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Spionage-Affäre
"Nur häppchenweise serviert"

Die BND-Spionage in der Türkei offenbart nach Ansicht des Linken-Politikers André Hahn erhebliche Defizite in der Kontrolle durch den Bundestag. Der Vize-Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums sagte im Deutschlandfunk, von dem Auftrag zur Spionage habe das Gremium nicht gewusst. Das sei eine "einsame Entscheidung der Regierung" gewesen.

André Hahn im Gespräch mit Peter Kapern | 19.08.2014
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    Linken-Politiker André Hahn (picture alliance / ZB / Matthias Hiekel)
    Der Linken-Politiker sagte im Deutschlandfunk, er könne die Verärgerung der Türkei über das Ausspähen deutscher Geheimdienste verstehen. "Ich habe dafür auch Verständnis, wenn man jetzt merkt, dass tatsächlich ein offizieller Auftrag scheinbar vorliegt, von dem auch wir im Parlamentarischen Kontrollgremium nicht gewusst haben, dass er existiert, dass also die Türkei als Land insgesamt Beobachtungsobjekt des Bundesnachrichtendienstes ist."
    Hahn widersprach damit einer Darstellung der Bundesregierung, das Gremium sei über Teile der geheimdienstlichen Aktivitäten informiert worden. Die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums seien "sehr abstrakt und ohne Nennung von Namen informiert worden", sagte Hahn. Dabei seien weder die Namen von US-Außenminister John Kerry noch von seiner Amtsvorgängerin Hillary Clinton gefallen; von beiden hat der BND laut einem "Spiegel"-Bericht Telefonate angeblich eher zufällig mitgeschnitten, aber nicht gelöscht. Auch über das Ausspähen in der Türkei sei in der von der Regierung genannten Sitzung nicht informiert worden. Dieses Auftragsprofil des BND "ist eine einsame Entscheidung der Regierung, die nicht dem Parlament zur Bestätigung vorgelegt wird".
    Das Grundproblem der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste ist laut Hahn ein Passus im Gesetz, wonach das Gremium über die allgemeine Lage und über Vorgänge von besonderer Bedeutung informiert werden müsse. "Nur was Vorgänge von besonderer Bedeutung sind, entscheidet allein die Bundesregierung." Der Vizevorsitzende des Kontrollgremiums sagte, er sei sehr unzufrieden mit den Möglichkeiten der Kontrolle durch den Bundestag. Dies müsse geändert werden. So müssten etwa jene Geheimdienstaktivitäten, die der Bundeskanzlerin berichtet werden, auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium vorgelegt werden. "Es stellt sich ja jetzt heraus, dass Dinge nur häppchenweise serviert werden, dass bestimmte Dinge zurückgehalten werden. Da, wo es Pannen gibt, möchte man nicht informieren."

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht - so hat es die Bundeskanzlerin gesagt und die US-Spionage in Deutschland gemeint. Wer sich schon damals über diese eigentümliche Wortwahl Angela Merkels gewundert hat, die so jugendlich-flapsig kam, als habe die Kanzlerin es mit der zur Schau gestellten Empörung dann doch nicht ganz so ernst gemeint, der hat jetzt vielleicht die Erklärung dafür: Auch der BND hat Freunde belauscht. Zwei US-Außenminister - möglicherweise eher aus Versehen - und ein ganzes Land, das zu den NATO-Partnern zählt, die Türkei nämlich. Die türkische Regierung reagierte schmallippig, der deutsche Botschafter wurde in Ankara zum Gespräch und um Aufklärung gebeten.
    Bei uns am Telefon ist jetzt André Hahn von der Linken, der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Guten Morgen, Herr Hahn!
    André Hahn: Guten Morgen!
    Kapern: Herr Hahn, der deutsche Botschafter in Ankara war gestern zum Gespräch im türkischen Außenministerium und es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er dorthin nicht einbestellt worden ist, weil man das tut, wenn man wirklich jemandem die Meinung geigen will. Das heißt doch im Umkehrschluss, die Aufregung um die BND-Aktivitäten in der Türkei ist dort offenbar geringer als hierzulande, oder?
    Hahn: Da bin ich mir nicht so sicher. Man ist ja im diplomatischen Bereich sehr vorsichtig mit Formulierungen und man hat ja auch den amerikanischen Botschafter zunächst einmal gebeten zum Gespräch und nicht formell einbestellt. Ich kann mir vorstellen, dass die Türkei schon sehr verärgert ist, und das wird auch deutlich in verschiedenen Äußerungen. Und ich habe dafür auch Verständnis, wenn man jetzt merkt, dass tatsächlich ein offizieller Auftrag scheinbar vorliegt, von dem auch wir im Parlamentarischen Kontrollgremium nicht gewusst haben, dass er existiert, dass also die Türkei als Land insgesamt Beobachtungsobjekt des Bundesnachrichtendienstes ist.
    "Abstrakt und ohne Nennung von Namen informiert worden"
    Kapern: Die Bundesregierung hat aber gestern darauf hingewiesen, dass das Parlamentarische Kontrollgremium durchaus im Juli schon informiert worden sei, jedenfalls über einige Aspekte der jüngsten Enthüllungen. Ist Ihre Empörung also nur gespielt?
    Hahn: Nein, ich spiele überhaupt keine Empörung und auch die anderen Mitglieder des Gremiums nicht. Und ich finde, Herr Binninger, der Vorsitzende, hat es ja relativ klar formuliert, er hat gesagt: Wir sind sehr abstrakt und ohne Nennung von Namen informiert worden. Das sagt doch ganz klar, es ist weder der Name Clinton noch der Name Kerry gefallen und auch nicht die Türkei als Beobachtungsobjekt. Es gab andere Themen in diesen Sitzungen, die im Vordergrund standen, und da ging es am Rande im Zusammenhang mit den Dschihadisten auch um die Türkei, wo es auch um die Durchreise von Kämpfern, die dort in Einsätzen waren, ging, die nach Syrien, nach Irak oder auch zurück nach Deutschland kommen. Das war ein Thema, aber überhaupt nicht die Überwachung der Türkei.
    Kapern: Herr Hahn, lassen Sie uns doch mal versuchen, das festzuhalten, sodass es auch Nicht-Geheimdienstexperten verstehen: Alle paar Jahre verfasst die Bundesregierung ein Auftragsprofil, in dem drin steht, was der BND tun und erfassen soll. Und die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums, sagen Sie, wissen gar nicht, was in diesem Auftragsprofil drin steht?
    Hahn: Nun gehöre ich diesem Gremium ja erst seit Jahresbeginn an, ich kann also nicht beurteilen, was in früheren Jahren gewesen ist. Allerdings, nach allem, was ich gehört habe, ist es tatsächlich eine doch relativ einsame Entscheidung der Regierung, die nicht dem Parlament zur Bestätigung vorgelegt wird.
    "Bestimmte Dinge werden zurückgehalten"
    Kapern: Wie kann denn ein Parlamentarisches Kontrollgremium die Arbeit eines Geheimdienstes kontrollieren, wenn dieses Gremium gar nicht weiß, woran dieser Geheimdienst arbeitet?
    Hahn: Die Frage ist absolut berechtigt. Wir haben ja nun nicht nur einen Geheimdienst, wir haben ja den militärischen Abschirmdienst, wir haben den Verfassungsschutz und wir haben den BND. Und dort wird ja regelmäßig Bericht erstattet. Das Grundproblem der parlamentarischen Kontrolle ist der Umstand, dass im Gesetz steht, dass man über die allgemeine Lage berichtet und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Nur, was Vorgänge von besonderer Bedeutung sind, entscheidet letztlich allein die Bundesregierung beziehungsweise entscheiden die Dienste. Und das ist ein sehr misslicher Umstand. Wir können nur das bewerten, was man uns vorlegt. Und deshalb bin ich auch sehr unzufrieden mit den Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle, wie sie sich gegenwärtig darstellt.
    Kapern: Die wie geändert werden müssen?
    Hahn: Wir haben schon Anfänge gemacht dahingehend, dass wir jetzt zum Beispiel bekommen die Tagesordnung der Staatssekretärsrunde im Kanzleramt, wo es dann um die Informationen geht über aktuelle Vorgänge, weil wir der Auffassung sind: Das, was gegenüber dem Bundeskanzleramt berichtet wird, muss auch gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission auf die Tagesordnung. Nur, es stellt sich ja jetzt immer wieder heraus, dass uns Dinge nur häppchenweise serviert werden, dass bestimmte Dinge zurückgehalten werden. Da, wo es Pannen gibt, möchte man nicht informieren. Und auch das, was jetzt herausgekommen ist, ist doch offensichtlich nur herausgekommen, weil es den Spion im BND gegeben hat, der für die Amerikaner bestimmte Unterlagen zur Verfügung gestellt hat. Und ich bin sehr froh, seit heute haben wir endlich die Möglichkeit, in diese Dokumente Einsicht zu nehmen, also über 200 Dokumente, die an die Amerikaner weitergeleitet worden sind. Ich werde diese Unterlagen morgen einsehen und vermute, es wird dort weitere Überraschungen geben.
    "Die Bundeskanzlerin hat die Verantwortung"
    Kapern: Ganz kurz noch, Herr Hahn: Viele Oppositionspolitiker haben nun eine öffentliche Stellungnahme der Bundeskanzlerin in dieser Sache gefordert. Die hat gestern bei ihrem Staatsbesuch in Lettland gesagt, sie könne öffentlich über die Arbeit des BND nicht sprechen. Was nun?
    Hahn: Ja, das ist natürlich eine absolute Ausrede. Wir reden ja öffentlich über das, was der BND macht, wir reden jeden Tag jetzt über die Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes. Und es kann nicht sein, dass das immer hinter verschlossenen Türen diskutiert wird. Selbst wenn man uns etwas mitteilt, ich bin zur Geheimhaltung verpflichtet, darf nicht mal mit meinem Fraktionsvorsitzenden darüber reden, das ist doch irre! Die Bundeskanzlerin hat die Verantwortung, in ihrem Haus wird die Tätigkeit der Geheimdienste koordiniert. Und deshalb ist es an ihr, auch dem Parlament die entsprechenden Informationen zu geben, und zwar in einer Regierungserklärung, möglichst sofort nach der Sommerpause. Das ist das, was wir fordern.
    Kapern: Der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, André Hahn von der Linken, heute früh im Deutschlandfunk. Herr Hahn, danke für das Gespräch, danke, dass Sie Zeit für uns hatten! Und ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
    Hahn: Sehr gern, tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.