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"St. Olavsweg"
Pilgern auf Norwegisch

Pilgern boomt. Doch während sich auf dem Jakobsweg in Spanien die Pilger fast schon auf die Füße treten, geht es auf dem norwegischen Pendant einsam zu: Auf dem Olavsweg von Oslo nach Trondheim pilgern jährlich nicht mehr als 2.000 Menschen. Die meisten kommen aus Deutschland.

Von Christian Röther | 01.10.2019
Diese Pilgermuschel vom spanischen Jakobsweg ist nun in Norwegen unterwegs
In Norwegen unterwegs: eine Pilgermuschel vom spanischen Jakobsweg (Deutschlandradio / Christian Röther)
Auf diesem Pfad hat man sich beim Pilgern wohl schon vor 1000 Jahren nasse Füße geholt. Der wacklige Steg war damals noch nicht da, über eine matschige Mischung aus Wiese und Wasser. Und die Wegmarkierungen gab es auch noch nicht: kunstvolle Kreuze, meistens in Rot auf Hölzern oder auf Steinen. Hier auf dem Olavsweg, zwischen verwitterten Felsen und dürren Birken, hier trifft man mehr Schafe als Menschen.
"Es ist ziemlich lustig, wenn man in einer Hütte so sitzt, und dann hört man überall das Bimmeln. Und dann denkt man so: Ah, man hat wieder Gesellschaft. Da redet man wieder mit den Schafen, weil man sonst keinen Gesprächspartner hat, wenn‘s dumm läuft. Aber die freuen sich auch immer und schauen immer sehr interessiert."
Tine ist seit drei Wochen unterwegs. Sie ist 27 Jahre alt, kommt aus München und will den kompletten Olavsweg laufen: von Oslo bis nach Trondheim, fast 650 Kilometer. Gut zwei Drittel hat sie schon geschafft.
"Schicksal oder göttliche Fügung"
Als wir sie treffen, steht noch Sommer auf dem Kalender, aber auf den Gipfeln ringsum liegt schon der erste Schnee. Bei regnerischen 5 Grad wärmt sich Tine in einer Hütte auf.
Tine: "Auf dem Pilgerweg hat man ja doch ziemlich viele Erfahrungen, die man unter dem Thema Schicksal oder göttliche Fügung oder was weiß ich, wie man das nennen kann – weil manchmal stehe ich auf und denke mir so: Ja, ich brauche jetzt grade irgendwas. Wäre schön, wenn ich das irgendwie finde. Oder ich hab nicht genug Geld, und ich bräuchte doch irgendwie mal ein Bettchen. Und dann irgendwie fügt sich doch alles so, dass es passt und dass man doch irgendwie weiterkommt."
Tine aus München ist unterwegs von Oslo nach Trondheim
Tine aus München ist unterwegs von Oslo nach Trondheim (Deutschlandradio / Christian Röther)
Ein wärmerer Schlafsack hat so schon den Weg in Tines Rucksack gefunden. Den braucht sie, denn sie zeltet meistens. Der Rucksack ist halb so groß wie sie selbst. Außen dran baumelt eine Pilgermuschel. Die hat sie mitgebracht vom Jakobsweg in Spanien.
"Also ich muss sagen, ich bin nicht sehr religiös, und auf den Pilgerwegen gehe ich eigentlich schon gerne in Kirchen und schaue mir die auch an. Meine Eltern haben das früher gemacht und ich dachte mir, boah, ist das langweilig. Aber jetzt mache ich es irgendwie selber gerne."
"Glauben und persönliche Probleme"
Pilger-Geschichten wie diese hört Hans-Jacob Dahl oft. In dem kleinen Bergdorf Hjerkinn leitet er eines der Pilgerzentren am Olavsweg. Aus dem Fenster seines Büros schaut es runter ins Tal, durch das sich der Pilgerweg schlängelt.
"Ich glaube, wenn du dich entscheidest, einen alten Pilgerweg zu laufen, dann ist da etwas in dir. Nur was das genau ist, ist schwer zu sagen. Wenn ich die Pilger frage, dann sagen sie meistens etwas über die interessante Natur und solche Sachen. Aber es gibt noch andere, tieferliegende Gründe: Es geht um den eigenen Glauben oder um persönliche Probleme. Das beobachte ich bei den meisten Pilgern."
Hans-Jacob Dahl, Theologe und Leiter des Pilgerzentrums in Hjerkinn
Hans-Jacob Dahl, Theologe und Leiter des Pilgerzentrums in Hjerkinn (Deutschlandradio / Christian Röther)
Hans-Jacob Dahl selbst ist eine Art Pilger-Pionier des modernen Olavswegs. Er war hier schon unterwegs, bevor Pilgern wieder zu einem internationalen Trend wurde:
"Vor 30 Jahren bin ich als Pastor hierhergekommen und habe angefangen, Pilgertouren zu organisieren. So bin ich gewissermaßen in diesen Pilgerweg hineingewachsen. Heute arbeite ich nicht mehr für die Kirche, sondern für den Staat. Ich bin verantwortlich für die letzten 300 Kilometer des Pilgerwegs: für die Unterkünfte, die Markierungen und solche Sachen."
"Katholiken interessieren sich mehr für den Heiligen Olav"
Zu den Aufgaben von Hans-Jacob Dahl gehört es auch, die Pilger zu zählen. Das ist natürlich nicht ganz einfach, denn nicht alle tragen sich ins Pilgerbuch ein am Ende des Weges, im Nidarosdom in Trondheim.
1500 bis 2000 Pilger sind hier in diesem Jahr unterwegs, schätzt Dahl. Und jedes Jahr werden es mehr. Die meisten kommen aus Deutschland, ungefähr ein Drittel – und damit sogar etwas mehr als aus Norwegen selbst. Aus der halben Welt zieht es Menschen auf den Olavsweg: von den USA bis nach Australien.
Aber nicht alle Pilger begeistern sich für die Geschichte des Namensgebers, des norwegischen Königs Olav II. Haraldsson, sagt Dahl:
"Die Katholiken interessieren sich mehr für den Heiligen Olav als die protestantischen Pilger. Aber für die Norweger ist er auch unabhängig von der Religion wichtig. Denn er brachte nicht nur das Christentum nach Norwegen, sondern vereinigte auch das Land. In Olavs Geschichte geht es also auch darum, was uns ausmacht als Land und als Nation."
Aus "Olav der Dicke" wurde "Olav der Heilige"
Olav II. lebte vor 1000 Jahren. Erst nannten sie ihn "Olav der Dicke", nach seinem Tod dann "Olav der Heilige". Er war in Frankreich zum Christentum konvertiert, wurde dann zum gesamtnorwegischen König gewählt und machte es sich zur Lebensaufgabe, Norwegen zu christianisieren, oft mit Gewalt.
Deshalb soll Olav zu Lebzeiten nicht sonderlich beliebt gewesen sein, und in einem Aufstand angeblich "heidnischer Bauern" wurde er getötet. Das steigerte allerdings seine Beliebtheit, und so begann die Legende des christlichen Märtyrers. Schon kurz nach seinem Tod sollen Menschen zum Grab nach Trondheim gepilgert sein. Eine Kirche wurde dort gebaut, später dann der Nidarosdom.
Und bald kamen Pilger aus halb Europa - bis das Pilgern in Norwegen verboten wurde, nach der Reformation. Der Protestantismus wollte ein für alle Mal Schluss machen mit der Heiligenverehrung. Pilgern drohte damals in Norwegen sogar die Todesstrafe.
Dahl: "Ja, es war verboten, die Pilger waren so aber nicht aufzuhalten. Also haben die Herrscher die Gebeine des Heiligen Olav genommen und an einem unbekannten Ort vergraben. Bis heute wissen wir nicht, wo sie sind."
Zum leeren Grab des Heiligen Olav
Heute gilt das Pilgerverbot natürlich nicht mehr. Und das Wetter ist auch wieder freundlicher geworden, also macht Tine aus München sich wieder auf den Weg. Über den Heiligen Olav denkt auch sie nicht allzu viel nach:
"Der Olav, richtig, den gibt‘s ja auch noch."
Trotzdem ist ihr Pilgerziel der Nidarosdom, wo einst Olavs Schrein stand:
"Ja natürlich. In Santiago war ich auch in der Kapelle. Ich hole mir auch den Pilgerbrief – oder, ich weiß nicht, wie das hier heißt. Olavsbrief, genau. Ja, den hole ich mir auf jeden Fall auch."
Noch zwei Wochen bis nach Trondheim, zum leeren Grab des Heiligen Olav.