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Sprengen für neue Stoffe

Physik.- Schockwellenlabor: so heißt die neueste Forschungseinrichtung der Freiberger Bergakademie. Dahinter verbirgt sich die weltgrößte Sprengkammer. Durch heftige Explosionen sollen dort neue Stoffe erschaffen und bekannten Materialien neue Eigenschaften verpasst werden.

Von Hartmut Schade | 11.07.2011
    150 Meter saust der Fahrkorb mit einer kleinen Gruppe von Forschern und Journalisten in die Tiefe. Hinab zum Stollen 1 des Lehrbergwerks "Reiche Zeche" der Bergakademie Freiberg. Unter Tage wechselt man in die blauen Wagen der Grubenbahn. Nach einer kurzen Fahrt geht es zu Fuß einen tropfnassen Gang weiter, tief gebückt passiert man eine Stahltür - ist am Ziel: eine Höhle im Fels. Die Sprengkammer. Sechs mal sechs Meter groß und fünf Meter hoch. Bis zu 20 Kilogramm Sprengstoff können hier drin zur Explosion gebracht werden.

    Gesprengt wird nicht, um Materialien auf ihre Festigkeit zu testen, sondern um neue zu schaffen, sagt der Professor für technische Mineralogie, Gerhard Heide.

    "In der Natur kennen wir sehr viele Prozesse, die zu Mineralumwandlung führen, teilweise auch extreme Prozesse. Und das anschaulichste Beispiel ist der Meteoriteneinschlag. Wir finden in Meteoritenkratern Diamanten. Und diese Diamanten haben sich durch die Schockwelle des Impakts gebildet."

    Die Materialien, die die Forscher den Schockwellen einer Sprengung aussetzen, sind alte Bekannte in der Keramikherstellung, erklärt der Doktorand Kevin Keller.

    "Also wir beschäftigen uns vorrangig mit dem Sialon-System, das heißt also Silizium, Aluminium, Sauerstoff und Stickstoff. Und in diesem System gibt es verschiedene Mischverbindungen, Siliziumoxid, Aluminiumnitrit und Siliziumnitrit."

    Als feine Pulver werden diese Stoffe in eine Kupferkapsel gefüllt. Exakt zwei Zentimeter oberhalb des Kupferzylinders platzieren die Freiberger eine handtellergroße Stahlscheibe in einem Rohr, das mit dem hochexplosivem Plastiksprengstoff gefüllt ist. Das Rohr fokussiert die Druckwelle auf die Scheibe. Diese trifft die ganze Wucht der Detonation.

    "Die Flugplatte fliegt mit ungefähr 2000 bis 4000 Meter pro Sekunde. Und die trifft auf den Container auf, erzeugt eine Druckwelle im Material, wandelt dann unser Material, unsere Stoffe um."

    Für einige Mikrosekunden herrschen in der Probe Drücke wie im Erdinneren und Temperaturen von über 2000 Grad. Lösen die Forscher anschließend die verbeulte Kupferkapsel in Salpetersäure auf, finden sie in ihr immer noch ein Pulver.

    "Haben wir dann also so ein graues Pulver, wenn man Glück hat, wirds auch mal lila. Wir wissen nicht, warum es lila wird."

    Entscheidend sind die unsichtbaren Veränderungen im Inneren. Bei Aluminiumnitrit wird aus dem ursprünglich hexagonalen Kristallgitter eine kubisches, erklärt Kevin Keller.

    "Vereinfacht kann man sagen, das man also durch die hohen Drücke entsprechenden Druck auf das Kristallgitter ausüben und damit die Atome umordnen. Die Atome rücken ein Stück weiter zusammen und dadurch resultieren auch die verbesserten Eigenschaften wie zum Beispiel die Härte."

    Der extreme Druck zerstört die chemischen Bindungen und zwingt die Atome, sich anders zu verbinden. Im Falle des Aluminiumnitrits wird aus einer Bindung der Atomkerne, eine Bindung, die auf der elektrostatischen Anziehung der Ionen in der Elektronenhülle basiert, erklärt Gerhard Heide.

    "Das ist also die Wunderkiste, die Alchemie – will ich mal in Gänsefüßchen sagen -, das ist die Wunderkiste des Chemikers. Also wir überwinden mit der äußeren physikalischen Kraft, mit dem Druck, die inneren chemischen Kräfte, und zwingen die Atome, sich neu zu ordnen und neue Bindungen einzugehen."

    Neue Bindungen sorgen für neue Eigenschaften. Hart wie Diamant werden die Materialien auch in der Sprengkammer nicht. Aber sie sind hitzebeständiger als der Edelstein, spalten auch nicht so leicht ab. Das macht sie zu idealen Kandidaten für Bohrungen in hartem Gestein. Eine weitere Idee: Hightechlinsen werden heute mit einem Pulver aus Ceroxid poliert. Cer gehört zu den Seltenen Erden, deren Preis explodiert ist. Gerhard Heide hofft, aus seiner Untertage-Sprengkammer eines Tages eine Alternative ans Tageslicht zu fördern. Bis dahin wird es allerdings noch oft knallen.