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Spott und Erniedrigung für ein ganzes Menschenleben

Eine uneingeschränkt empfehlenswerte Geschichte über mehrfach gebrochene Identitäten, den Verlust von Heimat und über die Frage, wie man in Zeiten der Globalisierung leben kann - anhand des Äthiopiers Sepha, der in den USA sein Glück sucht.

Von Imogen Reisner | 04.12.2009
    Der alte amerikanische Mythos vom Aufstieg des kleinen Mannes zu Ansehen und Reichtum trägt Früchte bis zum heutigen Tag. Mögen es in der Gegenwart auch eher Trockenfrüchte sein, die nicht selten bitter oder fade schmecken. Die Träume von einem freien, sorglosen Leben auf amerikanischem Boden können Immigranten aus Schwarzafrika zuweilen mehr kosten, als sie zu geben willens oder in der Lage sind. Manchmal ist der Preis so hoch, dass das Gefühl der Heimatlosigkeit, der Unbehaustheit zum dauerhaften Lebensgefühl wird.

    Auf wunderbar leichte Art, klug, witzig und mit feinen, farbigen Pinselstrichen erzählt der junge amerikanische Autor Dinaw Mengestu in seinem Erstlingswerk eine solche Geschichte. Sie handelt von Sehnsucht, stiller Liebe, von der Leidenschaft zur Literatur und dem Wunsch nach Integration und Anerkennung, aber auch von Einsamkeit, Enttäuschungen und existenzieller Not.

    Sepha Stephanos, Mengestus Erzähler und Protagonist, ist Anfang 30. Vor 17 Jahren kam er aus Äthiopien in die USA. Nicht freiwillig, sondern als politischer Flüchtling. Sein Vater wurde in der Heimat vor seinen Augen erschlagen, andere Mitglieder der Familie sind spurlos verschwunden. In einer heruntergekommenen Gegend in Washington D.C. versucht sich Stephanos mit einem winzigen, spartanisch bestückten Gemischtwarenladen über Wasser zu halten. Er handelt mit Lebensmitteln von der Art, die gerade das Überleben sichern: Cola und Chips, Nudeln und Fertiggerichte; Seife, Windeln, Waschmittel. Doch das Geschäft läuft zunehmend schlechter, und Stephanos fehlt der Ehrgeiz, um den Laden wieder auf Trab zu bringen.

    Zwei Freunde, Kenneth aus Kenia und Joseph aus dem Kongo, sind die einzigen Gesprächspartner des jungen Geschäftsmanns. Doch weder Sepha noch seine beiden Kumpanen sind in all den Jahren ihres Vertriebenendaseins wirklich in Amerika angekommen, zu groß sind die Differenzen zur eigenen kulturellen Identität. Allesamt haben sie nicht nur ihre Väter und damit ihre familiären Wurzeln verloren. Sondern sie sind auch von den Jahren des Exils an Leib und Seele verwundet:

    Jeder von uns hatte schon so viel Spott und Erniedrigung über sich ergehen lassen müssen, dass es für mehr als ein Menschenleben reichte.

    Um sich die Langeweile und die innere Leere zu vertreiben, treffen sich die drei Freunde einmal wöchentlich am Klapptisch in Sephas Kiosk zum Whisky aus dem Pappbecher und zu einem skurrilen Zeitvertreib: eine Art Schiffeversenken afrikanischer Diktatoren, ein Ratespiel, in dem es darum geht, schwarze Gewaltherrscher zu benennen und herauszufinden, in welchem Jahr sie jeweils an die Macht kamen und welches Land sie ruiniert haben. Außerdem gilt es, alle Kriege mit Kindersoldaten der letzten drei Jahrzehnte aufzuzählen. Ein makaberes Spiel, das den Freunden mit beißendem Sarkasmus hilft, den Schmerz über den Verlust der Heimat ein wenig zu neutralisieren.

    Wir spielen dieses Spiel jetzt schon seit über einem Jahr. Wir haben die Regeln erweitert um Putschversuche, Aufstände, Unruhen, Guerillaführer und die Abkürzungen aller Rebellenorganisationen, die uns einfallen. Ganz egal, wie viele wir aufzählen, es gibt immer noch mehr, die Namen und Jahreszahlen vervielfältigen sich so schnell, wie wir sie uns einprägen ...

    So ist nicht nur das Verhältnis der drei Freunde zu ihrer neuen, sondern auch das zu ihrer alten Heimat gebrochen. Mit kritischem Humor richtet der Autor seinen Blick in beide Richtungen, sowohl auf die eigenen Landsleute mit ihren menschlichen Schwächen wie auch auf das große Ganze, das reiche Land ihres Exils mit seinen bizarren Gesetzmäßigkeiten. Joe, der Freund aus dem Kongo und selbst ernannte Intellektuelle, sieht die Fakten nüchtern:

    Dieses Land ist wie ein Adoptivkind. Du darfst es ihm nicht übelnehmen, wenn es dir nicht gibt, was du dir wünschst. Aber du musst es loben, wenn es auf dich zukommt, sonst beißt es dich in den Arsch.

    Als Judith, eine weiße Intellektuelle, mit ihrer elfjährigen Tochter Naomi in die vorwiegend schwarze Nachbarschaft zieht, verändert sich die dumpfe Tristesse, die bislang Sephas Tage prägte. Mit großem Aufwand lässt die Professorin für Geschichte aus dem halb zerfallenen Nachbarhaus des Viertels ein weithin leuchtendes Schloss urbaner Pracht errichten. Gentrifizierung heißt das in der globalen Welt, und der Protest der eingesessenen Nachbarschaft lässt nicht lange auf sich warten.

    Doch für Sepha Stephanos verändert sich der Blick auf das Leben, denn er verliebt sich still, aber heftig in die ungleiche neue Nachbarin. Vor allem entwickelt sich eine zärtliche Freundschaft zwischen dem erfolglosen Geschäftsmann und der altklugen, aber einsamen Tochter, die in täglicher gemeinsamer Dostojewski-Lektüre gipfelt.

    Mit souveräner Leichtigkeit kreiert Mengestu wundervolle poetische Szenen aus dem Alltag seiner Figuren, die er mit farbigen Details und ironischen Beobachtungen anreichert. Vielschichtig sind allerdings auch die Gefühle von Trauer und Verlorenheit, die der junge äthiopischstämmige Autor in seinem Debüt-Roman so unangestrengt thematisiert. Denn heimatlos fühlen sich nicht nur die afrikanischen Migranten. Und obwohl sich der Moll-Klang einer existenziellen Einsamkeit unüberhörbar durch das ganze Buch zieht, bleibt Mengestus Erzählton immer locker und unverkrampft. Ob das dem jugendlichen Alter oder eher den afrikanischen Wurzeln des Verfassers geschuldet ist, bleibt noch zu klären. Tatsächlich war Mengestu erst 29 Jahre alt, als vor zwei Jahren die amerikanische Originalausgabe erschien. Umso eindrucksvoller die Kunstfertigkeit, mit der Mengestu leichthändig seinen Stoff beherrscht, die erzählerischen Ebenen wechselt und die Ingredienzen – Liebe, Freundschaft, Politik und Migration – mischt.

    "Zum Wiedersehen der Sterne" – so der etwas holprige Titel – ist eine uneingeschränkt empfehlenswerte Geschichte über mehrfach gebrochene Identitäten, den Verlust von Heimat und über die Frage, wie man in Zeiten der Globalisierung leben kann.

    Dinaw Mengestu: "Zum Wiedersehen der Sterne". Roman
    Aus dem Amerikanischen von Volker Oldenburg
    Claassen Verlag, Berlin, 2009, 252 Seiten, 19,90 Euro