Freitag, 19. April 2024

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Sportereignis als Chance zur Flucht
Geflüchtete Athleten: "Keiner hat es bereut"

Die belarussische Springerin Kristina Timanowskaja ist nur ein Beispiel für Athleten, die während der Olympischen Spiele geflohen sind. Auch aus der DDR flohen Sportler. Das Sportlerschicksal stehe dabei symbolisch für politische Auseinandersetzungen, sagte Sporthistorikerin Jutta Braun im Dlf.

Jutta Braun im Gespräch mit Maximilian Rieger | 14.08.2021
Die belarussische Leichtathletin Kristina Timanowskaja bei einer Pressekonferenz in Tokio.
Der belarussischen Leichtathletin Kristina Timanowskaja gelang in Tokio die Flucht (imago / Zuma Wire / Attila Husejnow)
Während der Olympischen Spiele in Tokio sorgte die belarussische Sprinterin Kristina Timanowskaja für Schlagzeilen: Wegen ihrer öffentlichen Kritik an belarussischen Funktionären sollte sie angeblich entführt werden, daraufhin gelang ihr die Flucht, nun ist sie in Polen. Das Beispiel Timanowskaja ist kein Einzelfall.
Auch in der deutsch-deutschen Geschichte gab es Ahtletinnen und Athleten, die Sportereignisse zur Flucht nutzten. Schon während des Kalten Krieges flohen DDR-Sportler in die Bundesrepublik, einige auch nach dem Mauerbau.
"Hoch politisierte Angelegenheit"
Die Sporthistorikerin Jutta Braun vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung forscht zu diesen Sportler-Biografien und hat unter anderem die Ausstellung "Sportverräter - Spitzensportler auf der Flucht" kuratiert. "Sportlerfluchten aus der DDR waren immer eine hoch politisierte Angelegeheit weil sich hier der Kalte Krieg wie in einem Brennglas verdichtete und das Sportlerschicksal symbolisch stand für politische Auseinandersetzungen."
Dabei war die Flucht vor dem Mauerbau - wie bei Fußball-Weltmeistertrainer Helmut Schön aus Dresden - vergleichsweise einfach. Danach nutzten Sportler Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften, um sich abzusetzen.
Für das SED-Regime waren Fluchten ein großer Imagesschaden, erklärt Braun - weil sich ein sozialistisches Idol entschloss, den Lebensweg beim Klasenfeind fortzusetzen und dann womöglich sogar im Trikot des Klassenfeindes Auszeichnungen erringen konnte, wie Kanute Günter Perleberg.
Ein Fluchtgrund: Doping
Gründe für die Flucht gab es viele, so die Sporthistorikerin: Angst nach schlechtem sportlichen Abschneiden, Unzufriedenheit über politische Verhältnisse, Eingesperrtsein, Leistungsdruck, Angst vor Repressionen, Ablehnung von Doping.
Dennoch war jede Flucht auch mit Wehmut verbunden. Keiner, mit dem sie geredet habe, hätte es bereut, geflohen zu sein, sagte die Sporthistorikerin. Was mitschwang, war der Wehmutsgedanke. "Was passiert mit den Angehörigen? Doch wenn man bereit war, diese Brücken abzubrechen, war man sich dieser Konsequenzen bewusst." Die Konsequenzen hießen: Keine Rückkehr, nie mehr die Familie sehen.
Der Fall Timanowskaja unterscheide sich davon: Denn wer aus der DDR in die Bundesrepublik kam, floh von Deutschland nach Deutschland. Timanowskaja floh aus Belarus nach Polen. Das sei noch einmal ein großer Unterschied. Aber auch dafür gibt es prominente Beispiele wie zum Beispiel Tennisspielerin Martina Nawratilowa (floh aus der Tschechoslowakei in die USA) oder Fußballer Ferenc Puskás (floh aus Ungarn nach Österreich).