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Spurensuche im Vogelkot

Umwelt. - Die Folgen des Insektizids DDT für Greifvögel ist ein Klassiker der Umweltforschung. Die Tiere legten Eier mit brüchigerer Schale und erdrückten beim Brüten viele ihrer Nachkommen. Für andere Wirbeltiere war allerdings nichts ähnliches bekannt. Jetzt allerdings wurde ein entsprechende Wirkungskette per Zufall für eine nordamerikanische Schwalbenart aufgedeckt.

Von Lucian Haas | 24.05.2012
    Es gibt Zufallsfunde, die sich als wahre Schatzgrube für die Wissenschaft erweisen können. Ein Haufen Vogelkot zum Beispiel, auch Guano genannt. Zwei Meter hoch türmt er sich am Boden des 80 Jahre alten Schornsteins eines stillgelegten Heizwerks der Queens University im kanadischen Kingston. Jahrzehntelang haben Schwärme von Schornsteinseglern den Schornstein regelmäßig als nächtlichen Ruheplatz aufgesucht. Bei Tausenden von Vögeln kommt so mit der Zeit eine Menge Guano an einem Ort zusammen. Aufgefallen ist das erst, als Vogelkundler auf der Suche nach Schornsteinseglern die verrostete Revisionsklappe des Schornsteins aufstemmten.

    "Erst dachte ich, dass wir nicht viel damit anfangen können. Aber bei genauerer Analyse wurde deutlich, dass wir daraus Daten aus rund 50 Jahren gewinnen könnten. Der Guano-Haufen ist jedes Jahr um etwa zwei Zentimeter gewachsen. Wir konnten diese Schichten datieren und erkennen, was die Vögel gefressen hatten."

    Joseph Nocera ist Biologe an der Trent University in Peterborough in Kanada. Er erforscht die Lebensumstände bedrohter Tierarten. Die schwalbenähnlichen Schornsteinsegler Nordamerikas gehören heute dazu. In den vergangenen Jahrzehnten sind ihre Schwärme immer kleiner und seltener geworden. Warum das so ist, galt bisher als Rätsel. Auf der Suche nach Indizien, zwängte sich Joseph Nocera in den vollgeschissenen Schornstein.

    "Der Schornstein ist vier Stockwerke hoch und hat einen inneren Durchmesser von 1,20 Meter. Im Schornstein ist es trocken, warm und sehr staubig. Der Guano-Haufen ist größer als ich selbst. Erstaunlicherweise stinkt der Guano nicht. Es riecht nur ein bisschen muffig, aber nicht allzu schlimm."

    Der Forscher und Kollegen untersuchten den Guano-Haufen mit den gleichen Methoden wie Sedimentproben aus einem See. In Schritten von zwei Zentimetern datierten sie anhand radioaktiver Spurenelemente das Alter der Kotablagerungen. Daneben bestimmten sie die Gehalte von 24 Chemikalien, darunter das Pestizid DDT. Zudem analysierten sie die Reste unverdaulicher Insektenpanzer im Kot – als Hinweise auf die Ernährung der Schornsteinsegler. Dabei stieß Joseph Nocera auf eine Überraschung.

    "In den 1940er Jahren fraßen die Schornsteinsegler hauptsächlich Käfer. Bis zu 70 Prozent ihrer Ernährung waren Käfer. Doch wenig später, innerhalb eines Jahrzehnts, kamen die Käfer nur noch auf 35 Prozent, also halb so viel. Im Gegenzug stieg der Anteil von Wanzen und Zikaden, die eine weniger proteinreiche Nahrung darstellen, von 20 auf 60 Prozent. Diese Verdreifachung korrelliert mit dem Einsatz von DDT."

    Seit den 1940er-Jahren versprühten Landwirte in ganz Nordamerika DDT als Insektizid gegen Schädlinge. In den 1970er-Jahren wurde das verboten, weil sich DDT als schwer abbaubares Dauergift erwiesen hatte. Heute weiß man, dass Käfer besonders empfindlich auf DDT reagieren, während Wanzen und Zikaden schneller Resistenzen entwickeln. Der Guano-Haufen liefert historische Einblicke, wie die Vögel gezwungen waren, ihre Ernährungsweise anzupassen. Auch wenn DDT auf die Vögel selbst nicht giftig wirkte, so hat der Pestizideinsatz ihnen dennoch das Überleben schwer gemacht.

    "Käfer sind im Allgemeinen größer. Nimmt man den Aufwand, den ein Schornsteinsegler betreiben muss, um einen zu fangen, ist ein Käfer soviel wert wie zehn Wanzen. Außerdem haben Käfer einen höheren Energiegehalt pro Gramm als andere Insekten. So ergeben sich zwei Vorteile: Die Vögel verbrauchen erst weniger Energie um einen Käfer zu fangen, und dann können sie noch mehr Energie daraus ziehen."

    Seit den 80er Jahren haben sich die Käferpopulationen wieder etwas erholt. Die Mengen wie vor dem Einsatz des DDT haben sie allerdings bis heute nicht wieder erreicht. Joseph Nocera glaubt, dass dieses Erbe des DDT den Schornsteinseglern das Leben bis heute schwer macht. Um diese Theorie zu erhärten, will er nun weitere historische Vogelkothaufen analysieren. In seinem Labor lagern schon etliche Proben aus Schornsteinen von anderen Orten Kanadas und den USA.