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Sportgeschichte
Die gescheiterte Fußball-Revolution

Vor 100 Jahren versuchte ein Trio aus Berlin, den professionellen Fußball auf dem Kontinent zu installieren. Die Premiere am 21. August 1920 in Berlin-Lichtenberg fand zwar statt. Am Ende aber scheiterte das private Projekt am Widerstand des Deutschen Fußball-Bundes.

Von Erik Eggers | 23.08.2020
Ein Fußballspiel in den 1920er Jahren in Deutschland.
Die Initiatoren wollten sich ein Beispiel am Profifußball in England nehmen und diesen in Deutschland installieren. (dpa / picture alliance / our-planet.berlin)
Ein junger Mann stand Ende Juli 1920 plötzlich in der Redaktion der Dresdner Sportzeitschrift "Kampf". Der Kaufmann und Ingenieur Otto Eidinger, 23 Jahre alt, dunkle Augen, suchte nach Partnern für die Revolution: Er wollte auf eigene Faust eine private professionelle Fußball-Liga einführen – also ohne den Deutschen Fußballbund. Der Herausgeber des "Kampf" beschrieb Eidinger so:

"Er sprach von Zahlen, sein Hirn war nichts als eine Zahl. Das Lichtenberger Stadion kostet uns 10.000 Mark und die ungarische Auswahlmannschaft kostet uns ebenfalls 10.000 Mark. Dabei werden die Spieler erstklassig verpflegt und werden große Reisen durch Deutschland, Holland und Dänemark usw. machen."
Das Profitum eigentlich abgelehnt
Gerade hatte der Dachverband DFB den Profifußball nach langer Debatte abgelehnt. Einerseits wollte die Führungsetage nicht Vorreiter auf dem Kontinent sein, auf dem offiziell nur Amateure spielten. Auch mit dem Weltverband FIFA, der ebenfalls ein Amateurstatut hatte, hätte es Konflikte gegeben. Vor allem aber fürchteten die DFB-Funktionäre die Vergnügungssteuer, die dann für ihre Vereine fällig geworden wäre.
Dabei lag der Profifußball in der Luft, weil die Massen nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in die Vereine strömten. In nur zwei Jahren hatte der DFB seine Mitgliederzahlen auf 750.000 verfünffacht. Zugleich explodierten die Zuschauerzahlen. Im Mai 1920 kamen 40.000 Fans zum Städtespiel Berlin gegen Budapest. Und natürlich wollten die besten Spieler von diesen Ticketeinnahmen profitieren. Sie verlangten Handgelder und Siegprämien. All dies lief wegen der Amateurgesetze unter der Hand. Fast die gesamte Mannschaft von Hertha BSC war 1919 gesperrt worden.
Der DFB fürchtete um sein Monopol
In dieses Vakuum stieß nun also Eidinger, im Gespann mit seinem acht Jahre älteren Bruder Ernst und seinem Schwager Josef Rosenblüth. Sie hatten selbstverständlich den englischen Profifußball vor Augen. Sie hatten ihre Rechnung aber ohne den DFB gemacht. Der fürchtete um sein Monopol und lief Sturm gegen das Projekt.
Der Verband drohte mit Boykott, und nicht nur den Spielern, Schiedsrichtern und Vereinen, die sich daran beteiligten, sondern auch den Eigentümern von Sportplätzen. Die Fachzeitungen, die dem DFB als Mitteilungsorgan dienten, sollten die Privatinitiative verschweigen. Ein solches Blatt, der Berliner Fußball-Sport, nutzte auch antisemitische Ressentiments im Kampf gegen die Revolutionäre:
"Fragt man nach dem Namen (eines Managers, die Red.), darf man sich nicht wundern, dass er Rosenblüth lautet."
Damit wurde das Klischee vom "geldversessenen Juden" bedient, der nur aus Eigennutz handelte. Dass die Eidinger-Brüder, die aus Kroatien stammten, ebenfalls jüdischer Konfession waren, weiß man erst heute.
Nach der zweiten Partie war der Initiator pleite
Jedenfalls warteten vor der Premiere am 21. August 1920 vor dem Lichtenberger Stadion Demonstranten auf die Fans. "Kein Pfennig den Leuten, die aus dem Sport Kapital schlagen wollen", stand auf ihren Plakaten. Das Spiel der Berliner Auswahl gegen ein Budapester Team, das Eidinger aus ungarischen Nationalspielern rekrutiert hatte, endete 1:1-Remis und war ein finanzielles Fiasko. Nur 4.000 Zuschauer waren gekommen. Nach der zweiten Partie am 12. September in Berlin-Plötzensee war Eidinger pleite.
Nun verschwand das Trio wieder von der Bühne des Fußballs. Ernst Eidinger und Josef Rosenblüth flüchteten 1939 vor den Nazis in die USA und nach Australien. Otto Eidinger war schon 1924 nach Chicago emigriert. Er starb 1976. Von seinem Versuch, den Profifußball in Europa zu installieren, habe er nie erzählt, berichten seine Nachfahren.