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Spurensuche

Israel feierte vergangenes Jahr den 60. Jahrestag der Staatsgründung. Dieses Jahr steht in Deutschland der 60. Geburtstag der Bundesrepublik an. Diese Jubiläen hat das Choreographen-Duo Guy Weizman und Roni Haver als Anlass für das Projekt "60 Years" genommen. Die Israelis arabischer Abstammung machen sich dabei mit Schauspielern und Tänzern auf die Suche nach identitäts- und konfliktstiftenden Momenten im Verhältnis Deutschland-Israel.

Von Dorothea Marcus | 25.01.2009
    Angela Merkel ist schwarz. Im rückenfreien Glitzerkleid und weißem Pelz ist die Schauspielerin Anja Herden die erste deutsche Kanzlerin, die vor der Knesset sprechen darf.

    Einerseits macht man sich offenbar lustig über Merkel und ihr routiniertes, formelhaftes Bekenntnis: Über die devote Demutshaltung, die ewige Bestätigung der kollektiven Schuld, die Deutsche reflexartig abrufbar haben und die Politiker meist davor zurückhält, selbst den brutalsten israelischen Angriffskrieg klar zu kritisieren. So eine Parodie der deutschen Zwangszerknirschung hätte sich ein deutscher Regisseur wohl nicht so ohne weiteres erlauben dürfen.

    Andererseits bietet Anja Herden auch ein Mitleid erregendes und selbstzerquältes Bild, wird Merkels Rede im Programmheft von den mitwirkenden deutschen Schauspielern ehrfürchtig zitiert und die deutsche Kollektivschuld einvernehmlich und ernsthaft bestätigt, weil sie "vorsichtiger, wacher, aufmerksamer macht". Aber was bedeutet heute für knapp über 30jährige Menschen noch das Wort "Kollektivschuld", ist sie nicht vielmehr ein künstlich in der Schule eingehämmertes Konstrukt? Und doch weiß selbst der israelische Choreograf Guy Weizmann mit seinen marokkanischen Wurzeln und aktuellem Wohnsitz in Holland, wie sich Kollektivschuld anfühlt, wenn er an Israels Krieg im Gazastreifen denkt.
    Ich fühle Scham, weil wir aus dem Konflikt nicht herauskommen, ohne einander zu verletzen. Ich fühle mich beschämt und schuldig, weil ich einer bin, aber ich schäme mich für die Palästinenser - und ich fühle mich zutiefst frustriert. Ich denke ich fühle Scham für das was passiert aber nicht nur was zwischen Israelis und Palästinensern, sondern auch an vielen anderen Stellen - ich fühle eine kollektive Schuld für das was überall passiert. Und ich denke heute die Welt ist so groß wie Deutschland war während des 2. Weltkriegs. Und wir haben die Macht es zu stoppen und wir tun es nicht.
    Nur die schwarze Schauspielerin Anja Herden fühlt keine Kollektivschuld oder Scham, sagt sie auf der Bühne. Ist sie also keine echte Deutsche, obwohl sie in Bielefeld geboren und aufgewachsen ist? Ist das Schuldgefühl gegenüber Israel das einzig zuverlässige deutsche Integrationskriterium? Mehr wert als alle Fragen des BRD-Integrationstests zusammen? Smart rattert ein Moderator die mit den größten realsatirischen und ausländerfeindlichen Potentialen herunter - aber mehr als eine lustige Kabarettnummer ist es nicht. Neben dem Holocaust ist die Einwanderung heute vermutlich eines der größten Themen, die Deutschland und Israel an entgegengesetzten Polen zusammenschmieden - in Deutschland eher Störfaktor, in Israel staatliche Notwendigkeit. Genau wie bekanntlich der Militärdienst. Die Tänzer der scheidenden Kölner Tanzkompanie Pretty Ugly exerzieren zwischen fahrbaren grauen Blöcken zu cooler Musik zackig israelischen Militärdrill, robben, rollen, tasten sich nach Waffen ab - so schön kann Armee wohl nur bei einem Israeli sein.

    Es ist ein Abend der der subjektiven, gewollt provokativen und verwirrenden und möglichst schwergewichtigen Assoziationsbrocken, deren Perspektive und Qualität ständig wechselt und keinen Zusammenhang ergibt - und auch keine eindeutige Haltung einnimmt. Mal wird zu lieblichen Celloklängen eine Anleitung zum Völkermord in acht Schritten gegeben: klassifizieren, mit Symbol versehen, entmenschlichen, organisieren, polarisieren, organisieren, ausrotten ("dazu bitte jetzt keine Musik"), und schließlich: verleugnen. Da kann man heute als Deutscher schon wieder ohne weiteres drüber lachen, so entfernt scheint es.

    Mal wird ein großer Celantext zitiert, dann ein Kalauer wie "Gas geben" eingestreut. Dann gibt es die banale Reisebeschreibung einer deutschen Gruppe darüber, dass orthodoxe Juden am Sabbat keine Fahrstuhlknöpfe drücken. Immer aber ist an diesem Abend der Wille zum politisch Unkorrekten erkennbar: Fünf nackt Männer halten abwechselnd Israel- und Deutschlandflaggen vor ihre Geschlechtsteile. Aber soll das heißen, das letztlich jede Nationalität prekäre Behauptung und willkürliche Verkleidung ist? Der Abend will doch eigentlich das Gegenteil beweisen? Oder ist es ein plattes Bild dafür, dass wir eben alle in Wirklichkeit doch nur ähnliche nackte Wesen sind? Am Ende werden Worte herabgefahren, die willkürlich kombinierbar sind: "Ist Heimat ein Albtraum von gestern?" oder "Scham macht sexy". Irgendwie vibriert alles vor Zusammenhang, aber ergibt letztlich doch keinen Sinn. Formal ist "60 years" zwar bemerkenswert gelungen: beeindruckend, wie die Schauspieler tanzen und die Tänzer sprechen können. Schade nur, dass die Inhalte von wochenlangen Diskussionen auf der Bühne letztlich doch nur zu einem seichten Häppchenwerk werden.