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Spionage vor dem Hintergrund von 9/11

Mit dem Ende des Kalten Krieges traute man John le Carré kaum noch zu, Stoffe zu finden. Doch inzwischen sind die Verwerfungen der Globalisierung sein Thema geworden. In seinem gerade erscheinenden Roman "Die Marionetten" verarbeitet er den Anschlag auf das World Trade Center nicht direkt, sondern in Gestalt eines Epilogs.

Von Werner Köhne | 24.08.2009
    Herausragende Ereignisse der Zeitgeschichte: Sie boten für John le Carré immer wieder Anlässe für seine Romane. So war es mit seinem berühmtesten Werk "Der Spion, der aus der Kälte kam", das unmittelbar als Reaktion auf den Mauerbau und den Kalten Krieg zu verstehen war. Später reflektierte "Das Russlandhaus" die Verwerfungen im Gefolge der Perestroikapolitik Gorbatschows; und der erfolgreich verfilmten Geschichte "Der ewige Gärtner" war eine eingehende Recherche zum damals skandalösen Verhalten von westlichen Chemiekonzernen gegenüber afrikanischen Volksgruppen vorausgegangen.

    Natürlich war anzunehmen, dass John le Carré irgendwann das Ereignis 9/11 zum Stoff eines Romans wählen sollte. Schließlich vermuteten viele in dem Attentat auf das World Trade Ccenter einen Epochenbruch.

    In seinem gerade erscheinenden Roman "Die Marionetten" verarbeitet er den Anschlag am Ground zero aus guten Gründen nicht direkt, sondern in Gestalt eines Epilogs - wie nicht anders zu erwarten im Rahmen einer Spionagegeschichte. Issa, ein von den Russen verfolgter islamischer Tscheschene, kommt nach Deutschland, wo er um politisches Asyl bittet und später Medizin studieren möchte. Aber schon bald gerät er in den Fokus der Geheimdienste. Die Topographie zur Geschichte liefert le Carré nicht zufällig Hamburg, die Stadt, in der auch einer der Attentäter auf das World Trade Center, Mohmad Atta, studiert hatte.

    "In meinem Roman beschreibe ich Hamburg als eine Stadt, die eine natürliche Attraktivität für Mohammed Atta und die anderen Verschwörer besitzt. Ich glaube, dass jeder der wegen einer ausgeprägten Glaubensrichtung im Exil lebt, sich entweder davon entfernt oder sich nachdrücklich spirituell und fundamentalistisch diesem Glauben zuwendet. Atta hat den zweiten Weg gewählt. Irgendwie habe ich immer versucht, über Menschen zu schreiben, die zwischen zwei Welten gefangen sind."
    Le Carré entwirft mit Issa bewusst eine Gegenfigur zur geläufigen Vorstellung vom islamischen Terroristen. Er zeigt Issa als Idealisten, der naiv und menschenfreundlich die Sympathien des Lesers gewinnt. Man muss diese wohlwollende Zeichnung seines Protagonisten als Antwort auf die hysterische Reaktion der westlichen Wertegemeinschaft auf das Ereignis vom 11. September 2001 verstehen. Der Roman schreibt an gegen die These vom "Clash der Kulturen" und den "Achsen des Bösen". Hinzu tritt bei le Carré eine eigene Erfahrung mit einem jugendlichen Muslim in London. Es handelte sich um einen Menschen, der zwischen mehreren Kulturen eine Identität zu finden suchte:

    "Ich kann mich noch ganz besonders an einen sehr dünnen Jungen erinnern, der in einer Exilgruppe lebte. Um dazu zu gehören musste man eine Waffe tragen. Selbst damals waren sie schon Opfer der Straße. Einfach durch ihr Auftreten waren sie Opfer. Dieser Junge war zwischen zwei Kulturen gefangen, denn er hatte einen russischen Vater und eine tschetschenische Mutter. In der Pubertät hat er sich mehr den Tschetschenen und dem Islam zugewandt. Irgendwie ist er mir im Gedächtnis geblieben. Für diesen Jungen wollte ich einen Schauplatz finden und gleichzeitig wollte ich die Probleme eines herzensguten Typen aufzeigen, der versucht eine neue Identität aufzubauen, da ich mich selbst einmal in dieser Lage gefunden habe. Hamburg war da ein idealer Schauplatz."
    Wir erleben Hamburg als einen Schauplatz mit doppelten Boden – und somit ein typisches Szenario im Sinne le Carrés: Issa gerät in die Fänge konkurrierender westlicher Spionageorganisationen, denen er als Lockvogel für einen größeren Fisch, einen gemäßigten islamischen Prediger, dient. In seinem Umkreis werden aber auch andere Personen in den Strudel der Ereignisse gezogen, vor allem ein schottischer Banker und eine Anwältin, die für eine Flüchtlingsorganisation arbeitet und Issa zur Seite steht. Le Carré hat hier wieder einmal alle Ingredienzen zu einer spannungsreichen Dramaturgie aufgeboten. Sie entfaltet sich auf einer Bühne, in deren Hintergrund politische Repräsentanten und die Spitzen der Geheimdienste ihre kühl kalkulierten Pläne verfolgen, während im Vordergrund die kleinen Spione und zufälligen Beteiligten am Geschehen zugrundegehen. Am Ende steht wie fast immer ein Finale als Showdown: Verrat, Täuschung und Intrige fordern vereinzelte Opfer, während die Akteure im Hintergrund in ihren abgedunkelten Limousinen in alle Himmelsrichtungen verschwinden.

    Mit "Die Marionetten" hat le Carré einmal mehr seinen Stoff in Deutschland gefunden. Es ist überhaupt eine etwas ungewöhnliche Beziehung, die der Autor zu diesem historisch belasteten Land unterhält, das er als junger Mann nach dem Krieg bewusst gewählt hatte.

    "Es war für mich Schicksal und Glück, dass Deutschland sich zu meinem Sandkasten entwickelt hat, meinem Theater in dem ich gerne gearbeitet habe. Der Grund dafür war sicherlich, dass ich mir in der Schweiz ein Exil geschaffen habe, mich der deutschen Sprache verschrieben habe und in ihr Rückhalt gefunden habe."
    Mit seinem Roman scheint le Carré auch zu seinen Ursprüngen zurückgekehrt zu sein. Viele Kritiker glaubten, dass nach 1989 auch der Genreschreiber le Carré verstummen würde – was glücklicherweise nicht geschah. Ja gerade als erzählender Chronist des Kalten Krieges findet John le Carré einen unverstellten Blick auf das, was nach der Maueröffnung geschah. Sein Fazit für den Westen fällt hier ernüchternd aus.

    "Es ist schwer sich heutzutage die Welt anzuschauen und dabei nicht pessimistisch zu werden. Und wenn man – wie ich – eine ganze Weile seinen Glauben in den Kalten Krieg investiert hat, und man ihn enden sieht, dann ist da ein Moment, nur ein winziger Moment, in dem man die Welt völlig hätte verändern können. Das war einer dieser seltenen historischen Momente in dem wir hätten sagen können: 'Haltet die Uhren an. Wir werden jetzt eine Pause einlegen um zu sehen wie man die Welt gestalten kann.' Stattdessen haben wir uns in uns selbst zurückgezogen."
    Man mag den Roman "Die Marionetten” als Beweis für diese deprimierende Einsicht in den Weltenlauf sehen. Wo an Stelle von politischer Aufklärung und Transparenz die alten Mechanismen der Verdeckung und der Spionage fortwirken wie hier, scheint eine Chance verspielt. Der junge Muslime Issa wird einer Zwei-Fronten-Ideologie geopfert. Den Grabenkämpfen zwischen Ost und West ist ein hysterisierter Kulturalismus gefolgt, der ohne historisches Bewusstsein auf der Basis eines entfesselten Marktes operiert. Man wünscht dem Autor noch gute Gesundheit, damit er auf die neuen Verwerfungen der Globalisierung, dem vor sich hin taumelnden Finanz-Kapitalismus, künstlerisch reagieren kann.

    John le Carré, "Marionetten", Ullstein Verlag, 2008, 366 Seiten, 22,90 Euro
    Aus dem Englischen von Sabine Roth, Regina Rawlinson