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Staatsministerin Müntefering
"Spaltungstendenzen entgegenwirken"

Während der "Langen Nacht der Ideen", organisiert vom Auswärtigen Amt, wird an 15 Orten in Berlin darüber diskutiert, was eine offene Gesellschaft ausmacht. Begriffe wie "Identität" und "Heimat" dürfe man nicht den Populisten überlassen, sagte Michelle Müntefering, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, im Dlf.

Michelle Müntefering im Gespräch mit Mascha Drost | 01.06.2018
    Michelle Müntefering ist Staatsministerin im Auswärtigen Amt und zuständig für die Internationale Kulturpolitik
    Michelle Müntefering (SPD) ist Staatsministerin im Auswärtigen Amt und zuständig für die Internationale Kulturpolitik (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld/dpa)
    Mascha Drost: Zu Beginn geht es um die Gretchenfrage des 21. Jahrhunderts – Wie hältst du’s mit der Nation? Darüber wird heute in Berlin diskutiert, bei der "Langen Nacht der Ideen", die vom Auswärtigen Amt, und seiner Abteilung für internationale Kulturpolitik ausgerichtet wird. Das Hauptthema der Langen Nacht ist die offene Gesellschaft, wie sie gestaltet wird, und von wem und wie man Kunst und Kultur als Schutzschild einsetzen kann, wenn ihr etwa aus der fundamental-nationalistische Ecke Gefahr droht. Es diskutieren die Intendantin des Gorki-Theaters Shermin Langhoff, der Architekt David Chipperfield und Michelle Müntefering, Staatsministerin für Auswärtige Kulturpolitik. Wie national sind wir? So der Titel der Diskussion, und ich habe diese Frage vor der Sendung ein wenig weitergedreht und sie Michelle Müntefering gestellt - Wie national sollten oder dürfen wir sein?
    Michelle Müntefering: Na ja, also zunächst mal erleben wir ja den Paradox des Fortschritts, wenn man so will. Die Nationen hat es ja nicht immer gegeben, sondern das war ja ein Fortschritt vor 200 Jahren, dass man sich zusammengeschlossen hat in Nationen und quasi Gemeinschaften geschlossen hat darüber, und heute ist eben das Paradox, dass wir in einer Welt leben, die längst global ist. Mit allen Trends und Problemen ist Deutschland mitten drin. Die Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts, die schwerwiegende Brücke hervorruft, in der Mittelschichten auch unter Druck geraten und sich auch Gesellschaften spalten, insofern ist die Frage von Globalisierung und Nationalstaaten in der Globalisierung und ihrer Rolle tatsächlich etwas, die für alle westlichen Demokratien auch gilt. Insofern erscheint es mir wichtig, dass wir die Menschen am Ende nicht verlieren und Spaltungstendenzen entgegenwirken, weil Perspektivlosigkeit ist der größte Feind der Demokratie, und die Nation ist und bleibt die Zugehörigkeit zu einem Ordnungsrahmen. Das ist nicht per se was Schlechtes oder was Gutes, das ist sozusagen das, was wir in den letzten 200 Jahren auch erfahren und herausgearbeitet haben.
    "Heimat ist nicht etwas per se Schlechtes, genauso wie übrigens Kultur nicht etwas per se Gutes ist"
    Drost: Trotzdem sind diese Begriffe, Nation, kulturelle Identität oder selbst das sehr poetische Wort Heimat ja derzeit so aufgeladen, wie wenige andere Worte. Welche Rolle kann und soll Kultur in diesem Diskurs einnehmen, ohne dann gleich wieder als Leitkultur herhalten zu müssen?
    Müntefering: Also wir dürfen diesen Begriffe nicht den Populisten überlassen. Identität, Heimat ist nicht etwas per se Schlechtes, genauso wie übrigens Kultur nicht etwas per se Gutes ist. Für mich ist Identität etwas, was man sein kann und nicht etwas, was man zu sein hat, und die Heimat, die verengt nicht, sondern sie öffnet. Genau darum geht es: eben diese Begriffe auch anzuschauen, was verstehen wir eigentlich darunter, und wie füllen wir sie auch im 21. Jahrhundert.
    Drost: Und diese Betrachtung, würden wir die auch anstellen, wenn die nationalistischen Bewegungen, die seit einigen Jahren immer stärker werden, diese Debatte nicht so in den Vordergrund gerückt hätten, also diese Frage, was gehört zu einer Nation oder was oder wer nicht?
    Müntefering: Es ist tatsächlich so, dass wir durch die veränderte Welt, durch die Globalisierung – wir leben im Zeitalter des Transports und der Kommunikation –, dass sich da auch Demokratie verändert, dass sich auch Gesellschaft verändert hat, und selbstverständlich müssen wir auch Antworten finden auf diese Veränderungen, die wir erleben, und das ist eben Aufgabe auch gerade von Demokraten, das zu tun, keine Vakua entstehen zu lassen, sondern hineinzugehen in diese Diskussion und die Welt zu gestalten. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir miteinander kooperieren müssen, dass wir im Austausch mit anderen gewinnen anstatt verlieren. Wir können es uns überhaupt nicht leisten, dass wir sagen, wir machen geschlossene Gesellschaft, sondern im Gegenteil, wir sind darauf angewiesen, miteinander auf dieser Welt zu leben, miteinander auszukommen und diese Welt zu gestalten.
    "Kultur ist kritisch und frei"
    Drost: Eine letzte Frage an Sie als Staatsministerin für internationale Kulturpolitik: Welche Rolle nimmt das Nationale in Zusammenarbeit mit anderen Ländern eigentlich noch ein? Haben Sie da nicht automatisch den Blick nicht nach innen, sondern nach außen?
    Müntefering: Also Kultur macht ja an Grenzen nicht halt. Hat sie übrigens nie. Das fing mit den Leuten, mit den Handwerkern schon an, die … Heute Abend ist ja auch Chipperfield auf dem Podium, der wird das vielleicht noch viel besser erklären können als ich. Ich werde ihn danach mal fragen, die auf der ganzen Welt unterwegs waren und sich umgeschaut haben. Also Kultur macht an Grenzen nicht halt. Sie ist kritisch und sie ist frei, und sie speist sich aus der Auseinandersetzung mit anderen. Sie ist längst global, und sie war es immer. Das ist etwas, was wir auch stärker in den Fokus stellen wollen: die Kraft der Kultur auch für das Miteinander, und das ist eben das Schöne an der "Langen Nacht der Ideen", dass da auch diskutiert werden kann, auch kritisch diskutiert werden kann über diese Dinge, dass wir jetzt nicht sagen, wir haben einen Kulturbegriff, und den exportieren wir jetzt in alle Welt, sondern wir treten ein für offene Räume, für Meinungsfreiheit und für Austausch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.