, da verstecken sie sich nicht gern.
Pyritz: Welche Schlussfolgerungen lässt die Studie jetzt zu über das Spielverhalten von Ratten, speziell das Versteckspielen? Kann man sagen, wann und warum die Ratten im Laufe der Evolution damit angefangen haben?
Brecht: Ja, wir denken tatsächlich, dass die vielleicht evolutionär das schon konnten, dass die wirklich schon Versteckspiel-Fähigkeiten mitbringen. Dass die das jetzt nicht nur in den ein oder zwei Wochen, wo wir das mit denen gemacht haben, gelernt haben, sondern dass Versteckspielen tatsächlich eine sehr alte Spielweise ist – vielleicht auch deswegen, weil es ökologisch relevant ist, dass man sich verstecken kann, dass man nicht gefunden wird als Beutetier. Zum anderen scheint das was Altes und Wichtiges zu sein, dass man so Rollen einnehmen kann und Rollen spielen kann.
Pyritz: Vielleicht können Sie den letzten Punkt noch ein bisschen genauer erläutern, was da sozusagen an diesem Rollenspiel wichtig ist.
"Beachtliche Fähigkeiten, verschiedene Rollen zu spielen"
Brecht: Ja, sie haben diese beachtlichen Fähigkeiten, verschiedene Rollen zu spielen. Ich glaube, dass man über diese Rollenspiele vielleicht auch viel wichtige Sachen über sich selber lernt, nicht zuletzt zum Beispiel vielleicht eben auch das Verlieren lernen. Verlieren ist wirklich auch was sehr, sehr Schwieriges, vielleicht noch eine wichtigere Fähigkeit, als was man da jetzt speziell beim Verstecken lernt – ein gutes Versteck finden oder so. Es ist ja schwierig, eine Niederlage hinzunehmen. Und wir glauben, dass das vielleicht da auch im Spiel trainiert wird. Ganz generell glauben wir halt, dass sowohl Menschen als auch Tiere ganz beachtliche spielerische Fähigkeiten haben, die eigentlich oft ein bisschen unterschätzt werden und zu wenig untersucht werden.
Pyritz: Welche Vorteile bringen denn zum Beispiel uns Menschen auch die Spieleigenschaften, das Spielverhalten?
Brecht: Menschen sind ja ganz obsessive Spieler. Es gibt kein Tier, das so viele Spiele erfindet, so viele Spiele macht. Und wir glauben, am Ende des Tages hat sicher Spielen was zu tun mit dem Trainieren vom Gehirn, dass das eine Verhaltensweise ist, die man macht, um sein Gehirn zu trainieren. Da gibt es auch Hinweise auf Menschen, zum Beispiel manche Videospiele verbessern bestimmte kognitive Fähigkeiten. Und das ist so ein bisschen unser Denken, dass es eine Selbsttrainingsverhaltensweise ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.