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Srebrenica - das Trauma der Niederländer

"Warum haben wir nicht gekämpft?", das ist die Frage, die einigen der UN-Blauhelmsoldaten noch immer durch den Kopf geht, wenn sie an das Massaker von Srebrenica denken. Schuldgefühle plagen sie, denn im Bosnienkrieg mussten sie tatenlos zusehen, wie Männern, Frauen und Kinder getötet wurden. Birgit Augustin berichtet.

10.09.2008
    Die mörderischen Ereignisse liegen mehr als 13 Jahre zurück, doch Srebrenica ist für Henry van den Belt nach wie vor eine offene Wunde.
    " Ich habe die Deportationen der Menschen gesehen, die ethnischen Säuberungen. Was mir am meisten zu schaffen macht, ist die Ohnmacht. Die Ohnmacht, als UN-Blauhelm, dass man etwas tun möchte. Aber einem durch alle möglichen Regeln die Hände gebunden sind und dass man nur zuschauen darf, wahrnehmen und melden, was passiert. Diese Ohnmacht ist die schlimmste Erfahrung, die ich je gemacht habe."

    Henry van de Belt gehörte zu einem Kontingent von holländischen UN-Blauhelm-Soldaten, die die muslimische Enklave Srebrenica schützen sollten. Als Friedensmission, allein durch ihre Präsenz. Doch die Serben nahmen Srebrenica mit Waffengewalt - und die Holländer, selbst geschwächt und zahlenmäßig dezimiert, sahen tatenlos zu.

    " Unser Lager war total überfüllt mit Flüchtlingen. Wenn die Entscheidung getroffen worden wäre zu kämpfen, dann wäre es für die Serben ein leichtes gewesen, uns alle zu töten. Dann hätte es noch viel mehr Opfer gegeben, noch mehr, als jetzt schon umgekommen sind. "

    Nachdem sie die Stadt eingenommen hatten, sortierten die Serben unter Führung von Ratko Mladic die bosnischen Muslime aus: Frauen, Kinder und Alte einerseits, Männer und Jungen andererseits. Einige der holländischen Blauhelm saßen mit in den Bussen, die die Frauen wegbrachten - machtlos.

    " Wir hatten da schon keine Waffen mehr. Trotzdem haben wir versucht, die Menschen dort noch so zu beschützen, wie es irgendwie ging. Aber auf der Hälfte der Strecke wurden unsere Jungs aus den Bussen rausgeworfen, sie mussten zum Camp zurücklaufen. Links und rechts der Straße wurden die hübscheren Frauen zwischen 14 und 30 rausgeholt. Die wurden dann seitlich in den Wald gezogen und den Rest kann man nur erahnen."

    Johan de Jonge war damals gerade 20, Srebrenica sein erster Auslandseinsatz als Berufssoldat. Wie seine Kameraden war er nicht wirklich vorbereitet auf das, was ihn auf dem Balkan erwarten sollte.

    " Wir haben auch nicht geahnt, dass so etwas passieren würde, weil so etwas erwartet man nicht. Es ist zwar Krieg und sie erobern die Enklave - aber das erwartet man nicht."

    8.000 Menschen fielen den Serben in den ersten Juliwochen des Jahres 1995 zum Opfer. Generalstabsmäßig exekutiert und in Massengräbern verscharrt. Die Hinterbliebenen der Opfer werfen den UNO-Truppen vor, sie hätten dem serbischen Morden tatenlos zugesehen und forderten nun in einem Zivilprozess vor dem Landgericht in Den Haag eine finanzielle Entschädigung für das erlittene Leid. .

    Obwohl die ehemaligen Dutchbatter für viele Bosnier noch immer ein rotes Tuch sind, haben sich Henry van de Belt und Johan de Jonge dieses Jahr auf den Weg nach Bosnien gemacht und sind beim Friedensmarsch von Tuzla nach Srebrenica mitgelaufen. Auf Einladung des Bürgermeisters, als Geste der Versöhnung. Die Reaktionen darauf waren nicht nur positiv.

    " Sie dürfen mich hassen. Sie wissen es nicht besser. Denn es hat ja noch kein General gesagt: Ich bin verantwortlich, ich habe die Entscheidung getroffen. Es sind die Soldaten und Mannschaften, die zurückgehen, keine Offiziere oder Generäle, sondern die Männer."

    Mit der Auslieferung von Serbenführer Karadzic an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ist ein wichtiger Schritt getan, finden Johan de Jonge und Henry van Belt. Damit Serbien in die EU aufgenommen werden kann, fehlt allerdings noch der Mann, der das Massaker von Srebrenica als General vollstreckt hat: Ratko Mladic.