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Staatliche Hilfssheriffs?
Sachsen-Anhalt bildet Wachpolizisten aus

In Sachsen-Anhalt muss gespart werden, auch bei der Polizei. Landesinnenminister Holger Stahlknecht von der CDU hat dazu einen besonderen Plan: Er will in den nächsten Jahren 250 Hilfspolizisten einstellen. Die ersten haben vor einem Monat ihre Ausbildung begonnen.

Von Christoph Richter | 01.06.2016
    Blitzmarathon in Sachsen-Anhalt: Während einer Geschwindigkeitskontrolle führen am 21.04.2016 Polizisten in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) Messungen durch. Mit einem europaweiten Blitzmarathon will die Polizei die Verkehrsteilnehmer für vorschriftsmäßige Fahrweise sensibilisieren.
    Geschwindigkeitskontrolle durch die Polizei in Sachsen-Anhalt: Solche Aufgaben sollen künftig auch Wachpolizisten übernehmen. (dpa-Zentralbild)
    In einem kleinen Raum, im Gebäude der Bereitschaftspolizei in Magdeburg, das noch alten DDR-Charme versprüht, sitzen Hilfspolizisten-Azubis und pauken heute Führerscheinrecht. Mittendrin die 45-jährige Mutter dreier Kinder, Franziska Franz-Zentgraf:
    "Wollte schon immer zur Polizei, weil mein Vati bei der Polizei war und mein Opa auch. Das war so mein Kindheitstraum von jeher. Deshalb habe ich jetzt die Stellenannonce im Internet gelesen und habe mich beworben."
    Und die frühere Postangestellte mit dem auffällig blondierten Haar wurde genommen, und hat die Post-Uniform mit der Polizei-Uniform getauscht. Nun ist sie eine der ersten zwanzig Anwärter, vor zwei Wochen hat sie die Ausbildung zum Hilfspolizisten begonnen. Nach einer dreimonatigen Ausbildung sollen die Hilfspolizisten Schwerlasttransporte begleiten, den Verkehr kontrollieren. Aber auch bei Demonstrationen oder bei Fußballspielen sollen sie eingesetzt werden. Dass man da - weil man schnell Entscheidungen treffen muss - auch unter großen Stress geraten kann, ficht die Magdeburgerin nicht an. Sie sagt aber:
    "Also wenn ich Angst hätte, wäre ich nicht hier. Wir haben eine Ausbildung von einem Vierteljahr. Und ich denke, wir sind nachher auch so gut, dass wir gar alleine als Hilfspolizisten raus könnten. Also nicht nur an der Seite eines richtigen Polizeibeamten. Ich habe keine Angst."
    Anfänglich sollten die Hilfspolizisten gar noch eine Schusswaffe bekommen, doch davon hat man nun Abstand genommen. Künftig werden an den Gürteln der Uniform lediglich Pfefferspray und ein Schlagstock baumeln. Zur Gefahrenabwehr, wie es heißt.
    Gleiche Uniform, andere Befugnisse
    Polizeigewerkschafter kritisieren: Der Einsatz der Hilfspolizisten könnte bei Bürgern zu großen Missverständnissen führen. Der Hintergrund: Die Hilfssheriffs, die statt einer zweijährigen nur eine dreimonatige Ausbildung genießen und dadurch nur mit geringen Kompetenzen ausgestattet sind - seien durch ihre Uniform von den richtigen Polizisten überhaupt nicht zu unterscheiden. Für CDU-Innenminister Holger Stahlknecht kein Problem:
    "Na, das ist ja auch nicht erforderlich, dass man die von außen zwingend unterscheidet. Und sie sollen ja auch eine gewisse Amtsautorität ausstrahlen, dafür ist die Uniform gut geeignet."
    Für den neuen Hilfspolizisten-Job sind mehr als 160 Bewerbungen eingegangen. 92 Bewerber wurden zum Auswahlgespräch eingeladen, 20 setzten sich am Ende durch. Sie sind zwischen 25 und 50 Jahre alt, darunter Hochschulabsolventen, Handwerker oder Angestellte.
    "Ich wollte schon damals zur Polizei, hat alles nicht so ganz geklappt. Und jetzt habe ich mir gedacht, perfekter Einstieg. Wenn nicht jetzt, wann dann?!"
    Lisa Klünnecke ist 24 und die Jüngste im Verbund der Hilfspolizisten-Azubis. Vorher war sie Verkäuferin in einem Mobilfunk-Laden.
    "Ja. Hat auch immer Spaß gemacht. Aber jetzt muss eine neue Herausforderung her."
    Respekt ja, Bammel nein, so in etwa beschreibt Lisa Klünnecke ihre Gemütslage. Der Job ist auf zwei Jahre befristet, doch sie hofft auf mehr. Denn wer sich bewährt, so Innenminister Stahlknecht von der Union, könne sich durchaus Chancen ausrechnen, nach den zwei Jahren, auch in den regulären Polizeidienst übernommen zu werden:
    "Man könnte das auch als Trainee on the job bezeichnen. Jeder hat dann auch die Chance, wenn er schon mal reingeschnuppert hat, am Ende bei guter Leistung übernommen zu werden. Das wird die Kolleginnen und Kollegen doppelt motivieren."
    Kritik an Zwei-Klassen-Gesellschaft bei der Polizei
    Andere sprechen bereits schon von Billigpraktikanten in Sachsen-Anhalts Polizei. Brutto-Monatslohn: 1.400 Euro.
    "So ein Modell schafft Polizisten erster und zweiter Klasse. Polizeibeamte, sind nun mal Polizei-Beamte. Und wir lehnen daher Polizisten erster und zweiter Klasse klar ab", sagt Stefan Gebhardt, der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion Die Linken im Magdeburger Landtag. "Wir wollen nicht, dass sich die Leute irgendwie bewähren sollen."
    Auch Polizei-Gewerkschafter Uwe Petermann kann mit Hilfspolizisten wenig anfangen. Er fordert stattdessen, dass man Beamte aus anderen Behörden in den Innendienst der Polizei beordern solle, damit richtige Polizeibeamte, wie er sagt, draußen auf den Straßen ihren Dienst tun können. Denn sollte es in Magdeburg oder Halle zu Terrorlagen kommen, dann würden neue Hilfspolizisten überhaupt nicht helfen. Das werden wir nicht beherrschen, dafür sind wir nicht gerüstet, sagt noch der Gewerkschafter und einstige Volkspolizist Petermann:
    "Ich zweifle, dass es Sinn macht, Hilfspolizisten einzustellen. Zumindest die Anzahl, die derzeit avisiert ist. Das ist nicht mal der berühmte Tropfen auf einen heißen Stein."
    Die neuen Hilfspolizisten-Azubis sehen das naturgemäß völlig anders. Für manche von ihnen ist die Ausbildung - wie Franziska Franz-Zentgraf sagt - ein Sechser im Lotto:
    "Ich bin schon 45 Jahre, es war immer mein Traum und jetzt habe ich es geschafft. Und jetzt gehe ich es an."