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Spitze braucht die Breite, die Breite braucht aber auch die Spitze

Der Medaillenspiegel werde überbewertet, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Medaillen seien für das nationale Prestige nicht notwendig, gleichwohl belebten sie das Gemeinschaftsgefühl.

Thomas de Maizière im Gespräch mit Jessica Sturmberg und Herbert Fischer-Solms | 07.03.2010
    Herbert Fischer-Solms: Herr Minister de Maizière, was halten Sie von Staatssport?

    Thomas de Maizière: Mit der Frage wollen Sie mich natürlich aufs Glatteis führen, weil der Staat, der deutsche Staat sich sehr engagiert für den Spitzensport. Mit Staatssport verbindet man aber im Grunde etwas anderes, dass der Sport eine staatliche Angelegenheit ist, ohne Autonomie. Das ist in Deutschland anders. Also Staatssport in dem Sinne, dass Sport eine nachgeordnete Einrichtung des Staates ist wie eine Behörde, das lehne ich ab.

    Fischer-Solms: Ich dachte auch an diese Glückwünsche, die der Minister dann bei jedem Medaillengewinn nach Vancouver und den Athleten ins Haus schickt.

    de Maizière: Ach, Sie haben es gar nicht so systematisch gemeint, wie ich es jetzt beantwortet habe! – Das ist doch irgendwie klar. Ich finde, wenn Bürgerinnen und Bürger dieses Landes etwas Großes leisten, im Sport, aber auch anderswo, dann gehört es nicht nur zum guten Ton, sondern ist doch auch schön, wenn viele daran teilhaben, und wenn die öffentlichen Repräsentanten sich auch daran freuen und Glückwünsche machen, ist das doch schön. Das machen wir zu runden Geburtstagen von großen Schauspielern, das machen wir auch sonst. Das, finde ich, ist nun überhaupt nicht kritikwürdig.

    Fischer-Solms: Glückwünsche an jeden Medaillengewinner - ich fühle mich immer an Erich Honecker erinnert. Der hat das auch gemacht und der stand für DDR-Staatssport.

    de Maizière: Nein. Wenn ein Schauspieler, wenn ein Sänger, ein Bischof, ein ehemaliger Politiker, ein Sportler einen runden Geburtstag hat oder sonst etwas macht, dann bekommt er auch einen Brief. Es ist die Geste des demokratischen Staates gegenüber einer Lebensleistung, und das ist wunderbar.

    Jessica Sturmberg: Wenn ein Sportler einen 4. Rang erreicht, oder einen 5., oder vielleicht auch einen 10., ist das dann auch noch einen Glückwunsch wert?

    de Maizière: Ja. Ich habe bei dem Empfang im Deutschen Haus, den ich eröffnet habe, natürlich den Medaillengewinnern gratuliert. Ich habe vor allen Dingen aber auch einen Dank mal denen ausgesprochen, die den 7., 8. oder 9. Platz machen. Ich meine jetzt nicht die, die es irgendwie nicht gebracht haben, sondern ich meine die, die in einer Sportart sind, wo man eben nicht höher kommt, oder die auch ihr halbes Leben opfern und das Beste leisten, was sie leisten können. Und auf Platz 7 oder 8, ich meine, das sind Siebt- oder Achtbesten der ganzen Welt. Das ist allemal einen dicken Glückwunsch wert.

    Sturmberg: Sie sagten gerade, "die, die es nicht gebracht haben". Was ist denn da das Kriterium, wer hat denn etwas nicht gebracht?

    de Maizière: Alle strengen sich an, aber es ist schon ein Unterschied, ob da jemand ist, der eigentlich sagt, ich bin froh, dass ich dabei bin, und ich hoffe, dass ich die erste Runde irgendwie überstehe, und wenn der dann 7., 8. oder 9. wird, ist das doch toll. Und wenn ein Favorit auf dem 7. oder 8. Platz landet, ist das etwas anderes. Dann ist zunächst er bitter enttäuscht und dann würde ein Glückwunsch von mir oder jemand anders geradezu als zynisch wirken. Deswegen ist ein 7. oder 8. Platz eben nach Sportart und nach Leistungsvermögen des Sportlers etwas sehr Unterschiedliches.

    Fischer-Solms: Wie wichtig ist für Sie der Blick auf den Medaillenspiegel?

    de Maizière: Er wird überbewertet, zumal er sich ja nach den Gold-Medaillen richtet, und ich habe immer schon gesagt, ich finde eigentlich die Gesamtzahl der Medaillen mindestens so aussagefähig wie die Zahl der Gold-Medaillen, wenn Sie beim Rodeln oder Bob daran denken, dass Hundertstel Sekunden sogar bei vier Läufen über Bronze oder Blech entscheiden.

    Fischer-Solms: Das ist der Spitzensport.

    de Maizière: Das ist so im Spitzensport. Ich finde aber umgekehrt auch, der Steuerzahler gibt rund 140 Millionen Euro im Jahr aus für den Spitzensport. Das kann man grundsätzlich in Zweifel stellen und sagen, das ist überhaupt nicht Aufgabe des Staates, das zu tun. Wenn man das aber tut, dann, finde ich, hat der Steuerzahler auch einen Anspruch darauf, dass hinten ein bisschen was raus kommt, nicht im Sinne von "wenn dann", "wir erwarten das und das", nicht im Sinne von Erich Honecker früher oder des DDR-Sports, aber dass sich dann alle anstrengen, dass es auch irgendwie Erfolg zeitigt, das, finde ich, ist doch irgendwie normal und das, finde ich, auch gegenüber dem Steuerzahler einen Anspruch.

    Fischer-Solms: Aber wie wichtig sind für Sie persönlich Medaillen fürs nationale Prestige? Brauchen wir das?

    de Maizière: Fürs nationale Prestige brauchen wir das nicht, aber wir brauchen Gemeinschaftserlebnisse in diesem Land, in einer arbeitsteiligen, ausdifferenzierten Welt, wo die Wohnverhältnisse so sind, dass man nicht mehr viel voneinander weiß, wo manche Leute nur noch im Internet kommunizieren, wo die Generationen auseinandergegangen sind. Jedes Volk braucht Gemeinschaftserlebnisse – im Trauern, im Lachen, im Weinen, im Fühlen und hoffentlich auch im gemeinsamen Denken – und da ist der Sport eine wunderbare Gelegenheit, dass es solche Gemeinschaftserlebnisse gibt. Das darf man nicht missbrauchen. Adolf Hitler hat das missbraucht; das meine ich nicht. Und wenn alle sich mit Magdalena Neuner freuen und das eine ehrliche gemeinsame Freude ist, das ist doch wunderbar und ich fände es schön, wenn wir noch mehr solche Erlebnisse hätten. Jedenfalls der Sport schafft sie.

    Sturmberg: Gemeinschaftserlebnisse kann man aber auch im Breitensport erleben, oder das ist ja auch genau die Ebene, die der Bürger letztendlich ja erfährt. Das andere wird auf der großen Ebene geteilt, aber Breitensport ist auf der kleinen Ebene und da ist ja, wenn wir wieder darauf zurückkommen, Mittelvergabe, wie die Prioritäten gesetzt werden, und die Prioritätensetzung ist ja momentan ganz klar in Richtung Spitzensport.

    de Maizière: In Deutschland geht ja alles nach Zuständigkeiten und der Bund ist nun mal nur für den Spitzensport zuständig. Wenn Sie aber die Summe mal nehmen, was die Länder und Kommunen im Breitensport, im Schulsport machen, dann stimmt das Verhältnis wieder. Wir haben (auch die Länder und Kommunen) von dem Konjunkturprogramm in zwei Jahren eine Größenordnung von mindestens 700 Millionen Euro ausgegeben für Sportstätten. Das hat es noch nie gegeben. Und ich finde, es wäre ganz fatal, wenn wir den Spitzensport gegen den Breitensport ausspielen. Die Spitze braucht die Breite, die Breite braucht aber auch die Spitze. Es gibt auf Dauer keinen Breitensport, wenn es nicht auch Spitzensport gibt, und das gilt allerdings auch umgekehrt. Nur sind die Zuständigkeiten in Deutschland eben so verteilt, dass die einen, wenn Sie davon reden, nur auf den Spitzensport gucken und die anderen auf den Breitensport.

    Fischer-Solms: Die Sportförderung ist angesprochen: Im Jahre 2008 aus dem Innenministerium 143,7 Millionen, 2009 152 – eine gewaltige Steigerung – und für dieses Jahr noch einmal eine Steigerung um drei Millionen, 155. Angesichts von Bildungsnotstand in Deutschland, von vielen, auch sozialen Problemen, der Sport scheint da offenbar grenzenlos zu sein, was die Etatisierung betrifft?

    de Maizière: Nein. Die Steigerungsraten der Spitzensportförderung in den letzten drei Jahren waren in der Tat bemerkenswert. Es gibt kaum ein Politikfeld, wo das so war, am ehesten noch Bildung. Was wir in den letzten Jahren verstärkt gemacht haben, was ich auch gerne fortsetzen möchte, ohne dass ich weitere Steigerungsraten in Aussicht stellen kann angesichts der Haushaltslage, ist, dass wir uns insbesondere um die Trainer gekümmert haben. Wir haben oft auf die Sportler geguckt, aber die Trainer sind erst mal keine Spitzenverdiener, sie sind sehr wichtig, fachlich und menschlich, sie finden wenig soziale Anerkennung, sie stehen nicht bei den Interviews vorne, sie stehen nicht auf dem Siegertreppchen, und für die mehr gemacht zu haben, ist, glaube ich, eine gute Nachricht.

    Sturmberg: Stichwort Trainer. Gerade was die Auswahl der Trainer angeht, gab es ja sehr unterschiedliche Signale in der Vergangenheit. Es sind ja einige Trainer nominiert worden, die durchaus eine zweifelhafte Vergangenheit haben. Es ist sicherlich wichtig, dass man gute Trainer hat, aber müssten Sie da nicht ein genaueres Auge drauf werfen, wer da mit nach Vancouver fliegt?

    de Maizière: Nicht wir, aber der Sport. Das Gespräch begann ja mit dem Staatssport. Wenn jetzt es eine Einstellungsbefugnis des Staates für Trainer gäbe, dann wäre die Grenze zum Staatssport überschritten. Wir wollen gute Trainer fördern, wir fördern Spitzensportvereine, Verbände. Wen die dann als Trainer einstellen, ist deren Sache. Das heißt allerdings nicht, dass man jedem Trainer dann auch die Reisekosten erstattet. Das ist ja ein Spezialproblem, was wir in einem speziellen Fall hatten. Aber der Staat ist weder geeignet, die charakterliche und vor allen Dingen nicht die sportfachliche Kompetenz von Trainern zu beurteilen. Das ist beim Sport in besseren Händen.

    Sturmberg: Auf der einen Seite fördern Sie natürlich den Spitzensport, die Athleten, eben auch dadurch, dass zwei Drittel der Athleten, die jetzt zum Beispiel in Vancouver dabei gewesen sind, beim Staat in der einen oder anderen Weise angestellt sind. Aber auf der anderen Seite, wenn es um die Trainer geht, da sagen Sie, das ist die Autonomie des Sports?

    de Maizière: Darin sehe ich keinen Widerspruch. Was verlangen wir von den jungen Spitzensportlern? Mit "wir" meine ich alle: die Zuschauer, den Steuerzahler, wer immer. ... , dass sie ihr halbes Leben opfern? – Und mit 30 ist Schluss. Dann haben sie vielleicht ihren Körper halb ruiniert, haben für fünf, sechs Jahren Zuspruch der Bevölkerung bekommen und drohen, in Vergessenheit zu geraten, und haben keine Ausbildung. So können wir, glaube ich, mit diesen wirklichen Spitzenkräften unserer Gesellschaft nicht umgehen. Deswegen finde ich es gut und richtig, dass der Bund vorbildhaft seine Rolle als Arbeitgeber wahrnimmt, während des Sportes ihnen die Möglichkeit gibt, ihren Sport auszuüben, und eine berufliche Chance danach eröffnet, was die Bundespolizei und andere ja vorbildlich tun.

    Ich würde mir wünschen – und darüber möchte ich auch Gespräche führen -, dass die Wirtschaft und andere Arbeitgeber ihrerseits während der Phase und vor allen Dingen nach der Phase so mit Spitzensportler umgehen. Wir nehmen dann ja Spitzensportler, die Spitzensportler sind, auf in die Bundespolizei oder die Bundeswehr, in den Zoll, und züchten nicht Menschen heran als öffentlicher Arbeitgeber.

    Sturmberg: Aber bietet die Bundeswehr tatsächlich mit den Zeitverträgen für Sportsoldaten eine Perspektive?

    de Maizière: Während der Zeit ja.

    Sturmberg: Und danach?

    de Maizière: Danach gibt es immerhin Hilfe. Einige werden auch Berufssoldaten. Andrej Lange ist ein solcher Fall. Ich habe gerade vor wenigen Tagen mit meinem Kollegen Guttenberg vereinbart, dass wir gemeinsam überlegen wollen, wie wir Spitzensportler insgesamt (auch für Soldaten) die berufliche Perspektive nach dem Sport verbessern wollen.

    Fischer-Solms: Wobei der Etat im Verteidigungsministerium ja in den letzten drei Jahren nicht wie im BMI um 30 Prozent, sondern um 50 Prozent gestiegen ist, der Etat für den Sport im Verteidigungshaushalt. – Herr Minister, Sie sind in Vancouver gewesen. Wenn man das nachgelesen hat, was Sie dort in Interviews gesagt haben, und wenn das Zitat stimmt, dann haben Sie zum Thema Sportförderung gesagt, "wir müssen stärker auf aussichtsreiche Sportarten uns konzentrieren, wir haben nicht die Finanzen, alle Sportarten zu unterstützen". Auch das erinnert mich wieder an die DDR, Entschuldigung.

    de Maizière: Ja. Es ist immer bei der Förderung das alte Thema Kleckern oder Klotzen, und wenn man nun viel Geld ausgibt, was ich für richtig halte, dass man es dann gezielt ausgibt.

    Fischer-Solms: Wo ist für Sie die rote Linie? Werden also Sportarten aus der Förderung des Bundes ganz herausfallen?

    de Maizière: Ja. Wenn eine Sportart dauerhaft, obwohl viel Geld da ist, nicht im Stande ist, Spitzensport-Ergebnisse zu erzielen, dann muss man auch über Förderungsschwerpunktveränderung reden. Das tun wir aber nicht irgendwie staatssportmäßig, um das noch mal aufzugreifen, oder wie es früher war, sondern im Dialog mit den Repräsentanten des Sportes, und das ist der DOSB.

    Fischer-Solms: Was ist mit den nichtolympischen Sportarten? Werden die auch mit Kürzungen rechnen müssen? Werden sie überhaupt noch unterstützt werden?

    de Maizière: Sie unterstellen jetzt mit Ihrer Frage, dass irgendjemand mit Kürzungen rechnen muss. Das ist nicht der Fall. Ich habe nur strukturell gesagt: Wo es Erfolg gibt, ist Förderung wichtig, um weiteren Erfolg zu erzielen, oder den Erfolg zu halten, und wo es dauerhaft weniger Erfolg gibt, sollte man sich die Frage stellen, ob nicht das gleiche Geld bei einer anderen Sportart besser aufgehoben ist.

    Fischer-Solms: Das wäre Ihr Appell an den Sport?

    de Maizière: Das ist eine Aufgabe an den Sport, sich in besonderer Weise darauf zu konzentrieren, dass die Steuermittel für den Spitzensport – wir reden ja jetzt nicht in dem Zusammenhang über Breiten- oder Schulsport -, dass sie auch möglichst effektiv eingesetzt werden, und effektiv – das ist nun mal im Sport so – heißt erfolgreich.

    Fischer-Solms: Medaillenintensiv?

    de Maizière: Medaillenintensiv, aber nicht medaillenfixiert.

    Sturmberg: Ist denn Erfolg, Medaillen, das wirklich alleinige Kriterium dafür, dass eine Sportart in ihrem Wert steigt?

    de Maizière: Überhaupt nicht! Wir sehen es beim Fußball. Der Fußball wird nicht gefördert, und das ist Spitzensport. Warum? ... , weil er sich selbst finanzieren kann.

    Sturmberg: Fußball ist natürlich immer, um es mal so zu sagen, eine eigene Liga, eben aufgrund dieser Breite. Aber wenn eine Sportart eben auch eine Breite hat und gerne auch förderungswürdig ist, aber diese Sportart möglicherweise ein sehr breites und intensives lebendiges Leben entfaltet, ein sportliches Leben, gute Nachwuchsarbeit leistet, auch viele Menschen interessiert und deswegen auch viele Bürger erfreut, aber eben nicht diese Medaillenerfolge hervorbringt, ist das dann kein Kriterium?

    de Maizière: Für mich als Bundesinnenminister, der Spitzensportförderung macht und übrigens nur die machen darf nach unserer Rechtsordnung, ist natürlich mindestens die Chance, dass daraus Spitzensport entsteht, das zentrale Kriterium. Das tut mir leid. Alles weitere ist Sache des Breitensports, ist Sache des Sponsoring, ist Sache der Länder, der Kommunen. Das ist alles wahr. Spitzensportförderung, da geht es eben, wie der Name sagt, um Spitzensport.

    Fischer-Solms: Stichwort 2018 München. Herr Minister, die Deutschen wollen Olympische Winterspiele ins Land holen. Sie haben bei Ihrem Besuch in Vancouver, wie man lesen konnte, Lobbyarbeit gemacht für München. Mit wem haben Sie gesprochen und worüber?

    de Maizière: Ich habe bei meinem Besuch in Vancouver zunächst eine mit den Regeln des IOC verabredete und hoffentlich wirksame Pressekonferenz gehalten, und das hat in Vancouver auch Wirkung gehabt, auch weil wir da insgesamt geschlossen einen guten Eindruck gemacht haben. Darüber hinaus habe ich bei allen möglichen Einzelgesprächen unter Wahrung der Regeln des IOC – das heißt zum Beispiel nie eine andere Bewerberstadt schlecht machen – für München geworben, und das ging vom Präsidenten des IOC, Jacques Rogge, über viele weitere IOC-Mitglieder bis hin zu dem Präsidenten der Spitzensportverbände, die ich dort kennen gelernt habe.

    Fischer-Solms: Sie hatten auch das Gespräch mit dem IOC-Präsidenten. Können Sie bei der Münchener Olympiabewerbung als Politiker Ihre Erfahrungen einbringen, die Sie bei der Bewerbung von Leipzig für Olympische Spiele gemacht haben? Sie waren ja in Sachsen hochrangiger Minister und waren bis zum Jahre 2005 dort der Innenminister des Freistaates Sachsen.

    de Maizière: Die Leipzig-Bewerbung war national sehr erfolgreich, international nicht erfolgreich. Daraus kann man lernen.

    Fischer-Solms: Was lernen Sie?

    de Maizière: Meine Erfahrung von Vancouver war, das Konzept, was vorgelegt worden ist und ja weiter verfeinert wird, überzeugt. Allerdings reicht das für eine Bewerbung von Deutschland nicht aus. Jedermann glaubt, ich muss es sogar noch anspruchsvoller sagen, erwartet von uns eine erstklassige Bewerbung. Also dass wir eine schlechte Bewerbung abgeben, das erwartet niemand. Deswegen ist das die Mindestbedingung, unsere gute Bewerbung, um Erfolg zu haben. Das andere ist dann auch die Frage, welcher Kontinent ist mal dran und wer stellt sich sympathisch dar, soll jetzt Korea beim dritten Mal eine Chance kriegen oder gerade nicht. Das sind die Kriterien, die nachher den Ausschlag geben.

    Fischer-Solms: Der Trend, den Sie beobachten, auch bei Olympischen Spielen: immer riskanter, immer mehr Show, immer mehr Spektakel?

    de Maizière: Das sehe ich auch mit einer gewissen Sorge. Das galt ja auch für die Abfahrtsstrecke. Ich habe ja schon etwas kritisch mich zu diesen Fun-Sportarten geäußert, die natürlich sehr zuschauerrelevant sind. Es gibt Grenzen und die Grenzen, wenn sie überschritten sind, führen, glaube ich, immer noch zum guten Sport. Also es bleibt schön, auch wenn Grenzen nicht immer überschritten werden.

    Sturmberg: Apropos Grenzen, was die Olympiabewerbung 2018 angeht. Wir befinden uns in einer wirklich nicht einfachen ökonomischen Situation. Wie viel soll es dem deutschen Steuerzahler wert sein, dass wir die Olympischen Spiele 2018 bekommen? Wie teuer darf es maximal werden?

    de Maizière: Wenn es so wäre, als würde man für zwei Wochen Milliardenbeträge ausgeben, dann würde ich mit Ihnen sagen, wir bewerben uns überhaupt nicht. Aber das Abhalten von Olympischen Spielen ist nicht nur ein Prestigeobjekt - Deutschland hat ein gutes Image, das brauchen wir eigentlich nicht in der Welt -, sondern ist etwas, was nachhaltig die Infrastruktur in der Gegend und in der Region fördert und unterstützt.

    Sturmberg: Das sehen ja einige dort in der Region durchaus anders.

    de Maizière: Das sehen einige in der Region anders, vor allen Dingen diejenigen, die Grundstücke haben. Das wird aber vor Verhandlungen von Grundstücken immer so gesehen und das lässt sich sicher auch im Rahmen des Rechtsstaats, den wir dafür vorgesehen haben, lösen. – Nein, das Konzept der Münchener Bewerbung besteht ja gerade darin, dass es keine einzige Bewerbung der vergangenen Jahrzehnte gibt, die in einer Weise wie in München auf vorhandene Sportstätten fußt. Es müssen, glaube ich, insgesamt nur drei Sportstätten neu gebaut werden. Alles andere besteht jetzt schon. Und die öffentliche Infrastruktur, die Verkehrswege, auch rund um Garmisch – das ist ja nun nicht besonders erquicklich, die Verkehrsführung im Moment in Garmisch-Partenkirchen -, die ist, glaube ich, zum Vorteil der Region. Alles in allem gesehen ist das eine für die nachhaltige Nutzung von öffentlicher Infrastruktur gut angelegte Investition, die wir international haben.

    Sturmberg: Den Steuerzahler interessiert ja letztendlich, wie viel soll der Spaß ihm wert sein, wie viel soll der Spaß ihn kosten.

    de Maizière: Ja. Die Abrechnung werden wir erst ganz zum Schluss machen können. Wir sind jetzt bei der nächsten Stufe der Bewerbung - da gibt es ja so verschiedene Verfahrensstadien – und dabei werden auch die Kosten weiter konkretisiert. Aber alle Zuhörer, alle Steuerzahler können sich darauf verlassen, dass wir nicht einfach nach dem Motto verfahren, wer A sagt muss auch B sagen, also haste was, kannste, Hauptsache die Bewerbung kommt, wir gucken nicht auf die Kosten. Nein! Man darf da nicht kleinkariert sein. Olympische Spiele sind Olympische Spiele. Aber wir werden gucken, dass das so sparsam und so effektiv wie möglich vonstatten geht.

    Fischer-Solms: Frage nicht an den Minister, sondern an den Sportfreund. Wie denken Sie darüber, dass die Heroen des deutschen Sports, die Radprofis Jan Ulrich und Erik Zabel, die Dressurreiterin Isabell Werth, die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, dass dies Doper sind? Deutsche Sportheroen als Doper, wie finden Sie das als Sportfreund?

    de Maizière: Ein Drama! Doper im Radsport haben auch diesen Sport zugrunde gerichtet. Er wird nie wieder das sein, was er war. Wenn Vorbilder sich selbst zerstören – das gibt es ja auch nicht nur im Spitzensport und das ist auch nicht eine Erscheinung der Neuzeit -, dann ist das bitter und da ist man dann hin- und hergerissen – wie gesagt, Sie erwarten jetzt hier eine Antwort von mir als Sportfreund, nicht als Minister – zwischen Empörung und Mitleid und beides gleichzeitig. Aber die Sportart selbst und der Sport wird stärker sein als alle gefallenen Vorbilder.

    Fischer-Solms: Mitleid, aber gerade Ihr Mitleid mit Claudia Pechstein dringt und hört man überall durch. Sie sind oberster Dienstherr von Claudia Pechstein. Die höchsten sportlichen Gerichtsinstanzen haben geurteilt: sie ist eine Doperin. Dies ist von einem staatlichen Gericht in der Schweiz nicht widerlegt worden. Warum jetzt noch eine langwierige Untersuchung? Müssten Sie die Bundespolizistin Claudia Pechstein nicht aus dem Dienst entlassen?

    de Maizière: Ich weiß nicht, wo Sie das immer durchhören mit dem Mitleid. Ich habe gesagt und wiederhole das gerne und sage das immer, dass dieser Fall wie andere immer auch eine menschliche Komponente hat.

    Fischer-Solms: Sie stellen das sehr nach vorne.

    de Maizière: Was daraus folgt, wird man sehen. Die Bundespolizistin Claudia Pechstein hat einen Anspruch auf ein faires Verfahren, wie alle Bundespolizisten und Beamte, denen eine auch dienstrechtliche Verfehlung vorgeworfen wird. Das bedeutet, dass sie Anspruch hat auf ein faires Disziplinarverfahren. Bei allen anderen wird immer, wenn es andere Verfahren gibt, das Disziplinarverfahren ausgesetzt und wieder eingesetzt, wenn die anderen Verfahren ausgeschlossen sind, und ich habe vor wenigen Tagen entschieden, dass das Disziplinarverfahren gegen Claudia Pechstein wieder begonnen wird, nachdem das, was jetzt dort stattgefunden hat, nach meiner Auffassung als rechtskräftig anzusehen ist. Was jetzt dort an neuen Rechtsbehelfen von dem Anwalt vorgetragen wird, sind so eine Art Wiedereinsetzungsverfahren. Das ändert nichts an der Rechtskraft.

    Dieses Verfahren muss aber fair erfolgen und ein faires Verfahren heißt in Deutschland, dass man das Ergebnis nicht vorwegnimmt, und schon gar nicht als Minister. Es gibt einen Disziplinarführer, der führt das Verfahren durch, und ich werde durch Bemerkungen, die in irgendeiner Weise so ausgelegt werden könnten, als würden sie das Verfahren beeinflussen, nicht dazu beitragen, dass es ein unfaires Verfahren wird.

    Sturmberg: Gibt es da nicht eine ganz klare vertragliche Situation?

    de Maizière: Die gibt es! Es gibt auch eine Ehrenerklärung, die sie unterschrieben hat. Aber auch im Disziplinarrecht gibt es nicht nur die Entfernung aus dem Dienst, sondern es gibt da ein abgestuftes Sanktionsverfahren, wie übrigens im Strafrecht auch, und das muss im Verhältnis zur Schwere der Tat abgewogen werden. Das macht aber nicht der Minister, sondern das macht das Disziplinarverfahren.
    Ich will auch zart daran erinnern, dass es nach Abschluss des Disziplinarverfahrens auch dagegen wieder disziplinargerichtliche Verfahren gibt. Wer will, kann das noch ziemlich lange betreiben.

    Fischer-Solms: Die Situation im deutschen Sport ist so: Wir erleben, dass Doping-Trainer entschuldet werden vom Sport, mit Billigung der Politik. Wir haben die Situation, dass aber Doping-Opfer, staatlich anerkannte, im Stich gelassen werden. Wir haben eine Doping-Opfer-Entschädigung gehabt, wir sind das einzige Land, das ein entsprechendes Gesetz hat, da ist aufgearbeitet worden, aber es gibt eben eine Anzahl von etwa 50, nicht mehr, Doping-Schwerstgeschädigten, die ohne eine kontinuierliche Hilfe kein menschenwürdiges Leben führen können. Sehen Sie eine Möglichkeit für eine dauerhafte, für eine kontinuierliche Hilfe, wie immer man die nennt, ob Rente, oder Pension, oder wie auch immer?

    de Maizière: Die Politik und der Sport und dann ja auch die entsprechende Pharmaindustrie haben ja in zwei Aktionen Doping-Opfer entschädigt, und dabei ist bewusst – und das fand ich eine richtige Geste – auf den Einzelnachweis des körperlichen Schadens durch Doping verzichtet worden, denn das wäre ja eine entwürdigende Prozession gewesen zu sagen, na wie viel des kaputten Knies oder der Leber ist denn jetzt durch Doping zu Stande gekommen, oder durch was anderes.

    Dennoch konnte man mit diesen Maßnahmen und dieser Entschädigung ja die Schädigung an Leib und Leben und - jetzt füge ich noch was hinzu – an Seele nicht entschädigen. Es gibt für so etwas keine befriedigende Entschädigung, sondern es gibt immer nur den Versuch einer Geste, die etwas versucht zu heilen, nicht wieder gutzumachen. Da wird man auch nicht alle erreicht haben und da hat man die schweren und die leichten Fälle mehr oder weniger auch vielleicht über einen Kamm geschert.

    Das war aber richtig so und deswegen, wenn es jetzt noch Fälle gibt, dann muss man das irgendwie im Einzelfall oder sonst wie lösen, aber einen neuen Anlauf, eine Rente, die ja dann auf einen konkreten Nachweis zielen müsste, wo im Nachhinein alles wieder aufgerollt wird, wo dann wieder Aussage gegen Aussage steht, wo das außersportliche Verhalten dann plötzlich so ist, dann gibt es irgendwelche Gutachter, die sagen, na ja, aber das außersportliche Verhalten wollen wir dann auch noch mal gucken, und dann fühlt sich plötzlich das Doping-Opfer noch als doppeltes Opfer, weil es irgendwie Gegenstand von entwürdigenden Verfahren ist, nein, das muss man irgendwie im Einzelfall lösen. Einen neuen Anlauf halte ich nicht für zielführend.