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Sportwissenschaftler Robin Kähler
"Leben und Bewegung als Ganzes sehen"

Städte müssten Möglichkeiten schaffen, dass sich mehr Menschen bewegen und Sport treiben, meint der Sportwissenschaftler Robin Kähler. Er hat für die Stadt Köln einen Sportentwicklungsplan konzipiert, der vorsieht Sportplätze ansprechender zu gestalten, die Pflege zu regeln und generell sich mehr nach den Bedürfnissen der Bürger auszurichten.

Robin Kähler im Gespräch mit Jessica Sturmberg | 23.02.2019
Sportwissenschaftler Robin Kähler im Rathaus der Stadt Köln
Sportwissenschaftler Robin Kähler hat für die Stadt Köln den Sportentwicklungsplan konzipiert. (Deutschlandradio / Jessica Sturmberg)
Jessica Sturmberg: "Viele Menschen treiben zu wenig Sport, bewegen sich zu wenig. Es mangelt oft gar nicht am Willen, sondern an Zeit und Möglichkeiten. Was kann eine Stadt tun, um Menschen mehr Möglichkeiten für sportliche Betätigungen zu schaffen? Den Breitensport stärker zu fördern. Die Stadt Köln will einen neuen Weg gehen. In ihrem Sportentwicklungsplan verspricht sie mehr Transparenz, auf die Bedürfnisse der Bürger einzugehen und diese auch in die Projektplanung von Sportstätten mit einzubeziehen. Erstellt hat ihn der Sportwissenschaftler Robin Kähler, der viele Jahre an der Universität Kiel gelehrt hat. Mit ihm habe ich darüber gesprochen, und ihn gefragt muss aus stadtplanerischer Sicht Sport, Breitensport, Mobilität von Menschen ganz anders gedacht werden?"
Robin Kähler: "Ja, insofern benutze ich auch nicht den Begriff Breitensport, der eher dem organisierten Sport nahe ist, sondern es geht im Grunde genommen um das Thema Leben und Bewegung als Ganzes zu sehen und damit letztlich aus Stadtentwicklungssicht dann zu sagen, wie gehört das letztlich auch in die räumlichen Strukturen, in die Lebenskonzepte, in die Netzwerke, in die Verwaltungsstrukturen wirklich hinein, dass es als ganzes auch so auch gelebt und verwaltet, gestaltet, politisch gestaltet wird."
Sturmberg: "Inwieweit ist das aus städtischer Planungssicht ein Paradigmenwechsel, wenn eine Stadt sich überlegt, wie können wir unsere sportlichen Angebote den heutigen Bedürfnissen anpassen?"
Kähler: "Insofern, weil bisher der Blick auf den Sport war, was können wir für Dich tun? Sag uns Dein Bedürfnis und dann machen wir das und jetzt umgekehrt gefragt wird, welche Leistung, welchen Beitrag leistet eigentlich der Sport für die Stadtentwicklung insgesamt? Also umgekehrt gefragt wird und das bedeutet, dass der Sport mit seinen Möglichkeiten die Lebensqualität der Menschen zu verbessern oder die Stadt als Ganzes weiter zu bringen, dort genauer angeschaut wird und auch wo dann innerhalb einer gesamtstädtischen Planung die Bedingungen gesetzt werden, damit diese Wirkung dann auch tatsächlich erzielt werden kann."
"Wir müssen umgekehrt denken"
Sturmberg: "Inwieweit unterscheidet sich da Ihre Herangehensweise aus Forschungssicht?"
Kähler: "Also erstmal ist der Blick ein ganz, ganz anderer auf den Sport. Der geht nicht von den Institutionen, von den Sportarten aus – also nicht von den Vereinen, nicht vom Schulsport, nicht von dem organisierten Sport – also nicht direkt nur von den Institutionen, ihren Bedarfen aus, sondern man geht davon aus, welche Bedeutung hat Bewegung, Spiel und Sport für die Menschen und welche Räume, welche Situationen, welche Institutionen, welche Angebote sind dafür notwendig, um die Qualität, die dann der Sport für die Menschen hat. Sportliche Aktivitäten ist ja viel, viel mehr als jetzt nur Sportart. Wie kann das so weiterentwickelt werden, dass letztlich der Sport oder Sporttreibende wirklich seine Qualität entfaltet? Nehmen Sie mal Gesundheit. Das Thema Gesundheit ist ein wesentliches Thema für die gesamte Republik im Grunde genommen, es wird viel zu wenig dafür getan.
Es wird letztlich immer gesagt, Du musst Sport treiben, was an sich eine negative Sichtweise ist. Wenn ich es vorher nicht getan habe, bin ich da böse. Nein, man muss anders fragen: Warum gestalten wir unsere räumliche Lebenswelt nicht so, dass sie uns anregt uns zu bewegen? Das Problem liegt nicht beim Menschen, der immer die Schuld kriegt, er ist nicht der Richtige, sondern die Rahmenbedingungen sind an sich nicht mehr da. Wir machen alles um letztlich das Bewegen zu reduzieren, wir verdichten und machen Immobilität und beklagen uns darüber, dass der Mensch sich nicht mehr bewegt. Das ist völlig falsch gedacht. Wir müssen umgekehrt denken, wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, die so attraktiv sind, dass es Spaß macht sich zu bewegen."
Sturmberg: "Zum Beispiel?"
Kähler: "Sie können beim Bürgersteig anfangen. Wenn auf dem halben Bürgersteig die Autos parken, dann haben die Kinder eine Lebenswelt, vor sich, – und die Eltern auch – wo sie sagen um Gottes Willen, bloß nicht bewegen oder wenn sie überall sagen "Betreten verboten" oder so etwas oder die Parks werden reglementiert. Das wird glücklicherweise alles schon besser gemacht. Man öffnet sie auch für die Menschen, man erlaubt viel mehr als vorher und es ist genau der richtige Weg. Aber die Aufrüstung von irgendwelchen Dingen ist überhaupt nicht notwendig. Räume öffnen, Räume qualifizieren, ertüchtigen, attraktiver machen, das wird viel zu sehr von der Technik, bautechnischen und funktionalen Sicht immer auf das Thema und nicht von den Menschen her gedacht. Nehmen Sie mal so eine Bewegungsanlage Mehrgenerationenpark, das ist ja häufig so ein Beispiel, was überall gebaut wird. Da sind die Fragen erstmal: Kommen die älteren Menschen dahin? Kommen sie mit ihren Rollatoren dahin? Haben sie Beleuchtung? Fühlen sie sich sicher? Fühlen sie sich wohl? Ist das betreut? Sind die Geräte überhaupt medizinisch gut ausgesucht? Das sind die Fragen, die zuerst gestellt werden müssen und nicht dass man einfach nur was hin baut, seid froh, dass wir für euch etwas gemacht haben, wie Politik gerne so denkt."
Sportplätze als wichtige Reservate in verdichteten Städten
Sturmberg: "Es hilft ja immer, wenn man ein sehr konkretes, praktisches Beispiel vor Augen hat. Was kann eine Stadt tun, damit die Bewegung zu den Menschen kommt und es ihnen leicht gemacht wird sich zu bewegen?"
Kähler: "Ganz ein praktisches Beispiel: Viele Städte haben viele Bolzplätze. Wenn man mal die Bolzplätze sich anschaut, dann muss man sagen, viele sind in einem ganz jämmerlichen Zustand. Da sieht man wenn es regnet große Pfützen oder sie haben einen schlechten Untergrund oder sie sind auch verwachsen oder sind nicht sicher und keiner schickt gerne seine Kinder dahin. Für die Kinder sind das enorm wichtige Reservate in einer verdichteten Welt. Wenn man sie ertüchtigt, zum Beispiel ein offenes Dach darüber setzt oder wenn man sie einfach so ausrüstet, dass sie nicht nur so versteckt sind, sondern dass sie für alle neue Möglichkeiten haben, weil meistens diese Bolzplätze – wir haben es in Köln auch gemacht in einem ganz wichtigen Viertel, da gab es zwei asphaltierte Plätze, die haben wir uns genau angeguckt. Da haben wir gesagt, die müssen wir verändern. Ein Dach drauf, kleine Felder Drumherum, ergänzend, dass auch die Schule da was machen kann, kleines Kunststofffeld, damit auch Gymnastikgruppen stattfinden können. Da muss eine Toilette natürlich hin. Das heißt also plötzlich mal von der Praxis der Menschen denken und sagen wir müssen was tun. Kleines Inselchen qualifizieren und schon tut sich da was."
Sturmberg: "Und das ist kein abgeschlossener Prozess, da steckt man nicht einmal Geld rein, sondern das ist eigentlich ein laufender Prozess, der dann einmal angestoßen wird?"
Kähler: "Es ist nicht abgeschlossen, sondern wir beginnen einen Prozess im Grunde genommen. Deswegen bedarf es auch einer Organisation, einer Struktur, die diesen Prozess sichert. Das gibt es ja auch noch nicht. Viele Vereine sind in manchen Vierteln gar nicht so richtig aktiv, also wird da gar nichts gemacht. In segregierten Stadtteilen haben wir das erlebt. Da muss dann auch eine soziale Struktur eingebaut werden. Da muss die Verwaltung auch Beziehungen zu den Stadtteilen aufbauen. Da muss auch etwas gebaut werden, dass letztlich auch eine Betreuung, eine Kommunikationsstruktur sich entwickelt. Dass das nicht nur einfach hingesetzt wird, seid zufrieden jetzt habt ihr was, sondern dass es letztlich ein Netz, ein Tragwerk auch entsteht. Ich denke nicht, dass man das einfach der Stadt wieder in Verantwortung übergibt, sondern wir brauchen Netzwerke der Kooperationspartner. Es gibt viele kleine Vereinigungen, Elternvereine, Schülervereine, Sozialvereine, Stadtteilvereine, Bürgervereine so etwas. Eine Vernetzung der Gruppen zum Wohle letztlich der Sicherung dieser Dinge ist wichtig, die Schulhöfe gehören übrigens auch dazu."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.