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Sprachvertonungen

Es geht um vertonte Literatur. Präziser gesagt: Um die lyrische Avantgarde und um Versuche, dieser musikalisch mit Maß zu begegnen. Hörbeispiele sind Kompositionen von Wolfgang Heisig und von Steffen Schleiermacher, ein Klangerlebnis aus der Metropole von Ulrike Haage und politische Lieder von Stefan Wolpe.

Von Frank Kämpfer | 25.05.2008
    Im Folgenden dreht sich alles um vertonte Literatur. Präziser gesagt, es geht es um lyrische Avantgarde und um Versuche, dieser musikalisch mit Maß zu begegnen - im Experimentieren sind Zeitempfinden und Zeitgeist unüberhörbar.

    "Wolfgang Heisig, MARS SAUGT MUT, Take 02"

    Sprache, aufgelöst in Phoneme - der Klavierpart auf sehr kleine Gebilde, auf Zweitongefüge hin reduziert. Komponist Wolfgang Heisig hält beiderlei streng auseinander und stellt eindeutig klar: Im "Klavierlied" der Moderne gehört, was sich einstmals sinnerhellend romantisch durchdrang, streng getrennt.

    Seine achtminütige Miniatur für Phonola und Sampler lässt zwei Maschinen konkurrieren: der Klavierpart wird durch einen automatischen Vorsetzer, durch den eine gestanzte Papierrolle fließt, intoniert. Vokale und Konsonanten sind elektronisch montiert.

    "MARS SAUGT MUT": Der sächsische Experimentalist Heisig hat im Titel seiner sprach/kompositorischen Miniatur eine Widmung versteckt, die ihrerseits auf einen Pionier der poetischen Moderne verweist: August Stramm, Jahrgang 1874, Inspektor im Reichspostministerium und als Hauptmann der Reserve 1915 gefallen bei Grodek, gilt lyrikgeschichtlich als einer der Begründer des deutschen Expressionismus – mit sprachlicher Amputation, mit Verdichtung wie Fragmentarisierung reagiert er, Stramm, poetisch auf den Innovationsschub des Ersten Weltkriegs, der das bis dato gültige "In der Welt sein" des europäischen Menschen zerschlägt.

    "Hommage à August Stramm" heißt eine bemerkenswerte, bei MDG editierte neue CD rund um das Klavier, die den Zusammenhang von Krieg und Musik jedoch nur sehr indirekt nennt. Initiator, Booklet-Autor und Pianist Steffen Schleiermacher zitiert zwar als Motto Franz Marc: "Unser Gefühl von Welt findet keinen anderen Ausdruck" - ansonsten kapriziert er sich verharmlosend auf den Aspekt des rein ästhetisch innovativen Umgangs mit Instrumenten und Versen.

    Mit Vladimir Vogel, Herwarth Walden, Milton Babitt, Gerhard Rühm und Klarenz Barlow indes versammelt Schleiermacher Namen und Werke von Klassikern des Experimentierens, die auf der Suche nach neuen künstlerischen Sprachen in der Welt ihrer Gegenwart für deutlich Antimilitaristisches stehen.

    Rückgriffe in Richtung Klavierlied fallen deutlich dahinter zurück; Wolfgang Rihms atonale "Gesänge op. 1" von 1968 und Steffen Reinholds Stramm-Lieder von 2001 wirken deshalb allzu konventionell. Pianist Schleiermacher steuert zwei eigene Kompositionen hinzu, von denen eine, "Die Menschheit" für Stimme und präpariertes Klavier, hier kurz anklingen soll.

    "Steffen Schleiermacher, Die Menschheit, Take 01"

    Ein Ausschnitt aus Steffen Schleiermachers "Die Menschheit" - notiert für die Weltausstellung in Hannover im Sommer 2000 - hier dargeboten von Hildegard Wiedemann (Stimme) und dem Komponisten am Flügel. Die Aufnahme findet sich auf einer Platte mit Widmungen an den Expressionisten August Stramm.

    Ein Welt- und Klangempfinden gänzlich anderer Art beinhält die nächste CD. Urheberin Ulrike Haage baut sie um eine Einzelperson, die sich zu Fuß oder per Fahrrad durch die moderne Großstadt bewegt und die Akustik derselben wahrnimmt und weiter vermittelt. Im konkreten Fall ist es Berlin.

    Die suggeriert weibliche Städtebewohnerin erlebt die Metropole als abwechselnd lärmig und still, heimisch wie fremd. Baulärm, so ihre Beobachtung, lässt Redende schweigen. Vor allem jedoch moderner Mail- und SMS-Verkehr reduziert, fragmentiert das heute zwischen Menschen laut gesprochene Wort.

    "Die Stille hinter den Worten" ist das Opus etwas sentimentalistisch betitelt. Kein Soundscape liegt hier vor, keine Originalton-Collage der Hauptstadt, vielmehr ein Kunstprodukt, das die typischen Sounds und Klang-Elemente der Komponistin zum unaufdringlichen Hörstück verwebt.

    Alltags- und Medien-Geräusche verbinden bestechend harmlose Sounds elektroakustischer Herkunft, ein Kontrabass swingt - die für Haages Hörstücke typische weibliche Sprechstimme (hier: Anna-Lena Zühlke) verliert ab und an verbale Sentenzen, die keineswegs soziale Kritik, sondern ein modisch unscharf atmosphärisches und bestenfalls leicht elitäres Weltempfinden vermitteln. Ein im Hörspielstudio des Bayerischen Rundfunks klanglich perfekt realisiertes Haage-Produkt, dem es inhaltlich an Biss und Brisanz fehlt.

    " Ulrike Haage, Die Stille hinter den Worten, Take 07"

    "Die Stille hinter den Worten" - ein neues Hörstück von und mit
    Ulrike Haage, veröffentlicht beim in Bonn ansässigen Verlag "sans soleil".

    Die für heute letzte Produktion, die ich Ihnen anspielen will, gilt Stefan Wolpe. Geboren 1902 in Berlin, emigriert der Schüler Ferrucio Busonis 1933 nach Palästina und später in die Vereinigten Staaten, wo er hernach in New York Zugang zur amerikanischen Avantgarde-Szene hat. Noch in Deutschland, Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre, in der Hochzeit innenpolitischer Kämpfe, engagiert sich Wolpe politisch und komponiert Verse Brechts, Kästners und Agit-Prop-Literatur.

    Nur im Ausnahmefall eigneten sich diese Titel zum Massengebrauch - der an Zwölftontechnik und freier Atonalität orientierte junge Avantgardist ist nämlich schwerlich bereit, von seinen ästhetischen Prinzipien Abstand zu nehmen.

    Die Auswahl dodekaphoner proletarischer Lieder, die eine bei NEOS veröffentlichte CD versammelt, wirkt deshalb einigermaßen ambivalent. Verdienterweise erinnert die Platte an das vergessene Frühwerk des Komponisten, zugleich verweist sie am musikgeschichtlichen Beispiel auf die substanzielle Schwierigkeit avancierter Musik, politisch Stellung zu nehmen und dabei ästhetisch verständlich zu sein.

    Beim heutigen Hören kommt abträglich die Vernutztheit marxistischer Vokabeln hinzu - wenngleich die zwei Interpreten musikalisch wie politisch manch Unerledigtes zutage zu fördern verstehen. Beispielsweise in der auf 1929 datierten Majakowski-Vertonung "Decret Nr.2, An die Armee der Künstler", die engagiert wie satirisch Bezug auf ein allzu wohlgefälliges, wohlversorgtes Kunstschaffen nimmt.

    "Stefan Wolpe, Decret Nr. 2"

    Politische Lieder von Stefan Wolpe - eine Produktion von Radio Bremen. Die zwei Interpreten - Vokalist Gunnar Brandt-Sigurdsson aus Hamburg und Pianist Johan Bossers aus Brüssel - waren übrigens Anfang des Jahres mit einem Wolpe-Lieder-Programm auf Tournee in mehreren westeuropäischen Städten und Ländern.

    Neben dieser bei NEOS veröffentlichten CD habe ich Ihnen heute Ulrike Haages bei "Sans soleil" in Bonn verlegtes neues Hörstück "Die Stille hinter den Worten" sowie eine bei MDG editierte Hommage à August Stramm angespielt.

    "Wolfgang Heisig, MARS SAUGT MUT
    CD mdg 60623 14962 2, LC 06768

    Steffen Schleiermacher, Die Menschheit
    CD mdg 60623 14962 2, LC 06768

    Ulrike Haage, aus: Die Stille hinter den Worten
    CD sans soleil ISBN 978388030039

    Stefan Wolpe, Decret Nr. 2
    CD NEOS 10719, LC 15673"