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Staatliche Diskriminierung nein, Armut ja

Baden-Württemberg setzte die Abschiebung von Roma aus Deutschland in die junge Republik Kosovo im September aus. Ausschlaggebend war die Angst, dass Roma in der früheren jugoslawischen Provinz diskriminiert würden. Jetzt besuchte eine grün-rote Delegation die Menschen vor Ort, um sich ein Bild über die Lage zu machen.

Von Michael Brandt | 24.01.2012
    Antworten auf die Frage, ob die drei im Kosovo ansässigen Minderheiten Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter in dem jungen Land diskriminiert werden, gibt es viele. Zum Beispiel die der kosovarischen Ministerin für Integration, Flora Citaku:

    "Ich kann Ihnen garantieren, dass es keine Diskriminierung von Roma im Kosovo gibt. Unsere Verfassung unsre Gesetze und unser politischer Willen die Diskriminierung von Minderheiten verbieten."

    Eine ganz andere Antwort ist die von Verena Knaus von Unicef. Sie räumt zwar ein, dass sich seit ihrem letzten Bericht im Sommer 2010 viel zum Besseren verändert hat, aber Diskriminierung von abgeschobenen Roma gibt es für sie noch immer:

    "Aus Sicht der Kinder oder der schon abgeschobenen Personen hat sich leider nicht viel positiv verändert."

    Einerseits hat die Regierung Hilfsprogramme aufgestellt und Geld zur Verfügung gestellt um Diskriminierungen zu verhindern. Auf der anderen Seite greifen die Programme nicht - zwischen diesen beiden Wahrheiten suchten acht Parlamentarier aus dem baden-württembergischen Landtag einen Weg - und der führte sie zunächst dahin, wo auch die Abgeschobenen ankommen. Beim Projekt URA - auf Deutsch: Brücke - die die Rückkehrer aufnimmt, wenn sie auf dem Flughafen angekommen sind.
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    Es ist ein Haus in der Altstadt von Pristina. Hier gibt es zunächst ein Bett, etwas zu Essen und Ansprache für die Rückkehrer:

    "Unsere Büros sind nicht wirklich groß, aber unsere Arbeit findet nicht nur hier statt. Und Korad ist Jobvermittler und unser Spezialist für Existenzgründungen und das macht man eben nicht vom Schreibtisch aus."

    URA wird vom Bundesinnenministerium und mehreren Bundesländern unterstützt und Brigitte Budde ist die Chefin eines kleinen Teams von Psychologen, Sozialberatern und Arbeitsvermittlern, die sich um die Neuankömmlinge kümmern: Erstbetreuung, Sprachkurse, Hilfe beim Beschaffen einer Wohnung, von Wohnungseinrichtung oder einer Existenz.

    In der kosovarischen Verfassung sind die Rechte der Minderheiten verbrieft, und zu denen gehört auch, dass sie - unabhängig vom Ergebnis der Wahlen, vier Abgeordnete stellen. Drei von ihnen treffen ihre Kollegen aus Baden-Württemberg, und Danush Ademi berichtet von der sehr schwierigen wirtschaftlichen Situation vor allem für die Angehörigen ihrer Völker:

    "Wir haben eine Arbeitslosenquote von etwa 46 Prozent, 18 Prozent unserer Bürger leben in extremer Armut und 90 Prozent von diesen 18 Prozent gehören unseren Minderheiten an."

    Staatliche Diskriminierung nein, Armut ja, soweit das erste Fazit - und dann nimmt die Diskussion unter Abgeordneten einen unerwarteten Verlauf. Eine dringende Bitte habe er noch an die Kollegen aus Deutschland, sagt Xevdet Neziraj:

    "Wir haben kein Interesse daran, dass Sie unsere Leute abschieben. Wir sind hier dabei, die Bedingungen für ihre Rückkehr zu schaffen, aber das ist frühestens 2020 so weit."

    Mit anderen Worten: Den Abgeordneten wäre es am liebsten, die kosovarischen Roma bleiben, wo sie sind, dann machen sie ihren Angeordneten daheim schon keine Probleme. Und darauf, dass die Abgeordneten der Minderheiten nicht gerne Problem haben, weist ihre Kollegen aus Baden-Württemberg am nächsten Tag ein Mitarbeiter des Roma Documentation Center in Pristina hin. Er legt eine Statistik vor, nach der die Herren höchstens fünf Prozent der Parlamentssitzungen besuchen.

    Nächster Ortstermin ist ein Romaviertel in Fush-Kosovo. Der Delegationsbus quält über einen verschlammten Schotterweg, auf der einen Seite liegt eine offene Müllhalde, links ein paar elende Hütten und dann plötzlich ein nagelneues Backsteinhäuschen, ein Projekt des Arbeiter-Samariter-Bunds. Und drinnen lebt ein Musterroma, der - wie er berichtet - inzwischen sogar einen Job bei der Gemeinde hat:

    "Ich war von 1998 bis 2004 in Deutschland, bin dann freiwillig zurückgekehrt. Als Unterstützung bei der Rückkehr habe ich eine Kuh bekommen."

    Eine Kuh, wurde den Abgeordneten erklärt, kann im Kosovo eine Existenzgrundlage sein. Wo denn die Kuh sei, fragt ein CDU-Mann Karl Zimmermann daraufhin. Verkauft, antwortet der Roma, er sei krank gewesen und musste sie verkaufen.

    Ein wenig misstrauisch schaut Zimmermann daraufhin auf den metergroßen Flachbildschirm, der im Wohnzimmer flimmert. Er fragt sich, ob er nicht ein Teil dieser Krankheit war.

    Merkwürdigkeiten gibt es reichlich im Kosovo. Ein Mitarbeiter aus dem Büro für Rückkehrer im örtlichen Rathaus kommt der Delegation hinterhergelaufen und will auch sein Anliegen noch loswerden. Wir kennen es mittlerweile schon:

    "Nicht zurück diese Menschen, big Problem keine Platz, kein Geld, keine Schule, rückbesitzen für zehn Jahre in Deutsch."

    In der Kleinstadt Peja schließlich trifft die Delegation auf ein weiteres Projekt, das zumindest von außen wie eine erfolgreiche Rückführung von Roma aussieht. Eine ganze Familie ist aus Deutschland zurückgekehrt, lebt jetzt im Haus des Schwagers und betreibt dort ein kleines Internetcafé.

    Der 17-jährige Ali, der bei Oldenburg aufgewachsen ist, erklärt jedoch rundweg, dass er bei nächster Gelegenheit wieder nach Deutschland zurückkehrt.

    "Deutschland war viel besser. Ich hab immer Geld gehabt, ich konnte immer machen, was ich wollte."

    Der ein oder andere Abgeordnete runzelt die Stirn. Rosig ist die Situation der Menschen hier nicht, urteilt etwa CDU-Mann Werner Raab, aber festzustellen sei auch …

    "Es herrscht Sicherheit. Es wird niemand diskriminiert und verfolgt."

    Und die Grüne Ausschussvorsitzende Berate Böhlen erklärt, dass sich Kosovo ganz anders dargestellt habe, als sie es erwartet habe - und dann bringt sie es so auf den Punkt

    "Die Roma werden nicht diskriminiert, sie haben aber auch nicht wirklich eine Teilhabe an der kosovarischen Gesellschaft."