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Spuren im Meer
Kulturelles Erbe unter Wasser

An der deutschen Küste sind immer wieder ganze Siedlungen in der See verschwunden. Laut Archäologen sei dies besonders günstig zum Forschen: Unter Wasser bleibe deutlich mehr erhalten als an Land. Sie fordern nun einen höheren Schutz der Fundstätten.

Von Tomma Schröder | 09.12.2019
Zu sehen sind Keramikfunde aus dem Rungholt-Watt im Nordsee-Museum in Husum. Die große Sturmflut von 1362 zerstörte die Siedlung und das Umland.
Etwa 1.000 Fundstellen wurden in deutschen Gewässern entdeckt (picture-alliance/ dpa / Horst Pfeiffer)
"Da hinten sind sieben Pfähle, die beieinander aus dem Ufer aufgetaucht sind, und da ist so eine Ecke, da ist so sehr festgelegt so eine Mistschicht, ob das nun ein Stall gewesen ist oder etwas in der Art. Und da ist auch gehäuft Knochen von Schlachtvieh."
Der Hobby-Archäologe Fritz Schröder watet mit seinen Gummistiefeln durchs Watt vor der niedersächsischen Küste. Bereits 2017 entdeckte er hier alte Pfähle, Brunnenreste, Keramiken, fand eine Holzflöte, Wagenräder und viele Tierknochen. All das sind Überreste einer Siedlung, die hier vermutlich vor gut 300 Jahren – bei der großen Weihnachtsflut – für immer im Meer verschwand. Im Zuge einer Renaturierung kamen diese kurzzeitig wieder zum Vorschein. Es ist nur eine von etwa 1.000 Fundstellen, die in deutschen Gewässern entdeckt wurden, sagt Hauke Jöns vom Niedersächsischen Institut für historische Küstenforschung in Wilhelmshaven. Neben solchen neuzeitlichen Funden wie die vor Langwarden gibt es auch noch sehr viel ältere Reste von Siedlungen, die durch den steigenden Meeresspiegel am Ende der letzten Eiszeit überschwemmt wurden:
"Und dann legen sich die Sedimente auf diese Fundstellen oder diese Siedlungen, die dann verlassen werden deshalb. Und wenn diese Sedimente das zudecken, dann haben wir da eine Konservierung, die dann Tausende von Jahren halten kann. Und das ist für uns Archäologen ein Geschenk."
Schutz von Unterwasser-Kulturerbe
Wenn man etwa eine 7.000 Jahre alte Fundstelle an Land habe, so finde man meist nur Steine, die von den Siedlungen übrig blieben, sagt Jöns. Unter Wasser bleibe deutlich mehr erhalten:
"Praktisch die Pflanzen, die die Menschen damals genutzt haben, Teile ihrer Kleidung, vielleicht sogar die Netze, die sie geknüpft haben. Insofern ist es für uns so wichtig, dass wir, um die Steinzeit besser zu verstehen, die gesamte materielle Kultur der damaligen Welt mit einbeziehen."
Und dennoch sei das kulturelle Erbe unter Wasser bisher kaum vor Eingriffen geschützt und fände nur wenig Beachtung, schreiben Archäologen und Juristen in einem Diskussionspapier der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina. Durch Fischerei, den Bau von Windparks, das Verlegen von Pipelines oder den Abbau von Sand und Kies zum Beispiel können archäologische Fundstätten unwiederbringlich zerstört werden. Die Autoren um Hauke Jöns fordern daher die Ratifizierung der UNESCO-Konvention zum Schutz des Unterwasser-Kulturerbes, die eigentlich bereits 2013 im Koalitionsvertrag von Union und SPD stand, und eine bessere Zusammenarbeit von Behörden, Industrie und Archäologie, zum Beispiel auch, wenn es um die Daten geht, die beim Bau von Windparks gewonnen werden:
"Dort finden natürlich umfangreiche Erkundungen statt, die im Vorfeld durchgeführt werden. Geophysikalische Untersuchung, geologische Untersuchungen. Und all diese Untersuchungen haben das Potenzial, auch Informationen über Kulturerbe zu entdecken – ganz nebenbei."
Denkmalschutz unter Wasser
Alte Flussläufe etwa könnten im Relief des Meeresbodens entdeckt werden, Erhebungen oder auch Artefakte. Derzeit ist aber es so, dass Archäologen keinen Zugang zu diesen Informationen der Firmen haben. Und geschützt werden müssen archäologische Fundstätten auch nur dann, wenn sie bereits in Denkmallisten eingetragen wurden. Die gibt es aber für das Meer schlichtweg nicht. Und so hoffen die Wissenschaftler, dass die Regeln denen an Land angepasst werden, wo der Schutz eines Denkmals nicht zwangsläufig von seiner vorherigen Eintragung in die amtliche Liste abhängig ist. Denn an der Küste mag es Laienforscher wie Fritz Schröder geben, die ein Auge auf die Spuren ihrer Vorfahren haben und helfen, sie zu bewahren und zu dokumentieren. Aber weit draußen, wo während der Eiszeit viele Gebiete besiedelt waren, wo Schiffswracks und ganze ertrunkene Landschaften liegen, bekommt es niemand mit, wenn archäologische Schätze einfach verschwinden.