Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Staatliches Öl soll nun Argentiniens Wirtschaft schmieren

Eine überwältigende Mehrheit der argentinischen Parlamentarier stimmte einer Teilverstaatlichung des Ölkonzerns YPF zu. Doch es gibt auch Kritik, denn nur das spanische Unternehmen Repsol wurde enteignet - und ein Preis nicht vorab ausgehandelt.

Von Victoria Eglau | 05.05.2012
    Die Klänge der Nationalhymne - ein ungewöhnlicher Sitzungsbeginn im argentinischen Parlament. Nach dem patriotischen Auftakt und einer zweitägigen Marathondebatte beschloss eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten die Teilverstaatlichung des Ölkonzerns YPF. Die Nation und die ölfördernden Provinzen halten nun 51 Prozent der Aktien. Dass Argentinien das spanische Unternehmen Repsol, bisher Hauptaktionär von YPF, enteignete, begründete Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner so:

    "Argentinien ist in Lateinamerika und in der Welt fast das einzige Land, das bislang nicht selbst über seine natürlichen Ressourcen bestimmte. Und für unsere Entscheidung gab es noch schwerwiegendere Gründe: Unter dem Management von Repsol im Ölkonzern YPF ist Argentinien im vergangenen Jahr zum Netto-Energie-Importeur geworden. Zum ersten Mal seit 17 Jahren müssen wir Gas und Öl importieren."

    Mit der Teilverstaatlichung von YPF will Argentinien wieder zum Selbstversorger werden. Die linksperonistische Regierung Kirchner wirft Repsol vor, nicht genug Erdöl gefördert und viel zu wenig Geld in die Erkundung neuer Quellen investiert zu haben. Argentinien verfügt über riesige Energievorkommen, aber der Wirtschaftsboom des letzten Jahrzehnts wurde nicht von einer ausreichenden Gas- und Ölproduktion geschmiert. Vize-Wirtschaftsminister Axel Kiciloff warb im Senat für das von ihm entworfene Gesetz:

    "Unser Wachstum betrug von 2003 bis 2011 durchschnittlich 7,7 Prozent jährlich. Unserer Wirtschaft ist es gelungen, den schlimmsten internationalen Krisen zu trotzen. Aber es ist nötig, dass wir alle unsere Energiequellen in den Dienst unseres Wachstumsmodells stellen, vor allem solch strategische Ressourcen wie das Öl."

    Einige Parlamentarier der Regierungsfraktion gingen so weit, von einer Plünderung des traditionsreichen Ölkonzerns durch Repsol zu sprechen. Das spanische Unternehmen hatte erst durch den Kauf von YPF globale Bedeutung erlangt. Der Ökonom Matías Tombolini jedoch ist dagegen, Repsol allein die Schuld für die aktuelle Energiekrise zuzuschieben:

    "Argentinien hat den Ölkonzern in den neunziger Jahren in private Hände gegeben. Die jetzige Nationalisierung sollte nicht von Triumphgefühlen begleitet werden. Wir sollten uns lieber eingestehen, dass unsere eigenen Politiker mit ihrer Privatisierungspolitik die Weichen dafür gestellt haben, dass wir heute Energieprobleme haben."

    Der Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Buenos Aires hält es für richtig, dass YPF nun wieder vom Staat kontrolliert wird. Die argentinische Verfassung erlaubt die Enteignung eines Privatunternehmens, wenn sie dem Gemeinwohl dient. Allerdings muss der Besitzer vorher entschädigt werden, was im Fall von Repsol nicht geschehen ist. Die Regierung will erst abwarten, welchen Wert ein argentinisches Gericht ermittelt. Wieviel auch immer letztendlich gezahlt wird – das Unternehmen haben längst Funktionäre übernommen. Kaum war die Nationalisierung verkündet, und noch vor dem Parlamentsbeschluss, warf die Regierung das Repsol-Management per Dekret heraus. Enteignet wurden nur die Spanier, nicht aber die argentinische Unternehmensgruppe Petersen, die gut ein Viertel der YPF-Aktien hält. Mit all dem war der Abgeordnete Francisco de Narvaez nicht einverstanden – er stimmte gegen das Gesetz:

    "Ich betrachte es als verfassungswidrig und ungesetzlich. Wir sind auch für die Enteignung, aber es geht nicht, dass die einen enteignet werden und die anderen nicht. Außerdem muss mit den bisherigen Besitzern ein Preis ausgehandelt werden, den die Regierung zahlt, bevor sie den Konzern übernimmt. Warum durchs Fenster einsteigen, wenn man durch die Tür gehen kann?"

    Der größte Teil der argentinischen Opposition unterstützte jedoch die Teilverstaatlichung. Im Senat gab es nur drei Gegenstimmen. Vier Senatoren enthielten sich, darunter Maria Eugenia Estenssoro von der "Coalición Cívica", die die vor neun Jahren angetretene Kirchner-Regierung für die Energiekrise verantwortlich machte:

    "2003, als der verstorbene Nestor Kirchner Präsident wurde, war Argentinien autark, was seine Ölversorgung anging. Aber durch eine verfehlte Energiepolitik haben wir unsere Fähigkeit zur Selbstversorgung verloren. Unsere Ölproduktion sank um 31 Prozent, die Erdgasproduktion um 16 Prozent. Die amtierende Regierung, und keine andere, setzte eine irrationale Politik in Gang, die unseren nationalen Produzenten schadete."

    Was dazu geführt habe, dass nicht nur YPF, sondern auch andere Ölunternehmen in Argentinien weniger produziert hätten, sagte Estenssoro im Senat. Die Tochter eines ehemaligen YPF-Konzernchefs bemängelte das Fehlen eines energiepolitischen Programms:

    "Argentinien braucht einen staatlichen Ölkonzern, aber es braucht zuerst eine neue, nachhaltige und langfristig angelegte Energiepolitik. Bisher hat die Regierung uns weder einen Energieplan für das Land, noch einen strategischen Plan für YPF vorgestellt."

    Die Kirchner-Regierung hätte eine schnelle Nationalisierung des Ölkonzerns gewollt, um kurzfristiges politisches Kapital daraus zu schlagen, meint Wirtschaftsexperte Matías Tombolini. Schließlich hatten sich in den letzten Monaten die Negativschlagzeilen wegen eines Korruptionsskandals und eines tragischen Zugunglücks gehäuft. Die Rechnung ist offenbar aufgegangen: Die zwischenzeitlich gesunkene Popularität der Präsidentin stieg erneut auf 60 Prozent.