Igor Strawinskys "Symphony in Three Movements"

Klangszenen des Krieges

In der Partitur ist alles enthalten: Igor Strawinsky misstraute dem Begriff der Interpretation und wollte als Dirigent zeigen, wie seine Musik zu klingen habe
In der Partitur ist alles enthalten: Igor Strawinsky misstraute dem Begriff der Interpretation und wollte als Dirigent zeigen, wie seine Musik zu klingen habe © imago images / ITAR-TASS
Gast: Frank Schneider, Musikwissenschaftler; Moderation: Michael Dasche · 28.03.2021
Wenn es um Igor Strawinsky geht, ist meistens von seinen Ballettmusiken die Rede, besonders vom "Sacre du printemps". Doch er schrieb auch Sinfonien, darunter die "Symphony in Three Movements" als vielschichtiges Zeugnis der 1940er Jahre.
Was ist das Sinfonische an Igor Strawinskys "Symphony in Three Movements"? Und darf man von einem Komponisten, der zu jeder Form von "Weltanschauungssinfonik" deutliche Distanz hielt, einen namhaften Beitrag zu dieser Gattung erwarten?
Diese Fragen stehen im Raum bei der Beschäftigung mit dem zwischen 1942 und 1945 für die New Yorker Philharmoniker entstandenen Orchesterwerk.

Hier geht es zur Playlist der Sendung.

Lange war sich Strawinsky über Form und Gattungstitel der Komposition im Unklaren, und er erwog zunächst die Bezeichnungen "Symphonic Movements" oder "Concerto for Orchestra". Mit der Entscheidung, das Werk schließlich doch als Sinfonie zu bezeichnen, dürfte er den Wünschen seiner Auftraggeber gefolgt sein.
Sie versprachen sich eine Musik mit emphatischer Gestik, die im Zeichen des Krieges, vor allem des absehbaren Sieges Amerikas und seiner Verbündeten über die deutschen und japanischen Aggressoren stehen würde. Kurz vor Annahme der US-Staatsbürgerschaft bewies Strawinsky – indem er sich diesem Ansinnen öffnete – seine Art von Patriotismus.

Konzert und Sinfonie

Schon geraume Zeit vor ihrer Bestimmung zur "War Symphony" bzw. "Victory Symphony" (so wurde sie vom Komponisten selbst genannt) hatte Strawinsky ein Werk in Angriff genommen, das viel von der Unruhe und den Spannungen der Zeit in sich trug. Nur sollte daraus ein Klavierkonzert werden. Dieser Ansatz musste – zumal im ersten Satz – nicht gänzlich verworfen werden, ließen sich doch die solistisch-konzertanten Elemente mit den sinfonisch-kompakten problemlos zusammenfügen.
Er lebte in Hollywood, schrieb aber nicht für Hollywood: Verworfene Ideen für eine Musik zur Verfilmung von Franz Werfels "Lied von Bernadette" verwendete Strawinsky in seiner Sinfonie
Er lebte in Hollywood, schrieb aber nicht für Hollywood: Verworfene Ideen für eine Musik zur Verfilmung von Franz Werfels „Lied von Bernadette“ verwendete Strawinsky in seiner Sinfonie© imago images / United Archives International
Auf Rückgriffen anderer Art gründet der zweite Satz, ein Andante teils elegant tänzerischen, teils meditativen Charakters. In subtilen Dialogen mit einzelnen Instrumenten des Orchesters, vor allem den Flöten, tritt hier die Harfe solistisch auf. Ursprünglich war diese zarte Musik für eine Lichtspielszene gedacht: für die Verfilmung von Franz Werfels Roman "Das Lied von Bernadette".
Das Projekt ist – wie alle anderen Versuche Hollywoods, mit Strawinsky ins Geschäft zu kommen – aus finanziellen Gründen gescheitert. Als Kontrastfeld zwischen den martialischen Ecksätzen, in denen sich die Urkräfte von Strawinskys früher Ballettmusik "Le sacre du printemps" regen, erfüllt der "apollinische" Mittelsatz indes eine wohlkalkulierte sinfonisch-zyklische Funktion.

Wochenschau und Partitur

Genialer Einfall: Die vordem getrennt auftretenden Soloinstrumente bilden im Finale ein herausgehobenes Duo, was den zyklischen Zusammenhalt der drei Sätze ebenfalls betont. Speziell diesem Satz hat Strawinsky eine – für ihn höchst ungewöhnliche – verbale "Erklärung" beigefügt.
"Das Finale", so der Kommentar des Komponisten, "enthält sogar die Entwicklung eines Kriegsthemas, obwohl ich es als solches erst nach Beendigung der Komposition erkannt habe. Der Beginn des Satzes ist auf unerklärliche Weise zum Teil eine musikalische Reaktion auf die Wochenschaubilder und Dokumentarfilme, die ich von im Stechschritt marschierenden Soldaten gesehen habe. Der zackige Marschrhythmus, die Instrumentierung für Blechbläser, das groteske Crescendo in der Tuba – all das ist mit diesen abstoßenden Bildern verbunden."
Mit dieser Musik von Anfang an vertraut: Der britische Dirigent und Komponist Sir Eugene Goossens (1893-1962) hinterließ eine hervorragende Aufnahme von Strawinskys Sinfonie
Mit dieser Musik von Anfang an vertraut: Der britische Dirigent und Komponist Sir Eugene Goossens (1893-1962) hinterließ eine hervorragende Aufnahme von Strawinskys Sinfonie© imago images / United Archives International
Solche Äußerungen bedeuten nicht, dass Strawinsky seine ästhetische Doktrin aufgeben hätte. Und die besagen eben, dass Musik "nichts als Ordnung zwischen den Dingen" sei – eine Auffassung, für die man auch in der "Symphony" viele Anhaltspunkte findet. Ob Wiedergaben des Werks von "programmatischen" Fingerzeigen inspiriert sind oder von der formalen Stringenz dieser Musik, lässt sich kaum unterscheiden. Zumal Strawinsky von "Interpretationen" nichts hielt, für sie in seiner Partitur nur wenige Spielräume ließ.
Strawinskys eigene Einspielung mit dem Columbia Symphony Orchestra von 1961 macht denn auch deutlich, worauf es ihm primär ankam: auf rhythmische Präzision, klangliche Transparenz und dynamische Kontrastschärfe. Unter den Aufnahmen unserer Sendung gibt es keine, die diesen Maßgaben nicht folgt.
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