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Sportliteratur
Von Choreos und Kommerz

Die Frankfurter Buchmesse ist auch für die Sportliteratur die wichtigste Bühne. Zum Ende lässt sich festhalten, dass 2017 viele kritische Auseinandersetzungen mit dem Zeitgeist vorgestellt wurden: von der Kommerzialisierung des Fußballs, von Choreographien im Stadion oder der Bedeutung von Vereinen in der Kleinstadt. Aber auch heitere Hymnen.

Von Jessica Sturmberg | 14.10.2017
    Eine Doppelseite aus dem Buch "Sport ist herrlich" mit einer Giraffe, die sich am Hochsprung versucht
    "Sport ist herrlich", findet Zeichner Ole Könnecke und porträtiert auf seine Weise 53 Sportarten. (Jessica Sturmberg)
    "Choreo – ein Buch über die Kunstwerke in den Fußball-Fankurven"
    Die Minuten vor dem Anpfiff eines Spiels, in denen Fans überdimensionale Stoffbahnen ausrollen, mit Pappe, Fahnen, Folien und auch aufwändigen Seilzügen arbeiten um gemeinsam ein großes Bild zu kreieren. Kunst, für die es teils Monate an Vorbereitung braucht. So wie die Choreo am 31. Oktober 2015 in Dresden, beim Drittligaspiel von Dynamo gegen den 1. FC Magdeburg im ausverkauften Stadion.
    "Die größte Stadionchoreographie, die es jemals in einem europäischen Fußballstadion gegeben hat. Mein Gott ich habe Gänsehaut – eine durchgängige Fahne von 450 Metern Länge und jetzt genießen Sie das mal, was hier im Fußballstadion in Dresden geschieht."
    30.000 Zuschauer, alle auf den Heimtribünen entrollen zusammen ein gigantisches Stück Stoff, dass sie minutenlang verhüllt und zu einer kolossalen Inszenierung wird. "Der Verein mit den besten Fans, die Legende aus Elbflorenz" steht auf der riesigen Stoffbahn. Damals in der ARD-Sportschau gewürdigt.
    Mit genau dieser Choreographie beginnt Hendrik Buchheister sein Buch "Choreo - Kunstwerke aus deutschen Fußball-Fankurven". Der Sportjournalist hat so ziemlich alle bedeutenden Choreographien der vergangenen Jahre gesammelt, erzählt ihre jeweilige Geschichte und was es überhaupt mit dieser Stadionkultur, ausgehend von der Ultraszene, auf sich hat.
    Wie Ende der 90er alles begann, welche Arbeit, welche Kosten dahinterstecken und worum es den Ultras geht – nämlich, weit mehr als eine schöne Inszenierung für’s Auge.
    "Es gibt ein Beispiel aus Wolfsburg, wo der Spieler Junior Malanda, der bei einem Autounfall ums Leben kam von den Fans mit einer Choreographie gedacht wurde. Es gibt politische Choreographien, mit der zum Beispiel ein Zeichen gegen Rassismus gesetzt werden soll. Es gibt aber auch Choreographien, mit denen bestimmte Fangruppen z.B. Jubiläen feiern, Was dann oftmals auch kontrovers werden kann, wenn z.B. die Kölner Fangruppe, die im letzten Jahr ihr Jubiläum gefeiert hat auf einer riesengroßen Fahne über die ganze Tribüne die ganzen Straftaten aufmalt, für die sie verantwortlich war oder möglicherweise verantwortlich war."
    Der entscheidende Punkt: die Unabhängigkeit. Für die Ultras ist es ein Geschenk an ihre Vereine, das sie allein finanzieren, aber für das sie eines einfordern: dass es allein in ihrer Hand bleibt.
    Doch das wird zunehmend eingeengt. Vorherige Abnahmen, enge Vorschriften oder auch Garantie- und Haftungszusagen grenzen diese Freiheit ein.
    Was das bedeutet, ist spürbar, wenn man Choreos von Vereinen mit denen der Nationalmannschaft vergleicht. Die sind letztlich mit dem DFB abgestimmt, und bestehen oft nur aus hochgehaltenen Pappen:
    "Was daran liegt, dass die Leute, die diese Choreographie dann machen, die diese Sachen hochhalten müssen, jetzt keine feste Fangruppe ist, sondern Leute, die an diesem Tag im Stadion sind. Da ist dann gar nicht viel mehr Aufwand möglich. Bei so Vereinschoreographien geht natürlich viel mehr. Man kann viel kreativer sein, kann aber auch kontroverser sein, was dann zu Ärger führen kann. Aber den Unterschied merkt man auf jeden Fall."
    "Fieberwahn – Wie der Fußball seine Basis verkauft"
    All das beschreibt Hendrik Buchheister in seinem Buch und ist damit unweigerlich bei einer Debatte, der Christoph Ruf ein ganzes Buch widmet. In "Fieberwahn – Wie der Fußball seine Basis verkauft" legt der Sportjournalist den Finger in die Wunde: Die Kommerzialisierung, die seelenlose Hochglanzwelt, die unverstandenen Fans, der Drang und Druck neue Märkte zu erobern um im Fußballbusiness nicht den Anschluss zu verlieren um dann das Auseinanderklaffen in eine Zweiklassengesellschaft weiter zu zementieren. Es gibt auch Gegenbewegungen, Trainer und Vereine, die sich gegen diese Entwicklung stemmen, wie Christian Streich und sein SC Freiburg, Dynamo Dresden, Carl Zeiss Jena oder der FC St. Pauli.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Autor Christoph Ruf auf der Frankfurter Buchmesse. (Jessica Sturmberg)
    "Die Mitbestimmung zulassen, die eine sehr lebendige Fanszene haben, wo sich tausende einfach Gedanken machen über das, was aus ihrem Verein wird. Kein Aktienunternehmen, sondern dass das nach wie vor ihr Verein bleibt, ihre ideelle Heimat", sagt Christoph Ruf.
    Er seziert die Entwicklungen, erzählt in 17 ausführlich recherchierten Themenabschnitten, was schief läuft ohne schwarz weiß zu malen und einen einzigen Schuldigen dabei auszumachen. Vielmehr ist es ein Appell an alle, sich der sportkulturellen Fliehkräfte bewusst zu werden, die jeder mit seinem Wirken an der Drehscheibe beschleunigt. Zum Beispiel auch Fans und ihre Konsumentscheidungen. Am Ende steht das, was die englische Premier League inzwischen ist: Konsumentenfußball, bei der man verzweifelt auf Suche geht nach den inneren Werten. Englische Fans kommen inzwischen nach Deutschland, weil sie diese Werte hier noch finden.
    "Weil der Fußball in Deutschland zum Teil noch so ist, wie er in England früher war. Aber das Interessante ist ja, dass der deutsche Fußball gerade versucht der Premier League nachzueifern, immer kommerzieller zu werden, während in der Premier League schon lange die Gegenbewegung da ist, die wollen schon wieder zurück Richtung Bundesliga."
    "Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten"
    In der Erzählung über den Fußball sind die Engländer aber oft groß. Den Fußball darzustellen, wie er sich anfühlt, wenn er durch einzigartige Charaktere und besondere Umstände geprägt wird. Ein solcher Roman, der eigentlich schon 1975 im Original erschienen ist, wurde in diesem Jahr auch auf Deutsch veröffentlicht: "Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten".
    Weil Sportromane eher selten sind, lohnt noch eine weitere Erwähnung, abseits des Fußballs: "Kleine Stadt der großen Träume" – Der Schwede Fredrik Backman erzählt über einen Ort hoch oben in den dunklen Wäldern Schwedens, der mit und durch seinen Eishockeyclub lebt und dessen Gemeinde sich durch das Eishockey nachhaltig verändert. Man fühlt sich ein wenig erinnert an die Geschichte von Quakenbrück, dem einstigen Spitzenbasketball und an sein plötzliches Ende. Die Bedeutung des Sports für eine kleine Stadt wie Quakenbrück, die weit über das Spiel an sich hinausgeht. Ach à propos: Basketball, diesen Sport findet der Zeichner Ole Könnecke: "Er ist herrlich."
    "Sport ist herrlich"
    So wie auch Skispringen, Tanzen, Eiskunstkauf, Boule, Rugby oder überhaupt Sport an sich. "Sport ist herrlich" ist der Titel eines Sportbuches der ganz anderen Sorte. Könnecke präsentiert 53 Sportarten – pointiert in ihren typischen Eigenheiten mit Darstellern aus der Tierwelt. Störche, die Basketball spielen, Giraffen, die Stabhochsprung machen oder Hunde, die golfen. Dazu das Wesentliche kurz erklärt:
    "Ich habe versucht es so zu schreiben, dass Kinder es verstehen und Erwachsene es lustig finden können." So sind alle Sportarten herrlich, auch Golf. Es sei denn: "Der Ball landet im Wasser, im Gebüsch, im Sand oder neben dem Loch. Oder es fängt an zu regnen."
    Sport ist herrlich – wer es noch nicht wusste, kann es als Augenschmaus verzehren. Eine heitere Hymne an den Sport an sich.