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Sportlerproteste gegen Rassismus in den USA
"Es hat sich etwas im positiven Sinn verschoben"

Die Anti-Rassismus-Proteste der Sportler in den USA haben einen Effekt, sagte der Literaturhistoriker Hans Ulrich Gumbrecht im Dlf-Sportgespräch. Er habe die Hoffnung, dass der Sommer 2020 der Beginn von etwas Neuem sei. Ein Indiz für ihn: Trumps Kritik an den Sportlern habe an Wucht verloren.

Hans Ulrich Gumbrecht im Gespräch mit Jürgen Kalwa | 30.08.2020
Am 26. August 2020 in Bradenton, Florida: Die WNBA-Team der Washington Mystics mit T-Shirts mit sieben aufgemalten Einschusslöchern. Dem 29-jährigen Schwarzen Jacob Blake war sieben Mal von einem Polizisten in den Rücken geschossen worden.
Das WNBA-Team der Washington Mystics mit T-Shirts mit sieben aufgemalten Einschusslöchern. Dem Schwarzen Jacob Blake war sieben Mal in den Rücken geschossen worden (ges / ZUMA Wire)
Vor einer Woche hat ein Polizist in Kenosha in Wisconsin dem 29-jährigen Jacob Blake sieben Mal in den Rücken geschossen. Danach nahmen die Proteste von Sportlerinnen und Sportlern in den USA eine bislang nicht dagewesene Dimension an.
Als erste US-Profimannschaft hatten die Milwaukee Bucks in der vergangenen Woche ein Playoff-Spiel boykottiert und damit eine nie da gewesene Protestserie ausgelöst. Aus der WNBA (Frauen-Basketball), MLS (Fußball), MLB (Baseball) und - etwas verspätet der NHL (Eishockey) - hatten sich Teams und Spieler angeschlossen. Mannschaften aus der NFL (American Football) verzichteten auf ihr Training und selbst das Tennis-Masters in New York wurde einen Tag lang unterbrochen.
Der Literaturhistoriker Hans Ulrich Gumbrecht lebt seit Jahrzehnten in den USA und beschäftigt sich insbesondere mit der Rolle des Sports. Er sagte im Deutschlandfunk, dass sich inzwischen Verhandlungsmöglichkeiten für die Sportler ergeben hätten. In der NBA hatte es Diskussionen gegeben, ob die Saison überhaupt fortgesetzt werden sollte. Die Basketballer entschlossen sich schließlich weiterzuspielen. Sie bekamen von den Teambesitzern dafür unter anderem das Versprechen, dass - wo es möglich ist - die Stadien als Wahllokale bei der anstehenden Präsidentschaftswahl am 3. November genutzt werden.
Gumbrecht: Vermittlereffekt der Sportler
Gumbrecht, emeritierter Professor an der Stanford University in Kalifornien, erklärt sich die Einigung so: Die Basketball-Liga habe verstanden, "dass sie ihr Publikum, auf das sie angewiesen ist, verärgert, wenn sie nicht den nächsten politischen Schritt, den Athleten vorschlagen, akzeptiert." Dabei hätten wahrscheinlich nicht politische, sondern ökonomische Gründe eine Rolle gespielt.
Der Literaturhistoriker betont auch die Reichweite und den "Vermittlereffekt" der Sportler: "Ich kann mich mit ihm [LeBron James, Anm.d.Red.] nicht als Basketballer, aber politisch sehr leicht identifizieren. Und das ist ein Vorteil, eine Verstärkung sozusagen."
Gumbrecht: Trumps Kritik mit weniger Wucht
Für Gumbrecht ist auffällig, dass US-Präsident Donald Trump inzwischen zurückhaltender auf Sportler-Proteste reagiere. Das beweise, dass Trump "relativ gute Instinkte im Hinblick auf die Stimmungen im Land hat, dass dieser Präsident wahrgenommen hat, dass es für seine Wahlchancen nicht gut ist, wenn er allzu sehr gegen jemand, der heute die Rolle von Colin Kaepernick spielt, und gegen eine Liga, die sich verschoben hat, polemisiert." Das könne sich Trump nicht mehr leisten.
Gumbrecht hat die Hoffnung, "dass man in 20 Jahren dann auf diesen Sommer 2020 zurückblickt und sagt: Das war der Beginn von etwas Neuem."