Freitag, 19. April 2024

Archiv


Spurensuche nach Hitlers Bombe

Physik. - Mit Spekulationen über eine Atomwaffe des Dritten Reiches sorgte der Historiker Rainer Karlsch für Aufsehen. Seiner Meinung nach soll kurz vor Kriegsende auf einem Truppenübungsplatz in Thüringen eine Uranbombe gezündet worden sein. Messungen sollen bald mehr Klarheit bringen.

Von Björn Schwentker | 13.06.2005
    Die trockenen Erdbröckchen, die Dirk Arnold da so leicht zwischen den Maschen seines Siebs umher springen lässt, könnten großes historisches Gewicht haben. So zumindest die Hoffnung. Sie stammen vom Truppenübungsplatz Ohrdruf in Thüringen. Dort hätten deutsche Physiker kurz vor Kriegsende eine atomare Waffe gezündet, behauptete kürzlich der Historiker Rainer Karlsch. Eine brisante These, die auch das ZDF interessiert. In dessen Auftrag sucht Dirk Arnold im Boden aus Ohrdruf radioaktive Spuren dieser angeblichen atomaren Explosion. Für den Physiker ist das ein alltäglicher Job. Schließlich setzt sein radiochemisches Labor in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig die deutschen Standards für Umweltradioanalysen.
    "Nichtsdestotrotz ist es natürlich eine interessante Fragestellung, ob es erstens gelingt, kleine Aktivitäten von einer sehr alten Explosion noch finden zu können, und zweitens natürlich das historische Interesse: hat es dort tatsächlich eine Testexplosion gegeben?. "

    Um das zu klären, wird die Thüringische Bodenprobe getrocknet, fein gesiebt und kommt schließlich in Strahlungs-Detektoren. Das sind bullige Würfel mit einem Meter Kantenlänge, gemauert aus schweren Blei-Backsteinen. Sie stehen im Keller der PTB auf massiven Ständern.

    "Wenn wir diese beiden Teile auseinander fahren, öffnet sich ein Deckel, zwanzig Zentimeter dick, darin befindet sich eine innere Kupferabschirmung und dort drin letztendlich eine Probe."

    Und ein Zähler für radioaktive Zerfälle. Konkret entweder für so genannte Gamma- oder für Alpha-Strahlen. Das Mess-Ergebnis ist ein "Energie-Spektrum": Ein Bild mit lauter geraden Linien in verschiedenen Abständen, entsprechend der Energie der Strahlung. Jedes Element hat eine ganz bestimmte Kombination dieser Linien. So lässt es sich im Spektrum – und damit im Boden finden. Theoretisch zumindest.

    "In dieser Bodenprobe zum Beispiel habe ich an die 80 Linien identifiziert, von denen sicher 75 bis 80 aus natürlichen Quellen heraus stammen. Und jetzt ist die Frage, ob ich neben diesen natürlichen radioaktiven Substanzen auch noch die einzelnen Linien von künstlichen radioaktiven Stoffen finde."

    Besonders gründlich suchen die PTB-Forscher nach Uran. Ein Kernreaktor oder eine Bombe braucht das spaltbare Uran-Isotop 235. In der Natur kommt es nur in kleinsten Spuren vor – im Gegensatz zu Uran-238, das drei Neutronen mehr hat und 99 Prozent des Naturvorkommens ausmacht. Aber nur das seltene Uran-235 ist kernwaffenfähig. Für eine Bombe hätte man es daher in großen Mengen anhäufen müssen. Doch dazu waren die Deutschen zu Kriegszeiten technisch nicht fähig. Zumindest glaubte man das bisher.

    "Auffällig wäre, wenn ich in der Probe eine Anreicherung von Uran-235 im Vergleich zu 238 finden würde, weil dieses Isotopenverhältnis sehr charakteristisch wäre, ob eben mit einer Uranbombe experimentiert worden wäre."

    Messergebnisse hat Dirk Arnold bisher allerdings noch nicht. Aber der Physiker ist skeptisch, ob er überhaupt etwas Brauchbares finden kann. Denn keiner weiß so genau, wo vor 60 Jahren in Ohrdruf eine Explosion stattgefunden haben könnte – und wo man also Proben nehmen sollte.

    "Das bedeutet, dass mir dann – ich spekulier mal – vielleicht in einem Abstand von einem Kilometer oder zwei Kilometern vom Explosionsort so wenig von dieser Explosion übrig geblieben ist, dass ich dann keine Chance mehr habe, das in einer Bodenprobe zu messen. "

    An welcher Ecke des Truppenübungsplatzes Dirk Arnolds Stück Boden ausgegraben wurde, weiß er selbst nicht. Von seinem Auftraggeber bekam er nur einen Beutel mit Erde und einer Nummer drauf. Für einen historischen Beweis dürfte das kaum reichen.