Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Staatsinsolvenz ja, aber wir helfen den Griechen"

In der Debatte über einen möglichen Staatsbankrott Griechenlands bekräftigt Jürgen Koppelin, FDP-Obmann im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags, die Forderung nach einer geordneten Insolvenz. "Ich stelle fest, dass alles, was wir bisher gemacht haben für Griechenland, nicht geholfen hat." Zum Wiederaufbau der Wirtschaft sei eine Art Marshall-Plan sinnvoll.

Jürgen Koppelin im Gespräch mit Silvia Engels | 13.09.2011
    Jürgen Koppelin, Obmann der FDP im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
    Jürgen Koppelin, Obmann der FDP im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages (Deutscher Bundestag)
    Silvia Engels: FDP-Chef Rösler und sein Generalsekretär Lindner fassen also seit neuestem zumindest die Möglichkeit einer Staatsinsolvenz Griechenlands ins Auge. Dieser Kurswechsel hat gestern nicht nur zu Verlusten beim DAX beigetragen; auch die Stimmungskurve der Regierungskoalition ist wieder mal in den Minusbereich gerutscht. Die Bundeskanzlerin stemmt sich gegen die Aussagen des Koalitionspartners. Am Telefon ist nun Jürgen Koppelin. Er ist FDP-Obmann im Haushaltsausschuss des Bundestages. Guten Tag, Herr Koppelin.

    Jürgen Koppelin: Ja, guten Tag.

    Engels: Wie sehen Sie denn den Schwenk Ihrer Parteispitze in Sachen Staatsinsolvenz?

    Koppelin: Na, das ist kein Schwenk, sondern die Tatsachen liegen auf dem Tisch. Wir werden in der nächsten Woche auch eine sehr umfangreiche Anhörung im Haushaltsausschuss haben - der Haushaltsausschuss ist ja gestärkt worden durch das Bundesverfassungsgericht -, und wir werden uns die Experten anhören. Aber ich stelle fest, dass alles, was wir bisher gemacht haben für Griechenland, nicht geholfen hat und nach meiner Auffassung – das habe ich auch früher schon gesagt – nicht helfen wird, wenn in Griechenland selber, das muss man sehen, die Privatisierungen nicht vorangebracht werden, denn es gibt ja auch dort keine effizienten Steuerbehörden und so weiter und so weiter. Also die Frage ist, werfe ich noch mal wieder Geld nach Griechenland rein, bekomme aber vielleicht keine Ergebnisse. Das kommt mir manchmal so vor, wenn ich das sagen darf, wir haben alles versucht, aber jetzt sind wir in einer Situation, wo ich – entschuldigen Sie, wenn ich das so deutlich sage – zu einem Alkoholiker sage, hier kriegst du noch eine Kiste Schnaps, aber dann musst du Schluss machen.

    Engels: Dann frage ich zurück. Sie haben ja das bisherige Rettungspaket für Griechenland im Bundestag mitgetragen. Haben Sie da auch schon einen Alkoholiker gefördert?

    Koppelin: Ich sage ja, ich will es nicht verallgemeinern. Aber wir haben bestimmte Kriterien aufgestellt. Sie haben ja auch gesehen, die Troika ist erst mal wieder abgereist, kommt jetzt wieder und sagt eventuell auch, unser Ergebnis ist so katastrophal bei der Beurteilung Griechenlands, dass wir kein Geld nachschießen. Ja, und was ist dann? Dann müssen mir diejenigen sagen, was wir dann tun sollen. Insofern ist der Vorschlag von Rösler durchaus richtig, es darf kein Denkverbot geben. Was allerdings auch richtig ist, wir haben bisher keine Regeln für eine Staatsinsolvenz. Darüber muss dann gesprochen werden. Und das heißt ja für mich nicht nur, dass wir sagen, Staatsinsolvenz in Griechenland, gleichzeitig muss die Europäische Union … Ich bin überzeugt, der Europäer muss natürlich helfen, dass die Wirtschaft aufgebaut wird, aber ich sehe sehr, sehr viele Vorteile, wenn Griechenland zu einer eigenen Währung zurückkommt und zurückkehren muss, dann diese Währung abwertet. Wir haben im Übrigen auch andere Staaten in Europa, die nicht dem Euro angehören. Ich nenne da zum Beispiel hier mein Nachbarland Dänemark.

    Engels: Wir sagen aber auch schon seit Monaten immer, wenn es um die Regierungshaltung ging, war immer zu hören, dass es – Sie sagen, es gibt keinen Schwenk – diesen Schwenk nicht geben darf, einfach deshalb, weil ein Staat in der Währungsunion nicht Pleite gehen darf. Also ist es jetzt doch ein Paradigmenwechsel?

    Koppelin: Es geht doch darum, dass man feststellt, dass bisherige Maßnahmen nicht sonderlich geholfen haben, dass wir in einer kritischen Situation sind mit Griechenland, und die Frage ist doch: Muss ich weiter Geld reinpumpen nach Griechenland oder muss ich eine geordnete Insolvenz in Kauf nehmen? Allerdings müssten dann auch die Folgen klar sein, und darüber muss gesprochen werden.

    Engels: Und welche Folgen sind das? Müssen wir dann wieder Banken unterstützen?

    Koppelin: Die Interessen sind ja unterschiedlich in Europa. Da muss ich mal drauf hinweisen. Deutschland steht hervorragend da, unsere deutschen Banken im Verhältnis zum Beispiel zu den französischen Banken sind nicht so involviert in Griechenland, wie es die Franzosen sind. Die Franzosen haben also dadurch ganz, ganz andere Interessen, als es die Deutschen haben. Aber die Frage ist doch: Muss ich weiterhin als Bundesregierung, als deutscher Steuerzahler weiter Geld nach Griechenland hineinpumpen? Und vielleicht mit einem Ergebnis, dass das alles nicht hilft.

    Engels: Jetzt steht ja das erweiterte Rettungspaket für Griechenland Ende September zur Abstimmung im Parlament an. Wenn man Ihnen so zuhört, dann können Sie eigentlich nur Nein sagen, oder?

    Koppelin: Ich werde mir erst mal den Bericht der Troika ansehen, wie dieser Bericht ist. Ich befürchte, dass der nicht erfreulich sein wird, und davon werde ich meine Entscheidung abhängig machen. Im Augenblick, kann ich nur sagen, habe ich eher eine sehr, sehr kritische Haltung, und insofern begrüße ich auch, das habe ich ja mit mehreren anderen Abgeordneten und Landesvorsitzenden auch auf den Weg gebracht, dass wir auch innerhalb meiner eigenen Partei, der FDP, darüber diskutieren, indem wir eine Befragung unserer Mitglieder mal machen, wie die Stimmung in der Partei ist.

    Engels: Nun sagt die Kanzlerin heute im Interview mit dem RBB, sie rechne bei dieser Abstimmung mit der Kanzlermehrheit, also auch mit den FDP-Stimmen. Sie nicht mehr?

    Koppelin: Es geht doch um was anderes. Es geht doch nicht darum, ob ich eine Kanzlermehrheit habe.

    Engels: Na, da geht es doch drum, oder?

    Koppelin: Einen Moment! Die Frage, die darf die Kanzlerin ja nicht nur an die FDP stellen, sondern sie muss sie auch an ihre Schwesterpartei CSU stellen. Das ist ja das Erstaunliche, dass FDP und CSU endlich mal in so einer Frage zumindest einer Meinung sind und eine klare Auffassung haben, und ich glaube, wenn ich in die CSU-Fraktion hineinhöre, dann gibt es noch mehr Sympathisanten, die diese Haltung der FDP dort gut finden.

    Engels: Andererseits könnte dann doch die Koalition in Rede stehen, oder?

    Koppelin: Das glaube ich nicht. Wir haben ja viele Aufgaben in der Koalition. Es geht doch darum, dann einen Weg zu finden, wie wir Griechenland helfen. Wir sind ja alle überzeugte Europäer. Aber es kann nicht sein, dass wir immer wieder deutsches Geld hineinpumpen und die Ergebnisse sind null. Darauf kommt es doch an, und ich denke, die deutschen Steuerzahler müssen auch erwarten können von dieser Bundesregierung, dass ihr Geld so sinnvoll eingesetzt wird, dass der Euro gesichert ist, dass Arbeitsplätze in Deutschland gesichert sind und dass wir nicht langfristig nur Zahler sind für diejenigen, die Schulden gemacht haben und die mit ihrem Haushalt nicht klar gekommen sind. Deutschland ist ja Vorbild, und das halte ich ebenfalls für wichtig auch bei den kommenden Haushaltsberatungen. Deutschland muss Vorbild sein in Europa für einen soliden Haushalt. Da sind wir auf gutem Wege und da sollten sich andere ein Beispiel nehmen. Ich sage auch noch mal ausdrücklich: Die Interessen anderer Staaten wie zum Beispiel Frankreich sind andere als die der Deutschen. Die französischen Banken sind sehr stark in Griechenland drin. Und ich sage jetzt, das ist vielleicht ein Bauchgefühl, die Banken müssen endlich auch mal zur Kasse gebeten werden. Es kann doch nicht sein, die haben gut verdient an Griechenland, und nun soll auf einmal der Steuerzahler zahlen. Das kann nicht wahr sein.

    Engels: Das ist der Teil der Banken. Aber nun hat ja auch der deutsche Staat Garantien geleistet. Nehmen wir an, Griechenland käme bald an einer Staatsinsolvenz nicht mehr vorbei, was heißt das direkt für den Bundeshaushalt?

    Koppelin: Das heißt im Moment für den Bundeshaushalt nichts Entscheidendes. Viel schlimmer – und das ist das, was mir Sorge macht, und das war ein falscher Weg, den ich auch kritisiert habe, den die FDP kritisiert hat -, dass die EZB Staatsanleihen anderer Länder aufgekauft hat, auch von Griechenland. Das war falsch, und der Rücktritt von Herrn Stark hat ja gezeigt, dass er diese Auffassung der FDP geteilt hat.

    Engels: Kann ein insolventer Staat Teil der Währungsunion sein?

    Koppelin: Des Euro sicher nicht. Deswegen habe ich ja auch gesagt, die Griechen müssen zu ihrer eigenen Währung zurückkehren, denn wir müssen ja die Wirtschaft aufbauen. Da ist ja kaum noch was. Wir sehen das ja im Moment an den Wirtschaftsdaten in Griechenland, die noch mal nach unten korrigiert worden sind. Griechenland muss die Chance haben, aus eigener Kraft, zumindest mit Hilfe der EU, wieder Partner zu werden. Dazu bedarf es, ich sage es jetzt mal auch wieder sehr salopp, vielleicht eines Marshall-Plans für Griechenland, um dort die Wirtschaft auszubauen. Wir wollen den Griechen ja helfen. Aber es kann nicht sein, dass wir nur immer Geld rüberschicken, und es passiert dort nichts.

    Engels: Aber wenn Sie weiter helfen müssen, muss in irgendeiner Form gezahlt werden. Wie viel zahlen Sie denn noch den Griechen? Zu was sind Sie noch bereit?

    Koppelin: Auf irgendwelche Summen lasse ich mich natürlich nicht ein. Innerhalb der EU zahlen wir ja auch in andere Länder Geld, wir helfen, Wirtschaftsaufbau. Das hat übrigens die EU auch ja getan in Richtung Deutschland, als die Wiedervereinigung gekommen ist. Auch dort haben wir Gelder dann von der EU bekommen. Dazu bin ich auch durchaus bereit. Die Wirtschaft in Griechenland, die braucht die Hilfe der anderen europäischen Staaten, das ist völlig klar. Staatsinsolvenz ja, aber wir helfen den Griechen.

    Engels: Jürgen Koppelin. Er ist der FDP-Obmann im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. Vielen Dank für Ihre Zeit.

    Koppelin: Ja, bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema auf dradio.de finden Sie in unserem Sammelportal "Euro in der Krise".