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Sportbetrug
Der Doper, der keiner war

Der Schweizer Handballer Simon Getzmann wurde bei einem Dopingtest positiv getestet. Ohne je absichtlich betrogen zu haben. Seine sportliche Karriere stand unmittelbar vor dem Aus. Im Deutschlandfunk schildert er seine Geschichte und den langen Weg zum Beweis seiner Unschuld.

Simon Getzmann im Gespräch mit Astrid Rawohl | 31.05.2020
Der Schweizer Handballer Simon Getzmann in Diensten des BSV Bern.
Simon Getzmann spielt Handball für den BSV Bern. Fast wäre er wegen einer Dopingsperre für zwei Jahre aus dem Verkehr gezogen worden. (dpa / picture alliance / Jo Baur)
Der Schweizer Handballer Simon Getzmann unterzog sich am 17. Dezember 2014 einer Dopingprobe. Am 15. Januar 2015 erreichte ihn dann die Nachricht: positiver Dopingtest. In seiner Urinprobe war Hydrochlorothiazid nachgewiesen worden. Getzmann fiel aus allen Wolken, nie hatte er verbotene Substanzen genommen, noch je in Erwägung gezogen zu manipulieren.

Hydrochlorothiazid ist ein harntreibender Wirkstoff, der in der Regel in Kombination mit Blutdruckmitteln zur Behandlung von Ödemen, Bluthochdruck und einer Herzinsuffizienz verwendet wird. Hydrochlorothiazid ist auf der Dopingliste der Welt-Anti-Doping-Agentur in der Substanzklasse der Diuretika und Maskierungsmittel aufgeführt. Im Sport sind Diuretika verboten, weil sich durch eine schnelle Gewichtsreduktion bei Sportarten wie Gewichtheben, Boxen, Judo oder Ringen die Einteilung in eine tiefere Gewichtsklasse erreichen lässt. Zudem können Diuretika eine niedrige Urindichte bewirken, was etwaige andere Dopingmittel verdünnt und schwerer nachweisbar macht.
"Man fühlt sich in dem Punkt sehr, sehr allein", sagte Getzmann im Deutschlandfunk. Zwar habe auch seine Familie zu ihm gehalten. Aber bei einigen Verwandten hätte auch eine gewisse Skepsis vorgeherrscht. Hundertprozentige Gewissheit könne schließlich niemand haben, berichtete Getzmann.
"Ich wusste nicht, woher das kommt"
Am 28. Januar 2015 erhielt Getzmann die Bestätigung, dass auch die B-Probe Hydrochlorothiazid enthielt. Damit war der Schweizer Handballer für zwei Jahre gesperrt. Sogar Fußball spielen in einer unterklassigen Liga wäre dann nicht mehr möglich gewesen. "Das Schwierigste an der Situation war damals, dass man nicht wusste, woher das kommt und wie man das wieder verhindern könnte", berichtete der junge Handball-Profi.

Simon Getzmann räumte jeden Schrank in seiner WG aus, überprüfte die Zusammensetzungen von Shampoo und Duschgels, checkte das Essen im Kühlschrank, er googelte und suchte nach Gründen. Wieso war seine Dopingprobe positiv?
Durch seine Untersuchungen stieß er auf Schmerztabletten, die er im Zuge einer Schulterprellung zu sich genommen habe. Anfang und Mitte Dezember nahm er drei lbuHexal-Filmtabletten ein. Da sich dieses Medikament nicht auf der Dopingliste befindet, hatten sowohl Getzmann als auch Arzt und Physiotherapeut keinerlei Probleme gesehen.

Der vermeintliche Dopingsünder musste genau nachweisen, welche Medikamente und Lebensmittel er in den Wochen vor der positiven Dopingprobe zu sich genommen hatte. Denn fühlen sich Dopingtäter zu Unrecht ertappt, müssen die Athleten glaubhaft aufzeigen, wie die Substanz in den Körper kam. Einzig, wenn den Athleten kein oder nur ein geringes Verschulden trifft und er nicht fahrlässig gehandelt hat, lassen sich Strafen aufheben oder reduzieren.
"Ein Stück Würfelzucker im Schwimmbecken"
Getzmann übergab die letzte verbliebene Tablette aus der verwendeten Packung und andere Tabletten aus der Apotheke in Deutschland, wo die Packungen ursprünglich gekauft worden waren, an das Pharmazeutische Kontrolllabor des Kantons Bern. Am 20. Februar 2015 erfuhr der mutmaßliche Dopingsünder vom Labor, dass in der letzten Tablette der angebrochenen Packung neben dem Wirkstoff Ibuprofen auch Spuren des nicht deklarierten Hydrochlorothiazid gefunden worden seien. In den übrigen Tabletten mit anderen Herstellungschargen fand sich keine Verunreinigung. "Mein Fall zeigt, dass es möglich ist, keinen Fehler zu machen und trotzdem positiv zu sein."
Im Nachgang stellte sich heraus, dass sich bei der Produktion der betroffenen Tabletten noch Rückstände eines vorher produzierten Medikaments in der Maschine befunden hatten. "Das ist vergleichbar, als wenn in einem Olympia-Schwimmbecken ein Stück Würfelzucker gewesen wäre", sagte Getzmann.
Die große Bedeutung von Schmerzmitteln im Spitzensport
Am 20. Februar 2016 sprach die Disziplinarkammer Getzmann mehr als ein Jahr nach der verhängnisvollen Dopingkontrolle vom Vorwurf des Dopings frei. Für den Schweizer Handballer war der Beweis seiner Unschuld auch eine extreme finanzielle Herausforderung. "Ich war damals Student, ich habe damals umgerechnet 1000-1200 Euro verdient. Ich hatte kein Geld für einen Anwalt und schon gar kein Geld für einen Prozess." Durch den Freispruch musste Swiss Olympic, der Dachverband aller Schweizer Sportarten, die kompletten Gerichts- und Anwaltskosten bezahlen, die sich in der Zwischenzeit auf 100.000 Schweizer Franken aufsummiert hatten. Für den damals 24-Jährigen eine riesige Erleichterung.
Der Umgang mit Schmerzmitteln spiele dabei eine sehr große Rolle im Spitzensport. "Ich habe vielleicht zum letzten Mal vor acht, neun Jahren ohne Schmerzmittel gespielt. Ich kenne fast keinen Spieler der ohne Schmerzen spielt", gab Getzmann im Deutschlandfunk zu. Der Druck auf den Körper sei im Spitzensport von allen Seiten enorm. Eine Lehre für ihn aus der Sache sei, dass man den eigenen Körper und die eigenen Wünsche über alles stellen müsse.
Matthias Kamber, Benjamin Steffen: Der vergiftete Sport - Siege und Niederlagen im Kampf gegen Doping. Orell Füssli Verlag Zürich 2020. 224 Seiten. 18 Euro
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