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Sport als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln

Anlässlich des Kongresses "Sport als Spiegel und Vorbild der Gesellschaft" hat der Sportphilosoph Gunter Gebauer betont, das Sport heute auch ein Mittel der Politik sei. Das sei in China eindeutig der Fall, in der Vergangenheit auch in den Ostblockländern.

Moderation: Elke Durak | 25.07.2008
    Elke Durak: Der Deutsche Olympische Sportbund hat für heute und morgen zum ersten Olympischen Sportkongress eingeladen, kurz vor den Sommerspielen in China, da gibt es sicher genug Stoff zum Diskutieren. Ich habe mit zwei Teilnehmern gesprochen. Das ging nur getrennt, aber: ähnliche Fragen, verschiedene Antworten. Der eine ist der Sportphilosoph Gunter Gebauer von der FU Berlin, der andere der Generaldirektor des DOSB, des Deutschen Olympischen Sportbundes, Michael Vesper. Von Professor Gebauer wollte ich zunächst wissen, was er denn lehrt als Sportphilosoph.

    Gunter Gebauer: Ich versuche, philosophische Fragestellungen auf den Sport anzuwenden, das ist das eine, zum Beispiel Leib-Seele-Problem, freier Wille, Lebensführung, Ethik, und auf der anderen Seite versuche ich, den Sport, so wie er im Augenblick vor uns abläuft in unserer Gegenwart, philosophisch zu deuten und zu kritisieren.

    Durak: Deshalb sind Sie auch zu diesem Kongress eingeladen, denke ich mal, Herr Professor Gebauer, denn der Kongress steht unter diesem ja für mich vielsagenden und vieldeutigen Motto: Sport als Spiegel und Vorbild der Gesellschaft. Als ich das das erste Mal hörte, dachte ich, na, das ist ja gut angesichts der Dopingberichte oder solcher Filme wie gerade im ZDF gesehen, wie chinesische Kinder ab vier Jahren etwa für mögliche Sporterfolge wirklich gequält werden. Inwiefern Spiegel der Gesellschaft?

    Gebauer: Es wird immer wieder behauptet, der Sport sei nicht besser als die Gesellschaft, in der er stattfindet. Das ist - leider, muss man sagen - wahr insofern, als der Sport als ein ganz gewöhnliches Mittel der Politik, der Machtgewinnung, der Gewinnung von Anerkennung und politischer Bedeutung verwendet wird. Das ist ganz eindeutig in China der Fall, das war in der Vergangenheit der Fall mit den Ostblockländern, auch insbesondere mit der DDR, die ganz früh erkannt hat, dass Sport ein Mittel der Politik sein kann. Und wenn man Sport instrumentalisiert in dieser Weise, also zu einem Hebel für gesellschaftliche Kräfte machen will, dann ist der Sport eigentlich nichts besseres als das, was die Gesellschaft sonst zu leisten hat.

    Durak: Dann kann er aber auch nicht Vorbild sein.

    Gebauer: Nein, ist er ja auch nicht. Er ist im Grunde genommen eine Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, und das ist eigentlich keine sehr schöne Bestimmung des Sports, weil man dann den ganzen Schmutz der Politik, die ganzen Machtansprüche, die ganze Korruption und vielleicht auch Verkommenheit, die manchmal in zumindest gewissen Politiken steckt, mit in den Sport hineintransportiert.

    Durak: Dann könnten wir uns aber all diese großen Feste, die unter dem Motto "Die Jugend der Welt trifft sich" und so weiter, die könnten wir doch alle lassen und gleich als das bezeichnen, was sie auch sind, in China zum Beispiel willkommene Testreihen von Pharmaunternehmen.

    Gebauer: Das ist einerseits richtig, aber man darf nicht vergessen, dass der Sport eine ziemlich glorreiche Vergangenheit hat, an die Coubertin sehr geschickt angeknüpft hat mit seiner Idee der Olympischen Spiele. Das heißt, die Idee der antiken Olympischen Spiele, der Athletik der Griechen und so weiter, ist durch die gesamte Geschichte des Abendlandes gegeistert, über 2000 Jahre mindestens, und hat ein ungeheures Prestige angesammelt. Das ist verwendet worden, um moderne Olympische Spiele stattfinden zu lassen, daran haben sich die Weltmeisterschaften und ganz andere Sportereignisse angeknüpft. Und im Grunde genommen ist damit ein Erbe, ebenso wie Politiktheater und so weiter, aus dem griechischen Kulturkreis weitertransportiert worden, an das sich auch der Sport angedockt hat, und ich glaube, mit diesem Erbe wird hier sozusagen geworben, und es wird so getan, als sei es einfach nur eine Fortsetzung.

    Durak: Aber es ist keine Fortsetzung.

    Gebauer: Nein, natürlich nicht. In Griechenland war Sport auf gar keinen Fall Mittel der Politik. Nun muss man die Sachen ein bisschen sortieren: Der Sport kann Vorbild sein, und er hat sich einmal zum Ziel gesetzt, ein Vorbild zu sein, als er neu begründet wurde im 19. Jahrhundert, und das ist ja auch nicht ganz falsch. Er könnte es ja tatsächlich sein, denn im Sport, das wissen wir alle, gibt es so etwas wie Beziehungen zwischen Menschen, es gibt Streben nach Hochleistung, es gibt große Anstrengung, es gibt viele Leute, die sich auch dafür bereit erklären, jungen Leuten Sport beizubringen, zu trainieren, zu betreuen. Es gibt Athleten, die sozusagen reinen Gewissens ihren Sport treiben. Ich finde, das sollte man auch nicht außen vor lassen. Man hat zwei Seiten: Man hat einmal die Seite der totalen Instrumentalisierung, die sehr, sehr weit geht und die, denke ich, in China jetzt ganz besonders deutlich sichtbar wird - die aber auch schon in der Vergangenheit ständig gesehen wurde, das ist überhaupt keine neue Entdeckung, es ist jetzt vielleicht besonders krass -, und auf der anderen Seite aber auch die Vorstellung, dass Sport so etwas sein könnte wie eine Utopie einer besseren Welt.

    Durak: Das wäre schön. Ich möchte doch noch abschließend auf einen Punkt, auf einen negativen Punkt zu sprechen kommen. Herr Gebauer - Stammzellendoping, Gendoping, davon haben wir gerade gehört, ist im Gange, insbesondere in China. Welche medizinischen, sportlichen und sportpolitischen Konsequenzen wären notwendig?

    Gebauer: Im Grunde genommen bedeutet das - wenn es gelingt, so etwas durchzuführen - das Ende des Sports, das muss man ganz eindeutig sehen, jedenfalls der Sport, wie er bislang betrieben worden ist. Dann wäre es wirklich eine Frage der Datenbanken bei den Genetikern und der Fähigkeiten von Biologen, neue Menschen zu schöpfen und damit neue Leistungspotenziale aufzutun. Aber ich weiß nicht, welchen Sinn dieser Sport hat. Ich meine, dass Menschen schnell laufen können, ist bekannt, aber es kann jeder gute Motor, jeder halbwegs ordentliche Wagen, Auto und so weiter, zehn Mal schneller fahren, als ein Mensch laufen kann. Was soll dieser Mensch, der genetisch gedopt ist, uns eigentlich noch zeigen? Es zeigt nicht mehr, dass ein Mensch schnell laufen kann, denn das kann der Mensch von sich aus nicht, von Natur aus, sondern er hat die Ärzte, die ihn befähigen, statt 9,97 in Zukunft vielleicht 9,20 oder so was zu laufen. Aber ich sehe den Sinn nicht, und ich glaube, niemand wird den einsehen, es sei denn, man macht Sport zu einer Hochleistungsmesse für Biologie.

    Durak: Und man stellt dann nicht mehr die Frage, wohin laufen sie denn, wohin laufen sie denn?, sondern: Weshalb laufen sie denn?

    Gebauer: Weshalb, ja.

    Durak: Das ist also die Meinung des Sportphilosophen Gunter Gebauer von der FU Berlin.