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Staatsbesuch des türkischen Regierungschefs Erdogan

Engels: Am Telefon begrüße ich Thomas Kossendey, CDU. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe. Nach dem Urteil des Kölner Verwaltungsgerichtes soll Metin Kaplan, der radikale Islamist, nicht abgeschoben werden. Der Grund: Zweifel der Richter am türkischen Rechtsstaat. Muss Bundeskanzler Schröder das heute ansprechen und wie?

    Kossendey: Natürlich würde ich das als Bundeskanzler ansprechen, darauf verweisen, dass wir in Deutschland unabhängige Gerichte haben, auf die die Politik Gottlob keinen Einfluss hat und dass es ein rechtsstaatliches Verfahren gibt, in dem dieses Urteil in zweiter Hand überprüft wird.

    Engels: Zeigt dieses Urteil die Machtlosigkeit der Bundesregierung im Kampf gegen den Terror oder haben Sie Hoffnung, dass Kaplan doch noch ausgewiesen werden wird.

    Kossendey: Nein, ich glaube, wer dieses Urteil genau studiert, wird feststellen, dass der Verdacht, den das Gericht geäußert hat, gar nicht so sehr in Bezug auf das zu erwartende Verfahren in der Türkei gegen Kaplan sich richtet, sondern sich dahingehend manifestiert, dass sie sagen, es könnten Aussagen gegen ihn verwendet werden, die früher unter Folter erzwungen worden sind. Und dagegen kann man natürlich als aktuell politisch Handelnder in der Türkei nicht viel machen. Man muss überlegen, warum man früher bei solchen Verfahren die Folter zugelassen hat oder zumindest geduldet.

    Engels: Kommen wir auf die grundsätzlichen deutsch-türkischen Beziehungen zu sprechen, da spielt ja auch der EU-Beitrittswunsch der Türkei eine entscheidende Rolle. Erst im kommenden Jahr will die EU über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei entscheiden, nun reformiert aber die Regierung Erdogan ja in beeindruckendem Ausmaß. Ist dieser Prozess eines Beitritts der Türkei überhaupt noch aufzuhalten?

    Kossendey: Die Reformen, die Erdogan in den letzten anderthalb Jahren in der Türkei unternommen hat, sind unabhängig davon, ob das Land in die EU will oder nicht, aber für die Menschen, die dort leben, wichtig. Schauen Sie, dass rechtsstaatliche Verfahren eingehalten werden, Folter verboten wird, Todesstrafe abgeschafft. All das sind Dinge, die sind für mich elementar mit der Demokratie verbunden, unabhängig, ob ich in die EU strebe oder nicht. Aber sie sind auch ein wichtiger Schritt in Richtung EU, denn alles das, was an Signalen aus Europa an die Türkei gesendet wurde, war ja immer dahingehend "ihr müsst diese Reformen machen, wenn wir mit euch überhaupt ernsthaft darüber sprechen sollen". Jetzt wird der zweite Schritt kommen. Nachdem diese Reformen ziemlich schnell und zügig beschlossen worden sind, wird es darum gehen, sie bis in die letzte Polizeistation, Gericht, Zivilverwaltung wirklich umzusetzen. Und da kann in der Türkei in der Tat noch einiges mehr passieren, aber ich habe keinen Zweifel, dass diese Regierung Erdogan sich darum bemühen wird, das bis ins letzte Gefängnis hineinzutragen, diese neuen Rechtslage.

    Engels: Nun gibt es ja gerade in Ihrer Partei, der CDU und vor allem auch der CSU viele ablehnende Stimmen gegen einen türkischen EU-Beitritt. Haben diese Gegner möglicherweise den Reformeifer Erdogans unterschätzt?

    Kossendey: Nein, ich glaube, wenn ich Herrn Glos richtig verstanden habe, geht es ihm darum, festzustellen, dass die EU nur begrenzt aufnahmefähig ist für Länder am Rande der EU. Und wenn wir so ein großes Land mit in zehn Jahren wahrscheinlich 80 Millionen Einwohnern in die EU aufnehmen wollen, steht da eines der Kopenhagener Kriterien, das da lautet: "Auch die Aufnahmefähigkeit der EU darf nicht überfordert werden". Darüber muss man diskutieren.

    Engels: Nun argumentiert Herr Glos ja nicht nur mit der Aufnahmefähigkeit der EU, sondern auch mit dem anderen Kulturkreis Türkei sowie dem allgemein schwachen wirtschaftlichen Zustand des Landes. Folgen Sie dieser Argumentation oder ist das unhaltbar, solch eine Argumentation in den EU-Wahlkampf zu ziehen?

    Kossendey: Was den wirtschaftlichen Zustand der Türkei angeht, wissen die Türken selber, dass es da noch Defizite gibt. Die gibt es im Bereich der Bekämpfung der Inflation, der überbordenden Staatswirtschaft, des unausgewogene Verhältnisses des Wohlstandes in der Türkei zwischen den großen Zentren und dem flachen Land, der nicht vorhandenen Mittelstandspolitik. All das sind Dinge, da wird die Türkei dran zu arbeiten haben, um wirklich europakompatibel zu werden. Was die kulturellen Unterschiede angeht, kann ich auf Konrad Adenauer verweisen. Als damals der Assoziationsvertrag mit der EU abgeschlossen wurde zu Zeiten als er Kanzler war, hatte die Türkei ebenfalls eine andere Kultur, das ist damals von den Regierenden in Deutschland nicht so gesehen worden. Ich glaube, wir sollten auch vorsichtig sein, die Kultur als Unterscheidungsmerkmal zu nehmen, das könnte leicht dazu führen, dass sich über 2,5 Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland aus unserem Kulturkreis ausgegrenzt fühlen, was für die Frage der Integration nicht besonders förderlich wäre.

    Engels: Das heißt, Sie raten der CSU davon ab, mit diesem Thema in dieser Form Wahlkampf zu machen?

    Kossendey: Ob man damit Wahlkampf machen will oder nicht, ich glaube, das sind Dinge, die werden letztendlich die Menschen entscheiden. Schauen Sie, wenn Sie heute eine Veranstaltung zum Thema Europa machen, unabhängig, wie die Generalüberschrift heißt, irgendeiner fragt in der Versammlung sicher: wie hältst du es mit dem Beitritt der Türkei zur EU? Das können Gottlob noch nicht die Parteien festlegen, was im Wahlkampf diskutiert wird. Die Frage wird sein, in welcher Art und Weise wir das Thema behandeln und da habe ich keinen Zweifel, dass das zumindest nach den Erfahrungen, die ich habe, sachgerecht passiert. Und wenn Sie den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Bayern nehmen, der hat just gerade gestern noch mal ausdrücklich betont, er habe nicht den Eindruck, dass die CSU dieses Thema in einer Art und Weise instrumentalisiere, wie Frau Roth das etwas übersteigert dargestellt hat.

    Engels: Nun gewinnt man aber immer den Eindruck, dass CDU und CSU sich sowohl innerhalb als auch im Verhältnis der Schwesterparteien gerade beim Thema Türkei nicht recht einig sind. Ist da nicht eine einheitliche Haltung mit dem Blick auf das kommende Jahr dringend notwendig?

    Kossendey: Ich glaube, es wird sehr wichtig sein, dass Frau Merkel Herrn Erdogan trifft und mit ihm ausführlich darüber spricht. Nichts ist ja wichtiger als der persönliche Kontakt, um solche emotionalen Störungen auszuräumen und wir werden dann sicher auch innerhalb der CDU/CSU-Fraktion zu einer vernünftigen Haltung kommen. Ich meine nur, die Haltung, die die Regierung an den Tag legt, ist auch nicht ganz ohne Komplikationen. Sehen Sie, man kann ein Land nicht einladen, Mitglied der EU zu werden, aber gleichzeitig sagen, so vertrauenswürdig, dass wir euch die Panzer liefern, seid ihr nun auch wieder nicht. Man kann ein Land nicht als europakompatibel erklären, wenn die eigenen Gerichte sagen, da gibt es möglicherweise noch Defizite. Da gibt es noch eine ganze Menge Widersprüche und wir wären gut beraten, dieses Thema in Ruhe und Sachlichkeit zu erörtern, auch im Hinblick auf den möglichen Zeitpunkt einer Mitgliedschaft der Türkei zur EU. Ich glaube, in zehn, fünfzehn Jahren, wenn das Thema wirklich aktuell werden wird, werden wir eine EU haben, die sich ohnehin gänzlich von der unterscheidet, die wir in der Vergangenheit gehabt haben. Und ich glaube, dann wird sich auch ein Platz finden innerhalb dieser erweiterten EU, in der die Türkei ein wichtiger Partner Europas werden kann.

    Engels: Ihre Prognose, wird die Türkei im kommenden Jahr zum EU-Kandidaten mit festen Aufnahmezeitplan, möglicherweise dann zehn bis fünfzehn Jahre?

    Kossendey: Wenn der Reformprozess so weitergeht und wenn sich die wirtschaftlichen Rahmendaten in der Türkei bis dahin verbessert haben, sehe ich durchaus eine Möglichkeit, dass Europa diese Entscheidung so trifft.

    Engels: Vielen Dank, wir sprachen mit Thomas Kossendey, CDU. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Kossendey: Bitteschön.

    Link: Interview als RealAudio