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Staatsschriftsteller ohne Staat

Der Publizist Friedrich Dieckmann im Gespräch | 29.08.2003
    Dieckmann: Diesen Widerspruch habe ich so, glaube ich, denn doch nicht formuliert. Hacks war, und hier irrt Hänsel ein bisschen, in der Tat bis zum Jahre `76 der meistgespielte lebende Dramatiker in beiden deutschen Staaten. Seine dramatische Wirksamkeit ist dann in eine Krise gekommen, das hing mit dem Herbst `76 zusammen, und..., also der Biermann-Ausbürgerung..

    Koldehoff: ... die er auch verteidigt hat...

    Dieckmann: ... die Hacks vehement verteidigte. Das führte dann in Westdeutschland grade zu zu einer Art Theaterboykott. Wir kennen das in Bezug auf Brecht, aus Jahren 53 und 56, glaube ich. Ja, Brechts Werk hat das überwunden. Das ist bei Hacks anders gewesen. Es hing zusammen mit einer Veränderung der Theaters überhaupt, und insofern hat diese Wirksamkeit dann abgenommen. Und dieser so zusagend Verlust der weitesten Theaterverbreitung änderte nichts an dem literarischen Rang seines Werkes. Und insofern ist das eine Nachricht, die einen schon mit großer Betroffenheit erfüllt.

    Koldehoff: Wie kann man heute, Herr Diekmann, diese Existenz zwischen den Stühlen verstehen, wenn er etwa die DDR als sauren, die BRD, Westdeutschland als faulen Apfel bezeichnete?

    Dieckmann: Er war in der Tat in den sechziger Jahren, also in der Ulbricht-Ära, ein prononzierter Kritiker der gesellschaftlichen Verhältnisse, die er mit zwei Stücken, das eine hieß "Die Sorgen und die Macht" und das andere hieß "Moritz Tassow", auch in eine Lage des DDR-Boykotts, des offiziellen Nicht-gespielt-werden-Dürfens in den Jahren, sagen wir, `65 bis zum Jahre `70, geriet. Dann trat diese andere Krise ein, also ein Dramatiker, der sich kritisch verhielt gegenüber beiden Gesellschaftssystemen. Er kannte das eine, das fehlt auch bei Hänsel, er ist ja - er hat in München studiert und er stammte aus Schlesien, er ist in Breslau aufgewachsen übrigens. Dann München als die prägende Erfahrung des Studiums, der Jugendjahre. Auch dieses ja doch sehr restaurativ-vernagelten Westdeutschlands der frühen fünfziger Jahre, das war seine eine Prägung. Und die andere war dann die DDR, in die er kam, nun schon als ein fix und fertiger Autor, das heißt, insofern war sein Blick der eines zum Idealismus in der Beurteilung der Verhältnisse zunehmend in späteren Jahren neigenden Einwanderers.

    Koldehoff: Aus welcher Perspektive hat er sich mit der Klassik, mit dem Klassischen auseinander gesetzt. Also, wir kennen das Goethe-Stück, es ist auch manchmal von der sozialistischen Klassik im Zusammenhang mit Hacks die Rede.

    Koldehoff: Ja, bevor das Wort "postmodern" im Westen aufkam, hatte er das Wort "postrevolutionär" für die Situation in der DDR erfunden und geprägt. Und in dieser postrevolutionären Situation, ja, fand eine Selbstberufung zum Klassiker statt, in enger Anlehnung an die Weimarer Klassik, mit besonderem Aufblick zu Goethe, wobei er...

    Koldehoff: Aber doch in einer gebrochenen Weise, oder ungebrochen?

    Dieckmann: In der Art, wie er das literarisch vortrug, stets mit äußerster Pointierung und einer sehr subjektiv gefärbten, souveränen Brillianz, relativ ungebrochen. Aber, wie es bei einem so bedeutenden Autor ist, gebrochen heißt, liegt dann im Stil einbegriffen, so zusagend implizit, und das macht den literarischen Rang aus, auch dort, wo er scheinbar sich affirmativ gebärdet.

    Koldehoff: Peter Hacks hinterlässt ein umfangreiches Werk. Was wird Bestand haben, Ihrer Meinung nach?

    Koldehoff: Zu seinem 75. Geburtstag vor sieben Monaten ist die Gesamtausgabe seiner Werke, so zusagend eine Ausgabe letzter Hand, erschienen, im Berliner Eulenspiegel-Verlag. Eine Versammlung von Texten, die er selbst als kanonisch bezeichnete. Dieses Werk liegt auf dem Tisch der deutschen Literatur. Es lädt zur Auseinandersetzung ein. Diese Auseinandersetzung ja beginnt auch in der jungen Generation, wie ich höre, die nun nicht unmittelbar an den Kämpfen der sechziger, der siebziger Jahre teilgenommen hat, und der achtziger und der neunziger, wo er immer Stellung bezogen hat. Das heißt, der literarische Blick auf das Werk wird in den nächsten Jahren vorwiegend, und ich bin sehr neugierig auf diese Auseinandersetzung einer jungen Generation, ...

    Koldehoff: Was glauben Sie, auf was für Stücke wird sich das konzentrieren?

    Dieckmann: Die Stücke, die sich mit der DDR, die er als eine Form der absoluten Monarchie begriff und von daher billigte, die sind dem Verständnis der Zeitgenossen weitgehend entzogen. Die anderen Stücke sind nach wie vor, wie soll ich sagen, Renner. Das ist das "Stein"-Stück, und das ist "Plundersweilern", die haben an diesen kleineren Bühnen ihre fortdauernde Existenz. Ich wage nicht, eine Prognose abzugeben über die Zukunft des Theaterdichters Hacks, aber das Gesamtwerk lädt zur Auseinandersetzung ein.

    Koldehoff: Der Regisseur Manfred Wegwerth hat in einer Reaktion heute den Sprachkünstler und Denker gewürdigt, gleichzeitig aber eine zuletzt doch merkwürdige politische Haltung zu erkennen geglaubt bei Hacks, nämlich eine späte Liebe zu Stalin. Was war das wieder, Herr Diekmann?

    Dieckmann: Der Autor, der zu Lebzeiten Stalins und in den Jahren danach nie ein gutes Wort über diesen Autokraten, Diktator und Tyrannen verloren hat, und im seinem Präkrastres-Stück in der Figur des Großkönigs Kambyses ein drastisch-realistisches Portrait, wenn man so will, entworfen hat,...

    Koldehoff: Also, was ist es dann? Ein Ausdruck von Bockigkeit, wie Wegwerth vermutet?

    Dieckmann: Ich habe es als eine Art "Welttrotz" bezeichnet. Die Lust an der prononzierten Gegenposition. Der Hacks, der sich versucht hat als Klassiker zu bestimmen, ist in Wahrheit einer der subtilen Romantiker. Man kann ihn als einen Staatsromantiker bezeichnen, deutscher Literatur. Und von daher der Versuch, eine Art Stalin-Bewunderung zu rekonstruieren, die nicht anders als eine literarische Attitüde zu bewerten ist, so ernst er das für sich selbst vielleicht gemeint hat.

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