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Sponsoren in Schwarz

Ein gängiges Vorurteil lautet: In Bulgarien geht nichts ohne die Mafia. Man kann den Spieß aber auch umdrehen und sagen: In dem Land am Schwarzen Meer funktioniert beispielsweise die Kultur nur mithilfe der gut organisierten Kriminalität.

Von Thomas Frahm | 03.12.2009
    Die arme reiche bulgarische Mafia. Alle im Westen hacken auf ihr herum. Dabei ist sie doch die Avantgarde der bulgarischen Westorientierung! Das Verhaltensmodell ihrer Mitglieder - vom Pokerface bis zum Fahrstil - ist eine gelungene Kopie dessen, was die Gralshüter westlicher Populärkultur - die Filmherren von Hollywood - dem gottlosen und daher kulthungrigen Menschen von heute anbieten: Coppolas "Der Pate", Scorseses "Casino", und nicht zuletzt Tarantinos "Pulp Fiction".

    Glaubt man Schriftsteller Vladimir Zarev, so sind die hier abgeschauten Männlichkeitsmuster eine innige Liebesbindung mit dem christlich-orthodoxen Glauben eingegangen.

    In seinem letzten Roman "Welten" wollen bulgarische Bosse einen Deal mit einem amerikanischen Geschäftsmann abschließen. Die Verhandlungen finden in einem Kloster statt, das nur dank investierter Mafiamillionen vor dem Verfall gerettet werden konnte. Schon hier erkennen wir erste Linien ihrer kulturtragenden Rolle für die bulgarische Gesellschaft. Im Verlaufe der Verhandlungen, die einem whisky-schwangeren Gelage täuschend ähnlich sehen, entwindet der anwesende Abt nach Erreichen der alkoholischen Offenbarungsgrenze dem Mafia-Boss die Maschinenpistole, reißt das Fenster auf und - schießt in den Himmel, bis das Magazin leer ist. "Gott", grölt er den Kugeln hinterher, "warum hast du mich verlassen?!"

    Wir sehen: Die christlich-orthodoxe Tradition findet durch die Mafia zu neuen, zeitgemäßen Ritualen.

    Doch auch sonst gilt es, mit Vorurteilen aufzuräumen. Jenem zum Beispiel, dass durch die Ausplünderung des volkseigenen Wirtschaftsvermögens nach 1989 die zur Mafia mutierte Nomenklatura dem bulgarischen Staat die Finanzierung kultureller Projekte unmöglich gemacht und westliche Investoren abgeschreckt habe, um sich dabei nicht stören zu lassen.

    In einem erst kürzlich auf bulgarisch erschienene Buch mit Interviews deutscher Repräsentanten in Bulgarien seit der Wende äußert sich Christel Scheffler, von 1991 bis 1995 Botschafterin in Sofia, zu dieser Frage. Sie habe alle großen Industriekombinate besucht, und sie in einem so desolaten Zustand angetroffen, dass sich die Frage nach Modernisierung gar nicht mehr gestellt habe.

    Wie hätten unter solchen Umständen die großen Vertreter der bulgarischen Kunst überleben sollen, wenn nicht Mafiabosse es für eine Frage ihres Images gehalten hätten, die kostbarsten Gemälde und Skulpturen anzukaufen? Und wer anders als sie hätte dem Ausverkauf beweglicher Kulturschätze aus vorchristlicher Zeit ins Ausland einen Riegel vorschieben sollen? Wäre Wassil Boschkow nicht ein so leidenschaftlicher Sammler, befänden sich wohl inzwischen alle thrakischen, römischen und frühchristlichen Grabbeigaben außerhalb Bulgariens.

    Sogar, dass wir über all das lesen können, verdanken die Bulgaren ihren fürsorglichen Kriminellen.

    Der bulgarische Buchhandel bestand im ersten Jahrzehnt nach der Wende aus exakt 500 Tapeziertischen, zumeist entlang der Bürgersteige und Plätze im Zentrum von Sofia. Dass es jetzt wieder Ladengeschäfte mit lückenlosen Sortimenten gibt, luxuriös eingerichtet nach westlichen Standards, und in denen freundliche und gut informierte Buchhändler dem Kunden weiter helfen - auch dies ist, wie vieles andere, ein Beispiel für erfolgreiches crime-cultural-partnership, auch Geldwäsche genannt.