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Spionageroman
Spiel mit wechselnden Identitäten

In seinem neuen Roman "Honig" malt Autor Ian McEwan ein düsteres Bild von England zu Beginn der 70er-Jahre. Dabei erzählt er eine mitreißende Liebesgeschichte und schildert zugleich eine merkwürdige Geheimdienstaffäre.

Von Johannes Kaiser | 13.01.2014
    England Anfang der siebziger Jahren. Bergarbeiterstreiks lähmen das Land, die IRA bombt in englischen Städten, um England aus Nordirland zu vertreiben, die britische Wirtschaft liegt am Boden. Es herrscht Untergangsstimmung.

    Ein Konteradmiral im Ruhestand schrieb, das Land gleiche einem rostigen Schlachtschiff mit Lecks unterhalb der Wasserlinie. Tony las den Brief beim Frühstück und wedelte geräuschvoll mit der Zeitung – damals knisterte Zeitungspapier noch und raschelte laut. "Schlachtschiff?", schäumte er. "Von wegen! Noch nicht mal eine Korvette. Ein verdammtes Ruderboot, das gerade absäuft!"

    Ian McEwan malt in seinem neuen Roman "Honig" ein düsteres Bild Großbritanniens. Und es ist nicht Swinging London mit den Beatles, Flower Power, Haschrebellen und Carneby Street. Statt bunter Gegenkultur Elitehochschule, kultivierte bessere Gesellschaft, Intellektuellenmilieu, Debatten über Politik.
    Serena Frome, Bischofstochter, hat gerade ihr ungeliebtes Mathematik-Studium abgeschlossen. Als begeisterte Leserin hat sie nebenher für eine kleine Unizeitschrift Romane rezensiert. Im Augenblick geht es ihr nicht so besonders gut, denn ihr Liebhaber, ein verheirateter Geschichtsprofessor, hat sie ziemlich brutal abserviert. Zuvor allerdings hatte er sie dem britischen Geheimdienst anempfohlen und ihr dort einen Termin verschafft.

    Da sie einen Job sucht und die sind damals rar gesät, bewirbt sie sich beim MI 5 und wird auch tatsächlich angenommen. Serena, politisch eher liberal, auf alle Fälle sowjetkritisch eingestellt, ideologisch jedoch nicht festgelegt, hat jedenfalls keine Bedenken, Spionin zu werden. Allerdings ist der Alltag alles andere als aufregend. MI 5 - ein typisch streng hierarchischer Bürokratenladen, in dem Frauen nur Hilfsarbeiten durchführen dürfen.
    Umso begeisterter greift Serena zu, als man ihr, dank ihrer Literaturleidenschaft, anbietet, für ein vom Geheimdienst initiiertes Kulturförderprogramm zu arbeiten. Dessen Aufgabe soll es sein, vermeintlich konservative oder rechts eingestellte Autoren für sich zu gewinnen, um sie als Bollwerk gegen kommunistische Einflüsterungen zu nutzen. Man lässt ihnen Stipendien zukommen oder zahlt hohe Honorare für ihre Artikel. Allerdings soll nicht herauskommen, wer der Geldgeber ist.
    "Ihre Aufgabe wird besonders knifflig sein. Sie wissen so gut wie ich, es ist nicht einfach, die Ansichten eines Autors aus seinen Romanen abzuleiten. Also brauchen wir ein Schriftsteller, der auch journalistisch tätig ist. Wir suchen jemanden, der auch mal an seine bedrängten Brüder im Ostblock denkt, der vielleicht dorthin reist und seine Hilfe anbietet oder Bücher hinschickt, der Petitionen für verfolgte Schriftsteller unterschreibt, sich mit seinen verlogenen marxistischen Kollegen hier anlegt, keine Angst hat, öffentlich anzuprangern, das Castro in Kuba Schriftsteller ins Gefängnis steckt. Kurz, einen, der gegen den orthodoxen Strom schwimmt. Dazu braucht es Mut, Miss Frome."
    Honig wird das Projekt getauft, ein durchaus doppeldeutiger Name, denn erst lockt Honig durch seine Süße und dann bleibt man an ihm kleben, kommt nicht wieder los. Serena wird auf den jungen Thomas Haley angesetzt. Man sieht in ihm konservatives Potential. Er gehört auf alle Fälle nicht zu den Linken. Im Auftrag der kulturellen Tarngesellschaft bietet sie ihm ein Förderstipendium an, so dass er seinen Lehrauftrag an der Uni aufgeben und sich allein dem Schreiben widmen kann.
    Im Auftrag von MI 5 hält sie fortan engen Kontakt zu ihm. Dabei verliebt sie sich über beide Ohren in den Autor. Eine leidenschaftliche Affäre beginnt. Serena kann schon bald Privates und Berufliches nicht mehr voneinander trennen. Sie wird zur Muse des jungen Schriftstellers, der viel auf ihr gutes Urteil hält.
    Ian McEwan zitiert ganze Abschnitte aus den jetzt entstehenden Erzählungen, erfindet verrückte, absurde Geschichten, die nicht zufällig an seine eigenen ersten Erzählungen erinnern. Serena ermutigt Tom, sich an seinen ersten Roman zu setzen, ein Science Fiction Untergangsszenario, das ihr Geheimdienstvorgesetzter Max gewiss nicht schätzen wird.
    Der Roman würde sie alle vor den Kopf stoßen,... allein schon deswegen war er großartig. Max würde sich ärgern und zugleich in seiner Meinung bestätigt sehen, dass es ein Fehler gewesen war, einen Romanautor mit an Bord zu nehmen. Paradoxerweise würde Honig dadurch aufgewertet, es bewies, wie unabhängig dieser Schriftsteller von seinen Zahlmeistern war. Aus dem Tiefland von Somerset war die Verkörperung des Gespensts, das hinter jeder Schlagzeile lauerte, ein Blick in den Abgrund, ein literarisch gestalteter Gau...
    Aber was hielt ich wirklich davon? Die Geschichte hatte mich deprimiert, sie war so finster, so ohne jeden Lichtschimmer... dieser Pessimismus hatte etwas modisches, er war nur eine ästhetische, eine literarische Maske, eine Attitüde... Es gefiel mir überhaupt nicht. Und am Ende würde man T.H.Haley als meine Wahl betrachten, und ich müsste den Kopf hinhalten. Wieder einmal negativ aufgefallen.
    Soviel zur Lenkbarkeit von Schriftsteller. Tom wird für sein Werk sogar mit einem Literaturpreis ausgezeichnet. Er setzt sich an einen neuen Roman. Doch den verbirgt er diesmal komplett vor Serena. Aus gutem Grund – wie sich bald herausstellt. Serena muss sich zu dieser Zeit massiver Avancen ihres Vorgesetzten Max erwehren, mit dem sie anfangs eine kurze Affäre hatte. Der nimmt ihr die Ablehnung ausgesprochen übel und rächt sich auf eine hinterhältige Weise.
    Er nutzt eifersüchtig-gehässig die Tatsache aus, dass Serena nie den Mut gefunden hat, Tom zu gestehen, dass sie in Diensten des MI 5 steht und sein Stipendium vom Geheimdienst stammt. Eine Katastrophe bahnt sich an. Und sie ereignet sich tatsächlich, allerdings mit einer Schlusspointe, die den gesamten Verlauf des Buches gewissermaßen auf den Kopf stellt. Deswegen darf sie hier auch nicht verraten werden. Nur so viel sei gesagt, Ian McEwan spielt hier in schönster Geheimdienstmanier mit wechselnden Identitäten.
    Ian McEwan beschwört in seinem Roman noch einmal die Atmosphäre erbitterter ideologischer Grabenkämpfe zwischen links und rechts. McEwan geißelt indirekt die Verbohrtheit gerade der Linken, die zum Beispiel jemanden, der die DDR kritisierte, als CIA-Spitzel diffamierte. Englands Elite wiederum fürchtete, unter seinen Intellektuellen erneut Spione für die Sowjetunion zu entdecken, was sich im Roman übrigens auch bewahrheitet.
    Es sind Diskussionen, wie man sie auch in McEwans Freundschaftskreis zu jener Zeit führte, als er noch ein junger unbekannter Autor war, der versuchte, sich einen Namen zu machen. So sind denn auch einige biographische Details des Schriftstellers in die Figur des jungen Autors Tom mit eingeflossen. Doch das spielt für die Geschichte, das Spiel mit doppeltem Boden keine Rolle. Eine mitreißende Liebesgeschichte, eine merkwürdige Geheimdienstaffäre, ein intelligenter Roman mit Überraschungen.

    Ian McEwan: "Honig."
    Aus dem Englischen von Werner Schmitz.
    Diogenes Verlag, 463 Seiten, 22,90 Euro.