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Sportbücher für Spezialisten

Buchverlage, die sich in Deutschland auf das Themenfeld Sport konzentrieren, lassen sich an zwei Händen abzählen. Eine Auflage mit 10000 Exemplaren erreichen sie höchstens mit Biografien prominenter Athleten oder mit Vereinschroniken. Wie aber sieht der Markt für sportpolitische Bücher aus? Bücher über Doping, Korruption, politische Vereinnahmung?

Von Ronny Blaschke | 14.10.2012
    "Es gab früher, also in den zwanziger Jahren, einen ganz anderen Markt, da gab es mehr Verlage, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigt haben. Die haben andere Auflagen gehabt. Sportkulturell muss ich immer sagen. Es gab richtig eine Sportbelletristik, es gab viel stärker Biografien, Autobiografien, auch anspruchsvolle Autobiografien. Der Markt ist ja heute mehr oder weniger weggebrochen."

    Der Sportwissenschaftler und Historiker Christian Becker kennt die Grenzen der Sportpublizistik. Lange hatte er als angestellter Lektor für Limpert im Hunsrück gearbeitet, den ältesten Sportbuchverlag Deutschlands, gegründet 1921. Limpert konzentriert sich auf didaktische Bücher für Trainer und Übungsleiter, ein vergleichbares Feld bearbeiten die Verlage Hofmann sowie Meyer & Meyer. Christian Becker hat sich 2008 selbstständig gemacht. Er gründete den Arete-Verlag in Hildesheim, sein Schwerpunkt: politische und kulturelle Hintergründe des Sports:

    "Die eigentliche Verlagsgründung ist lächerlich günstig, das ist eine Gewerbeanmeldung, die kostet etwa 30 Euro. Die Hürde ist dann, sich ein Büro anzumieten und dann die ersten Bücher in der Produktion vorzuschießen, und das geht dann schnell in paar tausend Euro. Ich sage das immer: Verlegen oder das Wort Verleger kommt von dem Wort vorlegen. Man schießt halt als Verleger vor."

    Verlage wie Die Werkstatt oder Agon schärfen ihr Profil mit gesellschaftlichen Themen für ein spezielles Sport-Publikum, über Vereine im Nationalsozialismus oder über Korruption im osteuropäischen Fußball. Doch ihren Umsatz generieren sie vor allem mit kommerziellen Themen, mit Vereinschroniken, Biografien, Tagebüchern von Fans. Christian Becker hat besonders im zweiten Projekt seines Arete-Verlages gemerkt, dass die Balance zwischen Anspruch und finanziellem Gewinn schwer zu halten ist. 2010 veröffentlichte er einen aufwändig gestalteten Katalog zu einer Ausstellung über Sportfotografie im Kalten Krieg.

    "Da gab es etwas unglückliche Begleitumstände, weil die Ausstellung am Tag der Eröffnung auch schon wieder schließen musste, aufgrund der Terrorwarnung im Reichstagsgebäude. Die Ausstellung wurde im Paul-Löbe-Haus neben dem Reichstag gezeigt, und das fiel dann in die Schutzzone sozusagen. Weil das zum einen nicht die Zuschauerströme bekommen hat, auch nicht die öffentliche Aufmerksamkeit, wie wir uns das allesamt erhofft hatten. Da habe ich ein paar tausend Euro in den Wind geschossen."

    Sportpolitische Schriften erscheinen, wenn überhaupt, in Wissenschaftsverlagen oder im sogenannten Print on Demand, nach diesem Prinzip werden sie nur auf Bestellung gedruckt. Die Obergrenze ihrer Auflage liegt bei wenigen hundert Exemplaren. Doch Verlage, die im Handel bestehen wollen, arbeiten mit einer Mischkalkulation: ein massenwirksamer Titel muss den schlechten Verkauf anderer Bücher ausgleichen. Der erfolgreichste Titel des Arete-Verlages ist bislang eine geschichtliche Aufarbeitung des Deutschen Behindertensportverbandes, mit mehr als 2000 Exemplaren. Der 45 Jahre alte Christian Becker spricht ein Motto vieler Sportverleger aus.

    "Vorsichtiger zu kalkulieren, mich vielleicht nicht auf Anhieb vom Renommee oder Prestige einer Einrichtung blenden zu lassen, sondern viel rationaler an Projekte ranzugehen."

    Vier bis sechs Titel möchte Christian Becker im Jahr herausgeben, inzwischen hat er auch Manuskripte von Autoren abgelehnt, zum Beispiel ein Sportquiz oder die Anekdotensammlung eines Fußballfans. Stattdessen verlegt er eine Quellensammlung zur Körperkultur im alten Ägypten, eine Analyse des Politikums Sport in der DDR oder den Symposiumsband einer sportpolitischen Tagung. Viel Geld lässt sich damit nicht verdienen. Ein monatelanges Lektorat und ein Vertriebssystem mit Vertreternetz kann er sich nicht leisten. Becker begleitet die Projekte von der Idee bis zur Vermarktung.

    "Also idealer Weise geht man immer von dem typischen Leser am Ende der Kette aus und überlegt sich, was erwartet der sowohl inhaltlich als auch in der physischen Form des Buches. Die ganze Ausstattung, ist es jetzt ein Hardcover, ein Softcover, hat das Papier 80 Gramm, hat es 110 Gramm, ist es weiß oder ist es eher matt gestrichenes Papier. Richtet sich zum einen danach, ob es ein reines Textbuch ist oder ob Fotos drin sind, Grafiken, Zeichnungen, aber natürlich gleichzeitig auch, was vom Leser erwartet wird."

    Noch nimmt die Konkurrenz Christian Becker nicht wirklich wahr. Es wird noch einige Jahre dauern, bis er einen Stand auf den Buchmessen in Frankfurt oder Leipzig haben wird. Mittlerweile ist er in ein größeres Büro umgezogen, seine Frau wollte im Wohnzimmer nicht mehr über Bücherkisten stolpern. Becker versucht, dem Namen seines Verlages treu bleiben: Arete, de griechische Begriff, steht unter anderem für Hingabe und Tüchtigkeit.