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Sportler auf der Flucht

Um an internationalen Wettbewerben teilzunehmen, mussten die Spitzensportler der DDR reisen und einige nutzten diese Chance und wurden zu sogenannten "Sportverrätern". Ihnen ist jetzt im Berliner Willy-Brandt-Haus eine Ausstellung des Zentrums Deutsche Sportgeschichte gewidmet.

Von Verena Kemna | 24.07.2011
    Hunderte Sportlerpersönlichkeiten, einstige Hoffnungsträger des sozialistischen Systems wurden durch ihre Flucht aus der DDR, in ihrer einstigen Heimat als Verräter gebrandmarkt. In den Videoinstallationen der Ausstellung des Zentrums deutsche Sportgeschichte erinnern sich ehemalige Vorzeigeathleten, sie enthüllen ihre eigene Geschichte. Wie viel Mut auch heute noch dazugehört, das haben die beiden Kuratoren, René Wiese und Jutta Braun erst bei ihren monatelangen Recherchen und unzähligen Anfragen erfahren. Am Ende haben sich 15 Sportler auf emotionale und oft schmerzhafte Erinnerungen eingelassen:

    "Andere zögerten, nicht selten aus einem Gefühl der Bedrohung heraus, das die DDR-Vergangenheit nach wie vor bei ihnen auslöst. Nach wie vor, das ist uns sehr deutlich geworden, existiert eine Angst vor den Seilschaften und sozialen Netzwerken eines längst untergegangenen Staates, dessen Repressionspotenzial gleichwohl noch heute präsent erscheint."

    Renate Bauer - geborene Vogel - ist eine groß gewachsene schlanke Frau mit kurz geschnittenen Locken. Die ehemalige Leistungsschwimmerin, geboren 1955 in Karl-Marx-Stadt, wirkt entspannt und zufrieden. Mit ihren DDR-Meistertiteln, ihren Medaillen bei internationalen Wettkämpfen und bei den Olympischen Spielen 1972, war sie zu DDR-Zeiten ein umjubelter Schwimmstar, eine Vorzeigeathletin für den SED-Staat. Es gab Medikamente und Spritzen, wir waren Versuchskaninchen, so steht es auf ihrem Steckbrief in der Ausstellung:

    "Ich durfte nicht erzählen, wie viel wir trainiert haben, was alles auch medizinisch mit uns veranstaltet worden ist. Ich war in der Versuchsgruppe vom Institut in Leipzig dabei. Das waren alles Interna, die nach außen nicht erzählt werden durften."

    1979 gelingt Renate Vogel mit einem gefälschten Pass die Flucht. Ihre Eltern wissen damals nicht, dass ihre Tochter am 4. September am Flughafen Budapest an Bord einer Maschine nach München sitzt.

    "Ich konnte es denen nicht sagen, sonst wären sie mit verurteilt worden. Ich habe mich von meiner Mutti damals verabschiedet. Sie sagt heute, sie hat genau geahnt, irgendetwas stimmt nicht ganz so. Sie wusste nicht, was ich vorhabe. Wenn ich gewusst hätte, wie die Stasi mich beobachtet. Als ich die Unterlagen in meiner Hand hatte, ist mir ganz anders geworden. Wie nah die mir auf den Fersen waren, weil sie geahnt haben, dass ich was plane."

    Seitdem lebt sie ihr neues Leben im Großraum Stuttgart. Wie sie ihre DDR-Biografie bewältigt hat, das erfahren die Besucher der Ausstellung über Kopfhörer. Mit dem Projekt Sportverräter hat sie ihre Rolle als Zeitzeugin endgültig gefunden:

    "Es gibt ja auch viele Sportler, Trainer, die eine ähnliche Vergangenheit haben und die immer noch so tun, als ob sie nur mit Multivitaminsaft so schnell gerannt oder geschwommen wären. Ich denke, man muss sich auch in den Spiegel gucken können, dass man auch immer ehrlich zu sich selber ist."

    Als Zeitzeuge versteht sich auch der ehemalige DDR-Leistungsschwimmer Axel Mitbauer. Nach einem missglückten Fluchtversuch wird er sieben Wochen lang in Einzelhaft verhört. Der SED-Staat verhängt lebenslanges Start- und Sportstättenverbot. Vorbei die Karriere als Leistungssportler. Axel Mitbauer gelingt eine spektakuläre Flucht. In der Nacht vom 17. auf den 18. August 1969 schwimmt er 22 Kilometer weit durch die Ostsee bis nach Lübeck. Der Wettkampf meines Lebens, sagt er noch heute und lacht dabei:

    "Ich sage mal, ich bin in der DDR eigentlich umfassend auf die Republikflucht vorbereitet worden. Ich bin ordentlich trainiert worden, ich bekam eine ordentliche Schulbildung bis hin zur Astronomie, sodass ich letztendlich auch den Sternenhimmel deuten konnte und die Richtung halten konnte. Letztendlich habe ich meinen Sport benutzt, um aus diesem Unrechtstaat wegzukommen."

    Axel Mitbauer arbeitet unter anderem als erfolgreicher Schwimmtrainer. Er ist stolz auf die Ausstellung:

    "Die, die das nicht erlebt haben, dass die sich mal ein Bild machen können davon, dass man das nicht einfach unter den Tisch fallen lässt, das ist eigentlich das Wichtigste, dass man ein Stück deutscher Geschichte als Zeitzeuge aufarbeitet."

    Infos:
    ZOV Sportverräter - Spitzenathleten auf der Flucht