Dienstag, 16. April 2024

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Spirituelles Testament
"Wie ein Rucksack voller Steine, der immer leichter wird"

Was ist wichtig, wenn das Leben zu Ende geht? Wer soll da sein und wer nicht? Wie soll die Beerdigung aussehen? Religionen sehen dafür Rituale vor, doch auch nicht-religiöse Menschen wollen geistliche Dinge regeln. Für sie gibt es zunehmend Angebote.

Von Ursula Reinsch | 10.06.2020
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Die letzte Wegstrecke ist nicht planbar wie eine Wanderung, aber vorbereiten lässt sich sich schon. (Stephan Meurisch)
"'Memento mori, 'denke an den Tod', denke an Deine Sterblichkeit."
Sagt Wilfried Reuter, Arzt und Sterbebegleiter. Die mittelalterliche Devise "Memento mori" stammt aus dem Mönchslatein. Aber sie ist keine einfache Aufforderung. Egal ob man Mönch ist oder einfacher Mensch: Man muss sich beunruhigenden Fragen stellen.
Wie möchte ich am Tag meines Abschieds sein?
Kann ich mein Sterben mitgestalten?
Wer soll bei mir sein? Wer nicht?
Was soll an meinem Sterbebett passieren? Was nicht?
Was kommt danach?
Was soll mit meinem toten Körper geschehen? Was nicht?
Fragen, die uns oft in Endlosschleifen quälen.
Nachts, wenn wir wach liegen im Bett. Fragen, die wir so gerne verscheuchen. Am Tag - wie lästige Fliegen. Die aber immer wiederkehren. Spätestens dann, wenn ein geliebter Mensch stirbt. Oder wenn wir von Katastrophen und Kriegen hören, von Tod und Terror. Finden wir ganz bewusst persönliche Antworten darauf, finden wir etwas mehr Ruhe. Vielleicht so etwas wie inneren Frieden.
Countdown des eigenen Lebens
Wilfried Reuter sagt: "Zum einen tut mir das selber gut, diese einzelnen Schritte mal durch zu gehen. Zum anderen mache ich es den Angehörigen leichter. Für die Angehörigen ist es wohltuend, wenn sie einen letzten Willen erfüllen können und über das Tun mit dem Verstorbenen in Berührung sein können."
Wer in Berührung mit einem Verstorben kommt, ist unweigerlich mit dem Countdown seines eigenen Lebens konfrontiert. Mit seiner eigenen Endlichkeit. Früher waren die Kirchen für die spirituelle Dimension des Sterbens zuständig. Es gab verbindliche Rituale. Aber heute werden die Kirchen immer leerer. Folge: Wir müssen die geistliche und rituelle Ebene des Sterbens selbst regeln.
Nordfriedhof in Wiesbaden: Eine Engelsfigur zeigt mit einem Finger Richtung Himmel.
Nordfriedhof in Wiesbaden: Eine Engelsfigur zeigt mit einem Finger Richtung Himmel. (imago/Michael Schick)
Wer sich sein eigenes Ende vorstellt, der hat es am Ende leichter. Man kann seine letzte Lebensphase oft selbst vorbereiten, gestalten. Das ist die jahrzehntelange Erfahrung und Inspiration von Lisa Freund. Sie ist Sterbebegleiterin, hat Bücher geschrieben rund ums Sterben, hält Vorträge dazu, bildet Stebebegleiter aus.
Und sie hat einen Fragebogen zur geistig-seelischen Vorbereitung fürs Sterben entwickelt. Man findet ihn in ihren Büchern und im Internet. Darin regelt man nicht, wie man sein Vermögen verteilen möchte oder wie man medizinisch betreut werden möchte. Sondern:
"Wie möchte ich geistig gehen und seelisch? Und das wäre dann praktisch das spirituelle Testament", erklärt sie.
Sehnsucht nach spirituellem Halt
Das spirituelle Testament – nur wenige Menschen kennen den Begriff.
Die Fakten: Gerade mal ein Viertel der Bundesbürger hat eine Patientenverfügung geschrieben. Nur bei der Hälfte aller Erbfälle liegt ein gültiges Testament vor. Und laut einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Hospiz und Palliativ-Verbandes denkt nur die Hälfte der Befragten regelmäßig oder gelegentlich an die eigene Endlichkeit. Aber immer mehr Menschen treten aus den Kirchen aus.
Eine Frau mit einem Kugelschreiber in der Hand betrachtet am 14.09.2017 in Dresden (Sachsen) einen Vordruck einer "Patientenverfügung".
Vordruck einer Patientenverfügung (picture alliance / dpa / Arno Burgi)
Nichtsdestotrotz: Kurz vor dem Tod sehnen sich auch viele Atheisten und Agnostiker nach spirituellem Halt.
Lisa Freund sagt: "Um ruhig sterben zu können, brauchen wir medizinische Fürsorge auf der einen Seite und auf der anderen Seite, eine pflegerische, die alles weiß, was am Ende gebraucht wird. Aber das reicht nicht. Wir brauchen eine geistige Vorbereitung und auch eine emotionale. Und die bekommen wir, wenn wir den Tod nicht als etwas sehen, das uns umbringt oder auslöscht, sondern wenn wir eine Vision entwickeln können, die über den Tod hinausgeht. Und das muss keine religiöse sein. Das kann einfach sein, dass ich die Wahrnehmung hab, ich bin ein geistiges Wesen in einem menschlichen Körper. Oder ich bin ein spirituelles Wesen im menschlichen Körper? Und mit dieser Haltung gibt es etwas, was bleibt und etwas, was vergeht."
Das sind Grundüberlegungen, die vermutlich jeden Menschen beschäftigen, egal ob er glaubt oder nicht. Doch der Tod gilt hierzulande für viele Menschen vor allem eines: ein Tabu.
"Was für eine Scheiße!"
Ist das so? Es erscheinen viele Bücher übers Sterben, über unheilbare Krankheiten. Etwas polemisch gesagt: Jeder Journalist, der einen demenzkranken Angehörigen hat, schreibt ein Buch darüber.
Einer der seine Angst öffentlich gemacht hat, seine persönliche Auseinandersetzung mit dem Tod inszeniert hat, war der Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief. Er zeigte seine Ver-Zweiflungen drastisch auf der Bühne, in seinen Büchern, in Interviews. In seinem "Tagebuch einer Krebserkrankung" mit dem Titel: "So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein", schildert er, wie wichtig es ist, den Tod als Vorsehung, nicht als Tabu, zu behandeln. Das kann Mut zu Auseinandersetzungen mit dem ungeliebten Thema machen.
Schlingensief schrieb: "Auch die Frage, wie ich sterben will, ist weiterhin eine zentrale Frage in meinem Kopf. Das ist nicht nur negativ, ich empfinde das als produktiv. Da kann ich den Dämon auch für mich einsetzen. In den ersten Tagen habe ich ja nur fluchen können: Was für eine Scheiße. Es ist zum Kotzen, ich will nicht sterben. Inzwischen kann ich – manchmal, nicht immer – viel ruhiger überlegen, in welchem Bild ich sterben will. Wie sieht das Schlussbild aus? Die meisten Leute sagen wahrscheinlich: Pessimistischer Quatsch, was soll ich mich damit beschäftigen? Aber ich glaube felsenfest, dass man sich darüber Gedanken machen muss."
Gedanken, die sich auch Christiane H. macht, 53, alleinerziehende Mutter. Sie hat die übliche "Das hat doch noch Zeit"-Abwehrhaltung aufgegeben. Stattdessen trifft sie sich regelmäßig mit Freunden und spricht mit ihnen über alles, was sie im Hinblick auf das eigene Ende bewegt. Gemeinsam arbeitet jeder in der Gruppe an seinem spirituellen Testament.
Sie sagt: "Es ist wie ein Klärungsprozess für mich jetzt. Ich gehe damit schon länger schwanger, und ich tue mich nicht so leicht damit. Ich schiebe es auch gerne vor mir her, weil es natürlich auch so eine Art Berührungsangst ist mit dieser Aussicht auf das Ende des Lebens. Das spüre ich schon deutlich."
Das Wort Testament wird mit einem Kugelschreiber auf ein Blatt Papier geschrieben.
Ein Testament wird verfasst. (dpa / picture alliance / Jens Büttner)
Sie schreibt ihre Antworten auf – auf Fragen wie diese:
Sollen heilige Symbole im Raum sein - auch wenn ich nicht mehr bei Bewusstsein bin?
Wie möchte ich spirituell betreut werden? Soll ein Pfarrer, Rabbiner, Imam, eine andere Vertrauensperson Rituale durchführen? Wenn ja, welche?
Was soll mit meinem toten Körper geschehen? Möchte ich gegebenenfalls in mein Heimatland überführt werden?
Welchen Bestatter möchte ich haben? Wie soll er mit meinem Leichnam umgehen?
"Früher gab es die drei Tage, die ein Körper in Ruhe liegen durfte. Und ich würde mir wünschen, dass meinem Körper und meinem Geist diese Gelegenheit gegeben wird. Dass ich nicht danach sofort in die Kühlkammer komme, so diese üblichen Prozesse, von denen man so weiß, wie sie in Krankenhäusern stattfinden."
Gedanken und Wünsche festhalten
Ihr spirituelles Testament heftet sie, wenn es fertig ist, in ihrem Nachlassordner ab. Und ihre erwachsenen Kinder wissen, dass es ein solches Dokument geben wird. Dort finden ihre Kinder auch Texte: christliche, buddhistische, psychologische, lyrische.
"Es gibt Texte, die mich sehr berühren, und die mich einfach sehr ruhig machen und sehr auf mich besinnend machen. Eigentlich ist es meine Vorstellung, dass meine Kinder zum Beispiel mir diese Texte einfach vorlesen. Auch vielleicht wenn ich in einem Zustand bin, wo sie meinen, dass ich nicht mehr aufnahmefähig wäre. Genau das würde ich mir wünschen, dass mir einfach diese Texte vorgelesen würden." Solche Gedanken hält Christiane H. in ihrem spirituellen Testament fest.
Sterbebegleiterin Lisa Freund erklärt: "Das spirituelle Testament ist unabhängig von allen Glaubensrichtungen. Jeder Mensch kann in dieses Testament eintragen, welche Wünsche er hat für diese letzte Lebensphase, für die Begleitung durch den Tod und das was danach kommt. Und das ist völlig egal, ob das christliche, islamische, jüdische oder ganz individuelle Ideen sind. Es geht einfach nur darum, als Bezugspunkt das zu finden, was ich brauche, damit ich ohne Probleme diesen Körper verlassen kann. Damit respektiert wird, dass ich zum Beispiel alleine sein will, dass ich Ruhe brauche, dass ich einen bestimmten Menschen an meinem Bett haben möchte. Der soll ein Lied singen oder ein Gebet sprechen. Oder ich habe die Vorstellung, der soll gar nichts tun und still an meiner Seite sein."
Wer ein spirituelles Testament schreibt, dem sollte dabei immer klar sein: Letztlich ist der Tod nicht planbar. Deshalb sollte das spirituelle Testament immer mit diesem Satz enden:
"Und wenn es anders kommt, ist es auch in Ordnung. Und ich kultiviere die Haltung: Ich habe es ausgedrückt, aber dann überlasse ich es dem Prozess, der kommt…", sagt Lisa Freund.
Der Soziologe und Theologe Reimer Gronemeyer
Der Soziologe und Theologe Reimer Gronemeyer (Droemer Knaur/Till Roos)
Tod und Sterben waren früher eingebettet in christliche Rituale, folgten Traditionen und Konventionen, brauchten deshalb keine individuelle Bezugsrahmen. Auch war der Tod nichts Außergewöhnliches.
Der Theologe und Soziologe Reimer Gronemeyer schreibt: "In einer Gesellschaft wie wir sie in Europa im 19. Jahrhundert hatten, war der Tod noch ein selbstverständlicher Vorgang. Er fand mehr nebenbei statt. Heute haben wir den Tod aus der Gesellschaft herausgedrängt. Er findet nicht mehr unter dem häuslichen Dach statt, sondern zu 80 Prozent in Institutionen. Also unsichtbar für die Gesellschaft."
65 Prozent der Menschen würden gerne zu Hause sterben. Aber die Großfamilie hat sich aufgelöst. Immer mehr Singles und ältere Menschen leben alleine oder in Heimen.
Das beeinflusst unsere Sterbe- und auch die Bestattungskultur. Da gehen viele pragmatisch und rational an das eigene Ende heran: Uller Gescheidel, Bestatter aus Berlin:
"Es gibt die, die sagen, ist mir alles ganz egal – bringt mich unter die Erde, am besten grüne Wiese, macht nur keinen Aufwand für mich. Grab will ich auch nicht, weil ich nicht will, dass Ihr mit dem Grab belastet sein. Das ist eine Haltung, die sehr stark in der Nachkriegsgeneration vertreten ist, die sehr viele Jahre oft mehrere Gräber gepflegt haben, und wissen, was das heißt. Also macht es so minimalistisch wie möglich."
Die Anderwelt
Bestatter sprechen hier von einer "stillen Revolution". Statt Erdbestattung lieber Urnenbeisetzung, statt Grab mit Grabstein eine anonyme letzte Ruhestätte. Dann erinnert nicht einmal ein Namenstäfelchen an den Verstorbenen. Uller Gescheidel zweifelt, ob Menschen, die derart minimalistische Wege gehen, auch dem persönlichen Kontext ihrer Mitmenschen gerecht werden:
"Die haben nicht im Blick, dass die Kinder von ihnen oder der Ehepartner vielleiht ein Grab braucht, einen Ort, wo sie sich aus dem Alltagsleben ein Stück rausnehmen können und sich auch ihren Gefühlen, ihrer Trauer öffnen können. Ich glaube ein Grab auf einem Friedhof, gerade im großstädtischen Bereich, ist wie eine Anderwelt. Der Friedhof, durchs Friedhofstor durchgehen, wo keine Autos fahren - das ist irgendwie eine ganz andere Welt als das Getriebe drum herum…."
Genau über diese "Anderwelt" sollte man mit seinen liebsten Menschen sprechen – zum Beispiel im Kontext mit einem spirituellen Testaments. Denn es ist viel leichter, solche eine Verfügung nicht allein im stillen Kämmerlein zu verfassen. Es tut gut, sich mit Nahestehenden oder ähnlich gesinnten Menschen darüber auszutauschen, es erleichtert das Schreiben.
Es ist ja nicht nur die Bestattungskultur, die sich rasch wandelt. Auch der Charakter von Trauerfeiern verändert sich immer mehr. Christliche Gebete und Gesänge weichen individuellen Ritualen. Gelegentlich versammeln sich Freunde und Angehörige gar nicht mehr auf dem Friedhof oder im Friedwald, sondern sie treffen sich an einem Ort, der dem Verstorbenen "heilig" war, vielleicht sogar in der Reithalle. Auch solche Dinge lassen sich im spirituellen Testament festlegen. Ebenfalls, welche Musik gespielt werden soll. Vielen ist wichtig, dass sie die Persönlichkeit des Verstorbenen noch einmal unterstreicht.
Die Suche nach der Kraftquelle
Immer mehr Menschen leben heute "multireligiös" oder "multispirituell", sagt die Sterbebegleiterin Lisa Freund.
"Das reine Christentum, also in Anführungsstrichen, wenn es das überhaupt gab …., ist nicht mehr. Wir sind multikulturell. Wir haben durch die Globalisierung und das Internet die unterschiedlichsten Einflüsse."
Immer wieder begleitet Lisa Freund Sterbende, und auch schwerkranke Menschen, mit ganz unterschiedlichen religiösen und kulturellen Hintergründen. Und immer erlebt sie die Sehnsucht nach emotionalem und geistigem Halt. Häufig geht mit sie mit Schwerkranken auf eine Art spirituelle Spurensuche:
"Das kann Gebet sein, das kann Meditation sein, das kann sein, dass ich mir eine Kraftquelle suche, also versuche, innerlich meine Ressourcen zu nähren. Zum Lebensende hin, wenn die Kraft nachlässt, gibt es oft innere Bilder. Das kann sein: die Erinnerung an die Kindheit, eine Situation von Geborgensein, an einen Sonnenuntergang. Und ich kann diese schöne Erfahrung nehmen, um in mir Frieden, gute Stimmung, Wohlbefinden zu schaffen. Und damit habe ich eine Kraftquelle."
Der Regisseur Christoph Schlingensief, der 2010 an Lungenkrebs verstorben ist.
Der Regisseur Christoph Schlingensief, der 2010 an Lungenkrebs verstorben ist. (imago/SKATA)
Der 2010 verstorbene Christoph Schlingensief, der den Tod, auch seinen eigenen, immer wieder öffentlich gemacht hat, hat schrieb etwas ganz ähnliches – kurz vor bevor er starb:
"Und (ich) bastle weiter an meinem Bild des Sterbens, weil ich es wichtig finde, dass man sich nicht an Kabeln und Drähten befindet, wenn man die letzten Gedanken denkt. Sondern dass man in ein Bild einsteigen kann, dass man schon früher gebaut hat, das Bild eben, in dem man diese letzten Gedanken denken möchte. Das Bild muss also wachsen, damit man in diesem Bild verschwinden kann. Und dann ist vielleicht wenigstens ein Gedanke übrig geblieben, nicht einer, der die Welt aus den Angeln hebt oder die Lösung aller Probleme bietet, sondern nur einer, der vielleicht nichts anderes ist als ein großer Wunsch… Eigentlich geht es um das Glück, geliebt zu werden und an einen Ort zu gehen, an dem man sich geborgen fühlt."
Lisa Freund erlebt häufig, dass oft am Ende gerade auch Überlegungen wichtig sind, wieviel Zeit noch bleibt, und was man jetzt noch anders machen könnte, verändern könnte, damit die letzte Zeit erfüllter wird, reicher? Welche Prioritäten kann ich wie verschieben? Mir mehr Zeit nehmen für mich, einfach mal nichts tun? Barfuß durchs Gras gehen? Mit Kindern spielen, mehr mit Freunden zusammen sein, Hobbies pflegen, reisen? Dass sie solche inneren Bedürfnisse nicht ernst genommen und gelebt haben, bedauern viele Schwerkranke.
"Oje, wie das wohl werden wird"
Elke Sanders nicht. Zum Zeitpunkt unseres Interviews ist sie 59 Jahre. Sie weiß seit gut einem Jahr, dass ihr Krebs unheilbar ist. Sie lebt alleine, ist schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten. Kinder hat sie nicht, aber Verwandte, Freunde. Erst war da nur tiefe Verzweiflung und dann auch bei ihr die brennende Sehnsucht nach spirituellem Halt. Sie nutzt die Zeit, die ihr noch bleibt, für sich ganz persönlich: liest Bücher, die sie immer lesen wollte, betet, sie meditiert. Sie besucht Seminare für Sterbebegleitung, um sich in einem geschützten Rahmen mit ihrem bevorstehenden Sterben zu beschäftigen. Für sie ist zentral:
"Das Thema einfach zuzulassen. Sich damit zu beschäftigen. Ich möchte nicht, dass auch möglicherweise über mich bestimmt wird in einer bestimmten Form, die ich gar nicht möchte. Das ist die Möglichkeit, die ich jetzt noch habe, dass ich sage: Mir geht es gut und das, was ich tun kann, das mache ich auch. Ich bin nicht hilflos und liege irgendwo und kann noch etwas mitgestalten. Es betrifft mich und meine Lieben."
Selbst bestimmen, mitgestalten. Das ist wichtig, und dabei kann ein spirituelles Testament ein wichtiger Leitfaden sein, sogar den Weg zum Bestatter ermöglichen und erleichtern.
"Ich hab erst gedacht: Oje, wie das wohl werden wird", sagt Elke Sanders. "Aber es kam eine ganz junge Frau zu mir, wo ich zunächst gedacht habe, 'mit ihr – sie ist noch so jung, Du magst sie gar nicht damit konfrontieren.' .Und mit ihr konnte ich wirklich alles besprechen. Das war ganz toll. Sie hat mir noch Tipps gegeben. Ich hab tatsächlich auch Geld hinterlegt für meine Beerdigung. Habe mir alles ausgesucht, habe eine Rede geschrieben. Das war mir ein absolut inneres Bedürfnis, auch so noch meiner Familie, meinen Freunden auch noch einmal was mitzuteilen."
Etwas wirklich Wichtiges ist erledigt
Mitteilen, wie sehr sie sie liebt, wie glücklich sie mit ihnen war. Ihnen danken: "Für mich war wichtig, meiner Familie auch nicht so viel zuzumuten, ihnen auch eine Last abzunehmen. Man steckt mitten drin und plötzlich muss man ganz viel regeln. Weil es mir ein Bedürfnis war für meine Lieben, ihnen den Weg etwas zu erleichtern. Und mich erleichtert das auch. Mir geht es wirklich, dadurch, dass ich es erledigt habe, gut. Wenn man so als Bild, wenn man einen Rucksack aufhat, da sind ganz viele Steine raus. Er ist sehr viel leichter. Das war für mich ganz ganz wichtig."
END-lich leben. Wer sein spirituelles Testament geschrieben hat, fühlt sich erleichtert. Es ist das Gefühl, etwas wirklich Wichtiges erledigt zu haben.
Diese Sendung wurde erstmals am 23.01.2019 in der Reihe "Aus Religion und Gesellschaft" ausgestrahlt.