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Spurensuche im ehemals "roten Sachsen"

Vor rund 100 Jahren nannte man Sachsen auch "Rotes Sachsen". Denn damals gab es in dem industriell stark entwickelten Land viele Tausende Arbeiter. Und die wählten besonders häufig die Sozialdemokraten. Die heutige Sachsen-SPD wird sich an die glorreichen Zeiten wohl mit Wehmut erinnern. Denn heute wird in Leipzig an die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins vor 150 Jahren erinnert. Der ADAV war ein Vorläufer der SPD, die aus dieser langen Geschichte auch Energie tankt, auch bei der SPD-Ortsgruppe im sächsischen Bischofswerda.

Von Liane Shutov | 23.05.2013
    Markttag im historischen Zentrum von Bischofswerda in der sächsischen Oberlausitz. Viel ist nicht los vor den schmucken, alten Häuschen, der Kirche und in den kleinen Gassen drum herum. Hier im historischen Stadtkern hat die SPD-Ortsgruppe Bischofswerda ihr Bürgerbüro. Gleich hinter der Haustür beginnt der Konferenzraum - überwacht von einem lebensgroßen Stefan Brangs aus Pappe, dem SPD-Landtagsabgeordneten der Region. Die Bischofswerdaer Ortsgruppe ist die zweitälteste in Deutschland, erklärt ihr Vorsitzender Ilko Keßler:

    "Sachsen war immer eine Hochburg der Sozialdemokratie und hatte viele Wahlerfolge gefeiert und erstaunlicherweise 1918 ja auch fast alle Reichstagsmandate hier in der Region geholt."

    Viele seiner Mitstreiter an der Bischofswerdaer Basis sind jung oder erst vor wenigen Jahren eingetreten, so wie Tilmann Schwenke oder Uta Strebe:

    "Ich bewundere die Sozialdemokraten, die sich vor 150 Jahren zu ihren Gedanken bekannt haben. Die wurden noch richtig verfolgt, gingen für ihre Überzeugung ins Gefängnis, in der Hinsicht bin ich schon auf die Geschichte der Sozialdemokratie stolz und das ist auch für mich Verpflichtung. Ich finde es bewundernswert und bemerkenswert, wie diese Partei sich entwickelt hat, es geht mir nach wie vor so, dass ich, wenn ich die Rede von Otto Wels höre, eine Gänsehaut bekomme. Es hat für mich auf jeden Fall Bedeutung."

    Der SPD-Reichstagsabgeordnete Otto Wels ist durch seine Rede gegen das NS-Ermächtigungsgesetz 1933 berühmt geworden. Nach dem Krieg 1946 kämpften viele an der SPD-Basis im Osten gegen die Vereinigung mit der KPD. Erfolglos. Wieder wurden Tausende Sozialdemokraten verhaftet oder flohen in den Westen. Doch die SPD-Politik spielte, wenn auch im Privaten, weiter eine Rolle, erinnert sich zum Beispiel Ernst Wirth:

    "In meinem Elternhaus, wir hatten eigentlich immer sozialdemokratische Diskussionen. Also, wenn es möglich war, im Radio Reden von Brandt oder Schmidt zu hören, dann haben wir das natürlich gemacht."

    Mit der Wende kam die Neugründung der SPD in Sachsen. Bei der ersten Landtagswahl 1990 trat Anke Fuchs als SPD-Spitzenkandidatin an. In Sachsen weitestgehend unbekannt holte die ehemalige Bundesministerin 19 Prozent. Das bisher beste Ergebnis. Für Anke Fuchs damals jedoch niederschmetternd, wie sie rückblickend bekennt in einem Interview mit der "Zeit". Wenige Tage nach der Wahl verließ sie Sachsen wieder. Das hat der Glaubwürdigkeit der SPD nicht gerade geholfen. Es folgten Rivalitäten innerhalb der Partei. Nach der Großen Koalition und einem weiteren Wahlergebnis um die 10 Prozent trat der abgewählte Wirtschaftsminister Thomas Jurk auch von seinem Amt als SPD-Landesvorsitzender zurück. Die einst so stolze Partei brachte es nur noch auf halb so viele Stimmen wie die Linke. Mittlerweile interessierten sich die Leute vor Ort kaum noch für Politik, meinen Uta Strebe und ihre 15-jährige Tochter Hannah, die Juso-Mitglied ist.

    "Also, bei meinen Mitschülern ist es eigentlich so, dass Politik überhaupt keine Rolle spielt, dass es eigentlich auch egal ist, in welcher Partei man überhaupt ist, dass man sich für Politik interessiert, schon dafür ist kein Verständnis da. Man wird eben sehr schnell als Spießerin bezeichnet. Darin sehe ich auch ein großes Problem für uns. Leider spielt auch die Presse eine ungünstige Rolle, weil oftmals parteipolitisches Engagement nivelliert wird. Also es wird nicht davon berichtet oder wenn, dann wird es unpolitisch oder nicht der Partei zugeordnet berichtet."

    Das sei schon frustrierend. Denn für Überzeugungsarbeit und Werbung bleibe dann nur das persönliche Gespräch. Dabei kommen viele ins SPD-Bürgerbüro, die unzufrieden sind mit der aktuellen CDU-FDP-Landespolitik, sagt zum Beispiel die Leiterin des SPD-Bürgerbüros Katharina Jehring:

    "Wer ist dafür verantwortlich, dass hier der Bus nicht mehr fährt, dass Behördenstandorte geschlossen werden, warum ist der Betreuungsschlüssel in den Kindertagesstätten so schlecht, warum müssen wir für die Bildung unserer Kinder teilweise so viel bezahlen. Unsere Aufgabe ist es, denke ich, dass wir die Bürger informieren. Trotzdem gelingt nicht immer den Leuten das wirklich begreiflich zu machen, dass das Entscheidungen sind, die sie selbst mit ihrer Wahl getroffen haben."

    Und so ringt die sächsische SPD im 150. Jahr ihres Bestehens wieder um ein eigenes und klares Profil, für das sich die Leute interessieren und das sie schlussendlich auch wählen. Ein Profil, mit dem die Sozialdemokratie erfolgreich ist - wie in ihren Anfängen in Sachsen.