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Sprachkompetenz früher fördern

Nicht besonders erfolgreich - so das Urteil einer Berliner Studie zu den Sprachförderprogrammen für Migrantenkinder. Woran das liegt? Nicht optimal laufe, dass es zwar viele Initiativen und Programme gäbe, "aber nicht unbedingt einen Katalog, was die Standards angeht", meint Tania Kiziak, Mitautorin der Studie.

Tanja Kiziak im Gespräch mit Manfred Götzke | 19.01.2012
    Manfred Götzke: Sprachförderung für Kinder mit Einwanderungshintergrund, das ist seit den ersten PISA-Studien eine der bildungspolitischen Herausforderungen in Deutschland, und es wird ja auch viel getan. In den letzten zehn Jahren versuchen Hunderte staatliche und private Projekte, Kindern mit ausländischen Wurzeln korrektes Deutsch beizubringen. Aber sind diese Initiativen auch erfolgreich? Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hat das jetzt mal erstmals untersucht und festgestellt: eher nicht. Obwohl es all diese Förderprogramme gibt, ist die Zahl der Kinder, die nicht ausreichend gut Deutsch sprechen, gewachsen. Tanja Kiziak ist Mitautorin der Studie. Frau Kitziak, woran liegt das denn?

    Tanja Kiziak: Das liegt sicher auch daran, dass es eigentlich erst seit gut zehn Jahren Sprachförderprogramme gibt, das heißt, auch dadurch, dass die Programme entstanden sind, hat man sich genauer den Bedarf angeschaut. Es ist aber auch so, dass der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund im Verhältnis zu einsprachig deutsch aufwachsenden Kindern gestiegen ist, und diese Kinder haben meistens, nicht alle, aber viele von ihnen haben einen größeren Sprachförderbedarf als deutsche Kinder.

    Götzke: Wie dramatisch ist denn die Lage nach Ihren Untersuchungen, wie viele Kinder mit Einwanderungsgeschichte können nicht korrekt Deutsch sprechen, prozentual gesehen?

    Kiziak: Wir berufen uns da vor allem auf die Sprachstandserhebungen vor Schulbeginn, und wenn man das grob betrachtet, dann ist es etwa jedes zweite bis dritte Kind mit Migrationshintergrund, aber es ist auch jedes zehnte Kind, das einsprachig deutsch aufwächst.

    Götzke: Was läuft bei all diesen Projekten, die nach dem PISA-Schock entstanden sind, denn falsch, dass das alles so schlecht funktioniert?

    Kiziak: Nicht optimal läuft, dass es viele verschiedene Initiativen und Programme gibt, aber nicht unbedingt einen Katalog, was die Standards angeht. Also es ist unklar, was als Kern jedes Programms gelehrt werden sollte. Dazu müssen aber auch erst im Laufe der Zeit die Erfahrungen entstehen. Mit der Sprachförderung wurde häufig viel zu spät angefangen – Kinder sollten eigentlich möglichst ab dem zweiten oder dritten Jahr gefördert werden und nicht erst in der Vorschule –, und es ist auch so, dass die Erzieherinnen, die sehr, sehr engagiert sind, dass die nicht immer die notwendige Begleitung erhalten, dass sie zu wenig Feedback zu ihrer eigenen Spracharbeit erhalten.

    Götzke: Das heißt, die Sprachförderung, die findet meist erst in der Vorschule oder Grundschule statt, und das müsste eigentlich viel früher ansetzen.

    Kiziak: Also Kinder werden im Kindergarten natürlich immer sprachlich gefördert, aber die speziellen Sprachkurse haben, zumindest anfangs, vor allem in der Vorschule eingesetzt. Man hat allerdings da auch aus Fehlern gelernt, also einzelne Sprachkurse beginnen jetzt auch schon bei zweijährigen oder dreijährigen Kindern.

    Götzke: Als ein weiteres Problem haben Sie den Elternwillen, ich sag mal, des bildungsbeflissenen Bürgertums identifiziert. Inwiefern?

    Kiziak: Ein Grundproblem, warum es am Spracherwerb hapert, ist, wenn die Kinder zu wenig Kontakt zu deutschsprachigen Kindern haben, aber auch insgesamt zur deutschsprachigen Bevölkerung. Nun ist es so, dass Kinder, die nicht gut Deutsch sprechen, häufig in einer Kindertagesstätte sind, in der die Mehrzahl der Kinder ebenfalls schlecht Deutsch spricht, sodass sie wenig Sprachvorbilder haben. Also dort hängt praktisch der Erwerb des Deutschen fast ausschließlich an den Erzieherinnen.

    Götzke: Gerade deutsche Eltern mit hohem Bildungsstand, die sind oftmals bereit, ihre Kinder durch die halbe Stadt zu fahren, damit die eine möglichst gute Kita bekommen, daran wird man aber wahrscheinlich nichts ändern können, oder?

    Kiziak: Das Grundproblem, das muss man vielleicht zurücknehmen, die Eltern fahren mit ihren Kindern nicht unbedingt durch die halbe Stadt, die ziehen gleich in einen ganz anderen Kiez.

    Götzke: Oder das.

    Kiziak: Also so fängt es eigentlich an. Man könnte im Prinzip Verteilungsquoten festlegen, zumindest theoretisch denkbar, im Prinzip wäre es aber besser, wenn alles auf Freiwilligkeit basiert. Und behelfsmäßig gibt es auf jeden Fall gute Vernetzungsprojekte, also Kitas aus verschiedenen Stadtteilen oder auch Kitas mit dem Seniorenheim, und natürlich kann man auch Lesepaten oder andere engagierte Menschen aus der Zivilgesellschaft in die Kitas holen, um eine bessere Durchmischung und deutsche Sprachvorbilder in die Kita zu bringen.

    Götzke: Das klingt jetzt aber wieder nach den vielen kleinen Projekten, nach Aktionismus, den Sie ja eigentlich kritisieren. Also was müsste vielleicht umfassend passieren, damit das besser funktioniert?

    Kiziak: Im Prinzip kritisieren wir nicht, dass es viele verschiedene Programme gibt, sondern dass es bei den grundlegenden Programmen an dem Wissen oder an der Umsetzung eines Kernbereichs fehlt. Zusätzliche Projekte wie Lesepatenschaften, Theaterprojekte und so weiter und so weiter, das stört ja gar nicht, also das kann gerne noch zur Basissprachförderung dazukommen, das kann nur helfen.

    Götzke: Und die sollte vor allem in der Kita ansetzen. Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund beginnt viel zu spät, sagt Tanja Kiziak vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.